Hamburg. Mit Limonade, deren Käufer soziale Projekte unterstützen, revolutionierten die Gründer den Getränkemarkt. Nun folgt ein neues Projekt.

Der Ordner wollte ihn erst einmal gar nicht in den Saal lassen. „Trinken hilft“ stand auf dem immerhin blütenweißen T-Shirt, das der Gast zur Jeans trug. So ein Slogan kann ja vieles bedeuten. Schlimmstenfalls, dass der Träger ein zynischer Alkohol-Fan ist. Woher sollte der Türwächter auch wissen, dass es sich um ein ernst gemeintes Firmen-Versprechen handelt? Stattdessen wurde Paul Bethke belehrt, dass es sich bei der Festivität um eine Gala handle, genauer gesagt um die Verleihung des Deutschen Gründerpreises 2016. Sogar der Herr Wirtschaftsminister sei anwesend. Entsprechend festlich solle die Kleidung sein. Da habe er wohl etwas missverstanden.

Dass Bethke dann aber doch – salopp angezogen wie er war – hinein durfte zur Gala, lag daran, dass er glaubhaft versichern konnte, dass er zu den zu ehrenden Preisträgern gehört. Zusammen mit Jakob Berndt und Felix Langguth wurde er vor zwei Monaten im Hauptstadtstudio des ZDF in Berlin in der Kategorie „Aufsteiger“ für erfolgreiches unternehmerisches Wagnis in Verbindung mit gesellschaftlichem Engagement ausgezeichnet. Die Limonaden und Eistees der Marken Lemonaid und Charitea haben sich seit der Markteinführung 2009 durch die drei Hamburger zum Synonym für nachhaltige Getränkeproduktion und fairen Handel entwickelt. In Hamburg gab es dafür schon 2012 den Preis als „Existenzgründer“.

Der Getränkeverkauf ist nur Mittel zum Zweck

„Ja, das war irgendwie lustig“, kommentiert Bethke die Geschichte. Gerade eben ist er mit dem Skateboard in der Hand zur Tür hereingekommen. An diesem Tag sieht er mit seinem schon etwas verwaschenen T-Shirt und den ungekämmten Haaren erst recht aus wie jemand, dem sein Äußeres ziemlich egal ist. Jakob Berndt, Freund aus gemeinsamen Schul- und Studienjahren, dunkle Intellektuellenbrille, Flüchtlinge-willkommen-Schriftzug auf dem Shirt, hat schon mal angefangen und ein bisschen erzählt über ihr etwas anderes Unternehmen. „Gewinne interessieren uns erst in zweiter Linie“, sagt der ehemalige Werber von Jung von Matt. „Wir wollen helfen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und das bedeutet für uns auch, die Spielchen des Marktes nicht mitzumachen.“

Also keine nebulösen Zahlenangaben, um den eigenen Erfolg zu verschleiern. Stattdessen ein offenes Bekenntnis zur Faktenlage. 55 Mitarbeiter erwirtschafteten 2015 acht Millionen Euro Umsatz. Punkt. Und auch der Verzicht auf die Listung bei Discountern und bei Großhändlern gehört zur Firmenphilosophie. Bethke, der sich inzwischen dazugesetzt hat, ergänzt: „Ich war nie ein Limonadenverkäufer, der auf sozial verantwortlich macht. Der Hilfsgedanke war zuerst da und der Getränkeverkauf nur Mittel zum Zweck.“

So etwas nennt man eine moralische Haltung. Sie entspricht einem Trend, der sich zunehmend, aber erst einmal in Nischen der Lebensmittelindustrie durchsetzt. Nicht nur billig konsumieren, sondern möglichst auf Nachhaltigkeit achten, das ist es, was besonders junge Käufer derzeit anspricht.

„Wir wissen, wo unsere Rohstoffe herkommen, denn wir besuchen die Kooperativen in Südasien, Südafrika und Lateinamerika regelmäßig“, sagt Berndt, inzwischen wie Langguth Familienvater. Reisen werden deshalb mit dem Privat­leben abgestimmt. Fünf Cent pro verkaufte Flasche fließen in soziale Projekte in den Anbauregionen. Trinken hilft tatsächlich.

Unternehmertum und soziale Verantwortung beruflich in Einklang zu bringen

Genau das hatte sich der Betriebswirt und Entwicklungshelfer Bethke (35) vorgestellt, als er sich 2005 nach einem frustrierenden Tsunami-Wiederaufbau-Einsatz in Sri Lanka entschloss, nach Deutschland zurückzugehen und eigeninitiativ tätig zu werden. Die Organisation, für die er gearbeitet hatte, ging in seinen Augen mit den Spendengeldern an den falschen Stellen verschwenderisch um. Das wollte er nicht unterstützen. Der alternative Plan war, in Deutschland Unternehmertum und soziale Verantwortung beruflich in Einklang zu bringen und so zu helfen.

