Hamburg. Rolls-Royce stellt auf Hamburger Messe SMM Konzept für selbstfahrende Frachter vor. Reeder sind noch skeptisch.
Die Zukunft der Seefahrt hat auf der Hamburger Schiffbaumesse SMM begonnen. Halle A3, Stand 305. Ein Sessel wie für einen Raumschiffkommandanten, davor etliche Kontrollbildschirme, die den Zustand und die Position eines Schiffes anzeigen. Rolls-Royce hat diesen Stand gebaut. Das britische Unternehmen ist das erste, das einen konkreten Plan zur Entwicklung selbstfahrender Schiffe ohne Besatzung vorgelegt hat. Und auf der Messe zeigt Rolls-Royce im Detail, wie diese Vision aussehen kann.
Schiffe fahren von Computern gesteuert über die Weltmeere, nur bei Störungen oder Gefahren senden sie eine Warnung an ein Überwachungszentrum. In diesem kann ein kleines Team von wenigen Leuten eine ganze Flotte überwachen. Im Notfall schalten sie sich auf die Computer des Schiffes und übernehmen das Ruder selbst.
Das autonome Schiff sei keine Frage des „ob“, sondern des „wann“, sagt Oskar Levander, Rolls-Royce-Vizechef für den maritimen Sektor. Sein Unternehmen arbeitet seit Monaten daran. Dazu wurden etliche Sensoren an einer finnischen Fähre angebracht, die im Cargo-Verkehr zwischen zwei Häfen Daten gesammelt haben. Aus den Daten sei ein simuliertes Schiffskontrollsystem entwickelt worden, das die gesamte Kommunikation zwischen dem Schiff und einer Kontrollstation an Land überwachen kann. „Wir werden das erste kommerzielle, ferngesteuerte Schiff zum Ende dieses Jahrzehnts erleben“, sagt Levander.
Mit den heutigen Frachtschiffen haben die Vorstellungen von Rolls-Royce aber nichts mehr zu tun. Es handelt sich um völlig neu entwickelte Wasserfahrzeuge. Eine Brücke oder Aufenthaltsräume haben die Roboterschiffe nicht mehr. Die Technik übernimmt das Ruder. Das spart Platz und Kosten – und es reduziert zudem den Energieverbrauch, verspricht das Unternehmen.
Auch der Chef des Hamburger Schiffsklassifizierers DNVGL (früher Germanischer Lloyd), Remi Eriksen, ist davon überzeugt, dass die technischen Voraussetzungen für den Einsatz unbemannter Geisterschiffe bald gegeben sind. Vielleicht nicht gleich für den Einsatz auf den Weltmeeren, aber für kurze Pendelfahrten zwischen zwei nahen Häfen wird es schon sehr bald Lösungen geben, so Eriksen bei der SMM.
Hintergrund sei die rasante Entwicklung der Digitalisierung, die die Automatisierung der Schiffstechnik vorantreibt. „Ein kleines Mobiltelefon leistet Rechenprogramme, die vor fünf Jahren nur Computer leisten konnten. Und in wenigen Jahren werden kleinste Schiffssensoren das machen, was heute Mobiltelefone können“, so Eriksen. Rolls-Royce ist mit seinem Vorstoß zwar am weitesten, aber bei Langem nicht allein.
Kunden fordern die Schiffe bereits
Praktisch alle deutschen Schiffbauer und Zulieferer würden sich derzeit mit Automatisierung befassen, sagt Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbands Schiffbau und Meerestechnik. „Das selbstfahrende Schiff kommt so sicher wie das selbstfahrende Auto. Und diejenigen, die die Technik als Erste beherrschen, werden die Nase vorn haben.“ Die deutschen Reeder müssten mehr den deutschen Standortvorteil – nämlich die Verfügbarkeit über Hochtechnologie – ausnutzen. „Es ist schade, dass die deutsche Schifffahrt da noch so skeptisch ist“, sagt Lüken.
Bei den Reedern ist die Zurückhaltung tatsächlich größer als im Schiffbau, wenn es um selbstfahrende Schiffe geht. „Wir werden nicht so schnell wie beim Tesla-Auto Schiffe auf der Elbe ohne Besatzung erleben“, hatte der Reeder Thomas Rehder bei der Eröffnungskonferenz der Schiffbaumesse gesagt – und prompt Kritik geerntet. Andererseits hat die Diskussion über die neue Technik deutlich zugenommen. Immerhin halten 24 Prozent der deutschen Reeder diese Entwicklung für sicher oder wahrscheinlich, wie eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (pwc) kürzlich zeigte.
Ringen sich die Reeder zum Einsatz des Schiffs ohne Kapitän durch, können sie immerhin auf gute Forschungsvorarbeit aus Hamburg zurückgreifen. Das Fraunhofer Centrum für Maritime Logistik hat bereits vor einem Jahr den ersten unbemannten Frachter in einer Computersimulation auf große Fahrt geschickt. Die Fernsteuerung übernahm ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Schaltpult in der TU Harburg.
Für DNVGL-Chef Eriksen wird sich die Entwicklung zum wirtschaftlichen Einsatz schrittweise vollziehen. „Sicher wird die Technik zunächst auf Schiffen mit Besatzung getestet. Wenn sie aber funktioniert und alle sicherheitsrelevanten und rechtlichen Fragen geklärt sind, ist der Einsatz ohne Besatzung denkbar“, sagt er. Rolls-Royce macht jedenfalls Druck: Die Kunden würden die Schiffe fordern, heißt es aus dem Unternehmen. 2020 sollen die ersten ohne Besatzung fahren und 2035 sogar im Liniendienst auf den Ozeanen.