Hamburg. Dritter Teil: Ein schwerer Unfall oder Schlaganfall ändern das Leben völlig. Wichtig sind die richtigen Vollmachten.

Der 20-Jährige verliert auf regennasser Landstraße die Kontrolle über sein Motorrad, fährt gegen einen Baum und wird mit Hirnverletzungen in ein Krankenhaus geflogen. Nach mehreren Operationen müssen die Ärzte den Eltern mitteilen, dass ihr Sohn im Wachkoma-Zustand bleiben wird. Weinend überlegen Mutter und Vater, was der Wunsch ihres Jungen wäre. Weiterleben unter diesen Bedingungen? Oder doch lieber sterben durch das Abschalten der Apparate, die ihn am Leben erhalten? Eine Patientenverfügung existiert nicht.

Die 85 Jahre alte Großmutter war immer rüstig. Doch nach ihrem Schlaganfall ist nichts mehr, wie es mal war. Die Ärzte empfehlen, einen Platz in einem Pflegeheim zu suchen. Die Angehörigen möchten das Haus der Schwerstbehinderten verkaufen, um ihr einen Platz in einem besonders schönen Heim zu finanzieren. Doch es gibt keine Vorsorgevollmacht.

Der 80-jährige Senior lebte lange allein, seine Frau war früh gestorben. Oft hatte er nach den wöchentlichen Schachabenden seinem besten Freund gesagt: „Wenn ich mal nicht mehr klar denken kann, möchte ich, dass du als Betreuer dich um meine Angelegenheiten kümmerst. Das müssen wir irgendwann schriftlich machen.“ Bei diesem guten Vorsatz blieb es über Jahre, beim Wein nach der letzten Partie mochte niemand mehr über ein so unangenehmes Thema sprechen. Bis dem Freund auffiel, dass sein Studienfreund die Schachtermine ständig vergaß. Mühevoll überredete er ihn, sich untersuchen zu lassen. Die Diagnose: Alzheimer im bereits fortgeschrittenen Stadium – zu spät, um noch eine wirksame Betreuungsvollmacht zu erteilen.

Drei Fälle, drei Schicksale. Gabriela Lünsmann erlebt die Folgen in der täglichen Praxis als Fachanwältin für Familienrecht in ihrer Kanzlei „Menschen und Rechte“ in Altona. „Nur die wenigsten kümmern sich aus eigenem Antrieb um die entsprechenden Verfügungen und Vollmachten“, sagt sie. Nur etwa jeder vierte Erwachsene in Deutschland hat seine Angelegenheiten für den Fall einer möglichen lebensbedrohlichen Erkrankung oder eines schweren Unfalls geordnet. Oft gibt erst ein Schicksal aus dem nahen Freundes- oder Verwandtenkreis den Anstoß, sich endlich zu kümmern. Und immer wieder stellt Lünsmann in Gesprächen mit Mandanten fest, wie unausrottbar bestimmte Rechtsirrtümer sind. Etwa, dass der Ehegatte, der Lebenspartner oder die Kinder im Fall der Fälle entscheiden dürfen, wenn man selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. „Der Familienstand allein berechtigt dazu keineswegs“, sagt Lünsmann. „Liegt keine Vollmacht gegenüber Dritten vor, entscheidet ein Betreuungsgericht, wer die Betreuung übernimmt. Dies kann ein naher Angehöriger sein, aber auch ein Berufsbetreuer.“

Doch wie unterscheiden sich eigentlich Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung? Und was sollte man beachten?

Die Patientenverfügung

Die Frage, wie man die gewünschte Behandlung festlegen sollte, wenn man es selbst nicht mehr kann, beschäftigte auch den Bundesgerichtshof. Im August stellte der BGH klar, dass Patientenverfügungen sehr konkret abgefasst werden müssen. In dem entschiedenen Fall hatte eine Frau aus Neckarsulm einen Hirnschlag erlitten. Sie musste künstlich ernährt werden und war nach mehreren epileptischen Anfällen nicht mehr ansprechbar. Eine ihrer drei Töchter wollte die künstliche Ernährung in Absprache mit der Ärztin abbrechen lassen, da die Mutter festgelegt hatte, dass sie im Fall eines Dauerschadens ihres Gehirns „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollten. Der BGH hielt indes die Patientenverfügung für unzureichend, da die Mutter nicht geäußert habe, dass sie den Abbruch einer künstlichen Ernährung in einer bestimmten Situation wünsche. Der Beschluss bestätigt, dass allgemeine Sätze in Patientenverfügungen wie „Ich möchte in Würde sterben“ oder „Mein Leben soll nicht allein von Apparaten abhängig sein“ nicht ausreichen.