Für die Umsetzung dieser Lebenseinstellung gewann er zwei sehr gute Freunde. Mit Jakob Berndt (35), dem Kommunikations- und Marketingprofi, hatte er schon zu Schülerzeiten davon geträumt, selbstständig zu arbeiten und dabei Gutes zu tun. Und Studienkollege Felix Langguth (36), ein Unternehmensberater, hatte sich ebenfalls entschlossen, Ausbildung und Wissen in eine sinnstiftende Aufgabe zu investieren. Er arbeitete den Businessplan aus, der ihnen am Ende mithilfe der Stadt Hamburg das Startkapital von 800.000 Euro sicherte. Gut eingesetztes Geld aus heutiger Sicht. Die Lemonaid Beverages GmbH hat sich zu einem ernst zu nehmenden Player in der nationalen und internationalen Softdrink-Szene entwickelt. Inzwischen stehen die stylischen Limonadenflaschen für 1,95 Euro sogar beim Großkonzern Ikea in der Lebensmittelabteilung. Ist das nicht ein Widerspruch?

„Wir finden, dass sozial und ökologisch nachhaltige Produkte kein Thema für die Nische sein dürfen – sondern etwas für jedermann, der bereit ist, dafür auch ein klein wenig mehr auszugeben“, erklärt Berndt. „Entsprechend haben wir uns in den vergangenen Jahren auch sukzessive aus der Nische herausgearbeitet. Und verkaufen unsere Produkte heute auch bei größeren Partnern wie Ikea.“

Und was ist mit dem angekratzten Image des schwedischen Möbelherstellers? Steuertricks, schlechte Arbeitsbedingungen, eine politisch angreifbare Vergangenheit? Auch darauf hat der Kommunikationsprofi eine Antwort: „Ja, natürlich hat Ikea, wie vermutlich alle großen Industrieakteure, noch einige Arbeit vor sich, wenn es um die Wertschöpfungsketten geht. Aber wir haben sie bisher als interessierten und reflektierten Partner erlebt, die ein ernsthaftes Interesse daran haben, etwas zu bewegen. Und mal im Ernst: Wäre es aus Ihrer Sicht besser, wenn dort Coca-Cola verkauft würde?“

Ein gutes Stichwort. Ein früherer Vertriebsmitarbeiter eines Großkonzerns fragte kürzlich beim Vorstellungsgespräch, wie viel Geld er in die Hand nehmen dürfe, um beim Kunden Überzeugungsarbeit zu leisten. „Wir haben ihm gesagt, nö, keinen Cent“, sagt Berndt. „Er hat schnell gemerkt, dass seine und unsere Vorstellungen von Akquise nicht übereinstimmten.“ Auch bei der Mitarbeiter-Rekrutierung wird aufs große Ganze geschaut. „Ausbildung und Status sind im Prinzip egal“, sagt Bethke. „Wichtig ist Verständnis für unsere Sache.“ Und das kann zum Kulturschock führen.

Neulich gingen die Chefs mit Mitarbeitern auf Wandertour

Wer bleibt, gehört zur Familie. Gemeinsame Feierabendaktivitäten sind ebenso normal wie gemeinsam verbrachte Urlaube. An vier Tagen rund um das vergangene Wochenende haben Bethke und Berndt mit zehn Mitarbeitern zu Fuß die Alpen überquert. Durch Schneesturm und Sonnentäler. „Wir wollten mal außerhalb des Büroalltags miteinander Zeit verbringen.“ Nebenbei wurde die eine oder andere neue Idee besprochen. „Das schweißt zusammen und macht den Kopf wieder frei“, sagt Bethke.

Nächsten Monat kommt ein neues Produkt auf den Markt. Dann liegen bei Alnatura und Budnikowsky erstmals Tee-Kreationen zum Aufbrühen der Hamburger in den Regalen. Pyramiden- und Doppelkammerbeutel, aber auch loser Tee. „Es war schon immer unser Wunsch, die Bauern-Kooperationen stärker zu unterstützen“, erklärt Berndt die Motivation zum Markteinstieg in ein neues Segment. „Wer weiß schon, dass in Ruanda, diesem von Kriegen geschundenen Land, sehr guter Tee wächst.“

Zwei Jahre sind die Männer herumgereist und haben sich weltweit die Bio- und Fair-Trade-Plantagen angeschaut. Irgendwann war das gegenseitige Vertrauen zwischen Bauern und den deutschen Käufern groß genug, um nachhaltige Handelsbeziehungen einzugehen. „Auch hierbei geht es uns nicht um Profitmaximierung“, sagt Bethke.