Hamburg. Aus einem Geheimtipp ist eine Marke geworden. Auf der Elbinsel wurde am Wochenende kräftig geschunkelt und mitgegrölt.
OK-Kid-Sänger Jonas Schubert schleppt am Sonnabendabend eine Kiste mit Bühnenutensilien durch den Backstage-Bereich des 10. Dockville-Festivals. Der Wollmützenträger kommt direkt von seinem gefeierten Auftritt, bahnt sich in der VIP-Area im Freien seinen Weg vorbei an der Tischtennisplatte, den Couches, einem Bierstand und dem Container mit der handgeschriebenen Aufschrift „Artist Dusche“. Der Pop-Hip-Hopper aus Gießen hält mit seiner Kiste kurz inne und meint: „Den Charme des Dockville macht schon allein aus, dass an den großen Bühnen keine Werbung hängt - und dass alles so familiär ist. Und dass das Publikum hier so aufgeschlossen ist für verschiedenste Musikstile und Subkulturen.“
Das „Booking“ - die Musiker-Besetzung - bot zum Jubiläum des MS Dockville wieder eine extreme Bandbreite. Von der Bremer DJane Bebetta, die im „Nest“ inmitten verwunschener Birkenhaine auflegte. Über Battlerapper MC Bomber aus dem Prenzlauer Berg in Berlin, der den überraschenden Hamburger Sonnenschein disste („Scheiße ist das anstrengend in meiner Lederjacke“). Bis hin zur antifaschistischen Ska-Punk-Band Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern, die „eine Stunde Abriss“ ankündigte und empfahl, zu kommerziellen Festivals doch besser Schnaps von Aldi selbst mitzubringen.
Grölalarm bei Milky Chance aus Nordhessen
Berühmte Headliner gab es auch. Schon am Freitagabend indierockten Bastille aus London die Hauptbühne „Großschot“ vor der imposanten Hafenindustrie-Kulisse. Frontman Dan Smith begrüßt die Menge auf Norddeutsch: „Moin Dockville. Wir sind Bastille“. Auf Englisch freut sich Smith dann noch über dieses „fucking awesome festival“, er findet das Dockville also in etwa „super toll“. Die Chartnummer „Things we lost in the fire“ wird kollektiv mitgeschmettert.
Grölalarm lösen auch Milky Chance aus Nordhessen aus, als sie als letzten Song „Stolen Dance“ anspielen - das Lied, das von Kassel um die Welt ging. Das Folktronica-Duo gehört zu den alten Bekannten des Dockville. 2013 sind sie hier groß geworden, als 16-Jährige kamen sie selbst noch als Fans: „Viele Freunde von uns aus Kassel sind heute hier. Die Laune ist mega gut“, ruft Sänger Clemens Rehbein.
Festival begann mit 20.000 Euro von Papa
Milky Chance gehören genauso wie die Lokalmatadorinnen von Schnipo Schranke zu den Festivalfavoriten. „Das ist unser einziges Hamburg-Konzert in diesem Jahr, deswegen freuen wir uns um so mehr“, sagt Friederike „Fritzi“ Ernst, der eine Teil des Indie-Frauen-Duos mit den schamlos offenen Texten. Zu dem Lied „Cluburlaub“ schunkelt die Menge. Der Schlussmach-Song „Pisse“ wird am meisten bejubelt.
Und dann sind da ja noch OK Kid, das Pop-Hip-Hop-Trio aus Gießen. Die breite Masse kennt OK Kid seit ihrem neunten Platz beim Bundesvision Songcontest 2014 mit „Unterwasserliebe“. Ihre Konzerte sind atmosphärisch längst mehr als ein Geheimtipp, ihre tiefgründig-klugen Texte sprachlich großartig und ihre politische Meinung ist klar. Vor ihrem Song „Gute Menschen“ ruft Jonas Schubert: „Hamburg, ihr seid eine Stadt, die sich immer gewehrt hat. Möget ihr von der AfD und Konsorten verschont bleiben.“
Das Dockville begann 2007 mit knapp 5000 Zuschauern. „Ich habe mir damals von meinem Papa 20.000 Euro geliehen“, erinnert sich Gründer Enno Arndt. Es gab das „Schlammjahr“ 2011, in dem laut Arndt „die Gummistiefel in ganz Hamburg in kürzester Zeit ausverkauft waren“. In diesem Jahr leuchtete als Lichtprojektion auf dem Rethespeicher, dem Festival-Wahrzeichen, ein „Happy Birthday“. Und es strömten täglich 20.000 Besucher aufs Gelände. Das Dockville hat längst seinen ganz eigenen Platz in der deutschen Festivallandschaft.