Entscheidend sind am Ende immer die persönlichen Wertvorstellungen. Wer sich bewusst gegen eine bestimmte Behandlung entscheidet, muss wissen, dass dies auch eine Entscheidung gegen das Weiterleben bedeuten kann. Wer alles an medizinisch möglichen Therapien ausreizen möchte, muss sich bewusst sein, dass er in der letzten Phase seines Lebens fremdbestimmt sein kann – von Apparaten oder von Ärzten.

Die formalen Voraussetzungen einer Patientenverfügung sind einfach, man kann sie mit dem Computer, handschriftlich oder durch einen Vertrauten schreiben lassen. Wichtig sind nur das Datum, der Ort und die Unterschrift des Verfügenden. Im Idealfall legt der Verfügte genau fest, für welche Situationen das Dokument gelten soll, also etwa für das Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit oder für den Fall, dass man im letzten Stadium einer Alzheimerkrankheit nicht mehr in der Lage ist, Nahrung auf natürlichem Weg zu sich zu nehmen. Dann sollte man erklären können, welche lebensverlängernden Maßnahmen in der betreffenden Situation unterbleiben sollten und ob auf eine Wiederbelebung verzichtet wird. Eine abschließende Passage über die Kommunikation (wer soll verständigt werden, Entbindung der Schweigepflicht gegenüber Vertrauten, etc.) ist dann ebenso hilfreich wie die Vorstellung vom Sterben (etwa möglichst zu Hause, möglichst in der Begleitung eines Geistlichen).

Ganz wichtig: Es ist sinnlos, aktive Sterbehilfe – etwa durch das Setzen einer Giftspritze – zu verfügen. Der Arzt muss dies ablehnen, da er sich sonst strafbar machen würde.

Die Vorsorgevollmacht

Auf den ersten Blick wirkt die Vorsorgevollmacht deutlich einfacher als die Patientenverfügung, da es hier nicht in erster Linie um Grenzbereiche des menschlichen Lebens geht. Aber: Mit der Vorsorgevollmacht werden dem Bevollmächtigten enorme Rechte eingeräumt, Kontrolle gibt es kaum. „Diese Vollmacht ist vor allem eine Sache des Vertrauens“, sagt Lünsmann. Die nahe liegende Lösung – der Lebenspartner, die eigenen Kinder – sei nicht unbedingt immer die beste. Dies gilt vor allem dann, wenn die Vorsorgevollmacht auch alle medizinischen Angelegenheiten umfasst. Denn im Extremfall kann dies bedeuten, dass der Bevollmächtigte die Apparate abstellen lassen muss, die den geliebten Menschen noch am Leben erhalten. Lünsmann rät, in Gesprächen vor Erteilung der Vorsorgevollmacht genau zu prüfen, ob der Bevollmächtige dazu emotional und von seinen persönlichen Wertvorstellungen her überhaupt in der Lage ist.

Auch die Erteilung einer Vollmacht in allen Vermögensangelegenheiten will sehr genau überlegt sein. „Fälle des Missbrauches einer Vorsorgevollmacht werden zwar selten öffentlich, aber es gibt sie sehr wohl“, sagt Lünsmann. Fast immer werden sie dann Gegenstand erbitterter Erbstreitigkeiten – etwa, wenn ein Erbe bei der Eröffnung des Testaments feststellt, dass das Vermögen deutlich geringer ist als vermutet. Der Verdacht fällt dann schnell auf den Bevollmächtigten. Hat der Bruder oder die Schwester die Gelegenheit genutzt, das Konto des Vaters noch schnell leer zu räumen, als dieser dement im Altenheim lebte? Die Beweisführung in solchen Fällen ist schwierig, da der Bevollmächtigte häufig argumentieren kann, dass der Vollmachtgeber unbedingt Bargeld haben wollte, nur deshalb sei er so oft am Geldautomaten gewesen.

