Hamburg. Bundesländer haben kein einheitliches System, um Daten austauschen zu können – und das neue Programm macht technische Probleme.

Durch ihre mangelhafte Datenvernetzung sind die deutschen Sicherheitsbehörden nach Auffassung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) derzeit nur bedingt in der Lage, Terroranschläge zu verhindern oder im Nachhinein schnell und sorgfältig aufzuklären. „Einen Terroranschlag in Deutschland zu verhindern oder aufzuklären ist davon abhängig, wie gut die Länderpolizeien, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt untereinander im Austausch ihrer Daten vernetzt sind“, sagt Jan Reinecke, BDK-Landeschef, dem Abendblatt. „Dass bisher nichts Schlimmeres passiert ist, dürfte wohl eher dem Glück oder den Terrorhinweisen ausländischer Dienste geschuldet sein.“

Hauptgrund für die mangelhafte Datenvernetzung sei, dass die Polizeien der 16 Bundesländer und die Bundes­behörden mit verschiedenen Fallbearbeitungssystemen arbeiten. Die Hamburger Polizei etwa nutzt die veraltete Datenbank „Crime“, die Münchner Polizei das System „rsCase“. Das Problem: Beide Anwendungen verfügen über keine Schnittstellen: Sie sind inkompatibel.

Eine Lösung für das Dilemma soll eigentlich der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV) sein, eine Art goldene Brücke für Daten. Mit dem neuen Programm der Polizei soll es möglich sein, länderübergreifend in großen Ermittlungsverfahren alle Spuren zu speichern und Ermittlerdaten sinnvoll miteinander zu verknüpfen; PIAV soll Beziehungen zwischen Personen, Objekten und Tathergängen in Echtzeit darstellen und gewährleisten, dass ausgewählte Daten aus den Datenbanksystemen der Länderpolizeien, des Zolls und des Bundeskriminalamts (BKA) auf Bundesebene zum länderübergreifenden Informations- und Datenaustausch zur Verfügung stehen.

Klingt verheißungsvoll, doch statt relevante Ermittlerdaten auszuspucken, produziert das teure System bisher vor allem Probleme. Schon das Debüt der millionenschweren Software ging gründlich daneben. Aufgrund der Komplexität erfolgt der Ausbau des Systems in sieben Stufen, denen wiederum 14 Phänomenbereiche zugeordnet sind.

Den Anfang hätte am 1. Januar die, was die Zahl der Fälle angeht, sehr überschaubare Ausbaustufe 1 „Sprengstoffkriminalität“ machen sollen – doch die Integration in PIAV scheiterte an technischen Problemen. Stufe 1 ging deshalb erst im Mai ans Netz. Die zweite Stufe, die unter anderem Gewaltdelikte umfasst, soll im Herbst 2017 zünden. Sukzessive sollen bis 2020 dann die anderen Deliktbereiche ans Netz gehen. Dabei gilt: je höher die Ausbaustufe, desto komplexer die Datensätze, desto schwieriger die Anbindung.

IT-Systeme sind veraltet

Vor allem soll die hochkomplexe Stufe 6 – sie umfasst den Bereich politisch motivierte Kriminalität/Terror – erst in vier Jahren realisiert werden. Und das unter dem Eindruck der Anschläge von Paris, Brüssel und der jüngst von der Polizei ausgehobenen islamistischen Terrorzelle von Ahrensburg. „Es ist ein Skandal, dass diese Ausbaustufe unter den gegebenen dramatischen Umständen erst kurz vor dem Jahr 2020 erreicht werden soll“, so Jan Reinecke. Wenn Kriminalbeamte aus München per Telefonüberwachung beispielsweise Kontaktpersonen eines Terrorverdächtigen ermittelten, könnten ihre Kollegen aus Hamburg bisher nicht automatisch auf diese Daten zugreifen. Nach wie vor sei es üblich, dass Ermittler in Deutschland mit ihren Computern quer durch die Republik reisen, wenn beispielsweise Daten aus Hamburg und München zusammengeführt werden sollen. „Es ist so, als würden wir steinzeitlich Höhlenwände mit Kreide bemalen“, so Reinecke.

Zwölf der PIAV-Teilnehmer greifen auf das System „rsCase“ zurück. Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen und Hamburg hingegen nutzen das maßgeblich von der Hamburger Polizei entwickelte und veraltete „Crime“-System. Und dessen Anschluss an PIAV erweist sich als noch schwieriger als bei „rsCase“. So müssen nach Abendblatt-Informationen die Daten aktuell noch von Polizeibeamten händisch vom alten in das neue System übertragen werden – ein gigantischer Aufwand. „Die Probleme fangen schon damit an, dass Telefonnummern des alten Systems nicht vom neuen ausgelesen werden können“, sagt ein Beamter. Er bezweifelt, dass Stufe 2 pünktlich starten wird.

Dass jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht, stößt dem BDK auf. Statt Geld in veraltete IT-Systeme wie „Crime“ zu pumpen, müsse der Aufbau einer einheitlichen Datenbank „höchste Priorität“ bekommen. Es sei „unverantwortlich und teuer“, in 16 Bundesländern und den Bundesbehörden verschiedene Fallbearbeitungssysteme zu betreiben, so Landeschef Reinecke.

Schwierig ist, geeignetes Personal zu finden

Der Hamburger Senat, der sich schon mit der extrem teuren Behördensoftware „Jus-It“ massive Probleme eingebrockt hatte, geht offenbar nicht davon aus, dass das System wirklich rundlaufen wird. Wie aus einem Bericht des Innenausschusses hervorgeht, sei die geplante Fertigstellung in vier Jahren jedenfalls „sehr ambitioniert.“ So sei zwar „die technische Kompatibilität in Teilen gewährleistet“, allerdings seien „nicht alle zusätzlichen fachlichen Anforderungen an die Software erfüllbar“, heißt es im Sitzungsprotokoll. Grund für das Dilemma ist demnach ein Potpourri aus rechtlichen, technischen und fachlichen Schwierigkeiten.

„Der Zeitrahmen für die Einführung von PIAV ist zu lang“, kritisiert der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator. Die CDU hatte jüngst in einem Antrag gefordert, die Einführung der Stufen zwei bis sieben zu beschleunigen. Damit hat sich am 12. September der Innenausschuss der Bürgerschaft befasst. Fazit: Eine Beschleunigung des ohnehin „sehr ehrgeizigen“ Zeitplans sei nur möglich, wenn einzelne Teilnehmer­länder aus dem „Geleitzug“ ausscherten – dies sei aber nicht erwünscht. Das ganze Verfahren gestalte sich „sehr mühsam und langsam“. Problematisch ist demnach schon die Rekrutierung geeigneten Fachpersonals.