Zusätzliche Tücke: Damit eine Vorsorgevollmacht wirklich greift, sollte sie im Juristendeutsch „unbedingt“ sein, also keine Einschränkungen enthalten wie die Formulierung „wenn ich nicht bei klarem Verstand bin“. Gegenüber Banken, Vermietern oder Versicherungen geriete der Bevollmächtige sonst in eine fast aussichtslose Position. Denn wie sollten diese sicher wissen, dass genau diese Bedingung eingetreten ist? Im Umkehrschluss bedeutet die unbedingte Vorsorgevollmacht damit allerdings auch, dass der Bevollmächtigte sofort Zugriff auf die finanziellen Angelegenheiten hat. Daher raten Experten zu einer Vereinbarung, die das sogenannte „Innenverhältnis“ zwischen dem Bevollmächtigten und dem Vollmachtgeber regelt. Dieser Vertrag legt die Rechte und Pflichten des Bevollmächtigten fest, er muss haften, wenn er gegen diese verstößt. Hier kann man genau vereinbaren, welche Spielregeln im Fall der Fälle gelten sollten. Soll das vorhandene Vermögen genutzt werden, um ein besonders teures Heim zu finanzieren? Oder will der Vollmachtgeber weiter möglichst sparsam leben, um Kindern oder Enkeln eine möglichst große Summe zu vermachen?

Die Arbeit eines Bevollmächtigten ist anspruchsvoll, von der emotionalen Belastung, dass man ja alles im Sinne des Vertrauten machen will, ganz zu schweigen. Lünsmann rät daher ihren hochbetagten Mandanten, sich genau zu überlegen, ob sie sich wirklich gegenseitig eine Vorsorgevollmacht ausstellen wollen. Womöglich ist es die bessere Alternative, die Kinder zu bevollmächtigen, natürlich nur dann, wenn das Verhältnis von Vertrauen geprägt ist.

Es gibt allerdings zwei Sonderfälle: Viele Banken erkennen eine nicht notarielle Vollmacht nicht an, sondern bestehen auf das hauseigene Formular, dass man rückwirkend bei Eintritt etwa einer schweren Demenz des Vollmachtgebers nicht mehr ausfüllen kann. Der andere Fall betrifft Immobilien. Wer als Bevollmächtigter Immobilien verkaufen will, etwa das Elternhaus, um einen Heimplatz zu finanzieren, braucht eine notarielle Vollmacht.

Die Betreuungsverfügung

Im deutschen Sprachgebrauch hält sich hartnäckig der Begriff Entmündigung, obwohl dieses Verfahren schon 1992 abgeschafft wurde. Der neue Verfahrensname Betreuung ist mehr als nur eine neue Formulierung. Er signalisiert, dass ein Mensch, der seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, sehr wohl so selbstbestimmt wie möglich leben können soll. Ein Betreuer muss sich daher in seinem Handeln am Willen des Betreuten orientieren. Wer mit seiner Vorsorgevollmacht einen Bevollmächtigten eingesetzt hat, sollte in der Vollmacht kurz festhalten, dass das Betreuungsgericht den Bevollmächtigten auch als Betreuer einsetzen soll. In der Regel respektiert das Betreuungsgericht dann diesen Wunsch.

Wesentlich bedeutsamer ist eine Betreuungsverfügung für Menschen, die niemandem haben, dem sie in ihrem Verwandten- oder Freundeskreis zu 100 Prozent trauen. Dann kann eine Betreuungsverfügung durchaus die bessere Wahl sein. Der Arbeitskollege oder der Bekannte, der als Betreuer eingesetzt werden soll, wird viel genauer als ein Bevollmächtigter vom Betreuungsgericht kontrolliert. Ein Betreuer muss gegenüber dem Betreuungsgericht Rechenschaft ablegen, etwa Kontoauszüge und Sparbücher vorlegen.

Liegen weder Vorsorgevollmacht noch Betreuungsverfügung vor, setzt das Betreuungsgericht einen Betreuer ein. Dies kann ein Angehöriger sein. Allerdings kann sich das Gericht auch für einen Berufsbetreuer entscheiden. Früher waren dies vor allem Rechtsanwälte, inzwischen werden auch viele Sozialarbeiter, Erzieher und Verwaltungskräfte vom Betreuungsgericht bestellt.

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