Hamburg. Serie Teil 5: Das Unternehmen aus Hamburg ist mit seinem Baukasten für Websites weltweit die Nummer drei. Spaß wichtiger als Geld.
Einer der Chefs ist barfuß. Das mache er nicht nur im Sommer, sondern bei fast jedem Wetter, sagt Fridtjof Detzner. „Ich habe Platt-, Senk- und Knickfüße“, sagt der Jimdo-Mitgründer. Mit Krempel-Jeans und knapp bemessenem T-Shirt trägt er Freizeitlook, auch wenn das Firmenlogo die Brust ziert. „Der Doktor hat gesagt, dagegen ist barfußlaufen gut. Und natürlich höre ich auf das, was die Halbgötter in Weiß sagen, oder Matze?“
Das Lachen, das der nach viel Frischluftaufenthalt aussehende Mann mit der blonden Struwwelfrisur und dem Bart in Richtung des ähnlich locker gekleideten Kompagnons Matthias Henze schickt, erinnert an Sonne, Meer und unkompliziertes Miteinander irgendwo am Strand. Das ist für einen ehemals halbprofessionellen Kite-Surfer, der Detzner (33) einmal war, nicht ungewöhnlich. Für einen erfolgreichen Firmenchef allerdings schon, auch wenn er sich nur mit Abitur und ohne Berufsausbildung ins Abenteuer eigenes Unternehmen stürzte und diese Haltung inzwischen kultiviert hat. „Schreib als Berufsbezeichnung Adrenalinjunkie mit Hochschulbefähigung.“ Duzen ist bei Jimdo Pflicht.
Gemeinsam mit Schulfreund Christian Springub und Matthias Henze, gründete Detzner 2007 den Internetdienstleister Jimdo. Eine halbe Million Euro Startfinanzierung der Gebrüder Samwer half, die Idee zu verwirklichen, für die das Trio sieben Jahre später mit dem Hamburger Gründerpreis als „Aufsteiger des Jahres“ ausgezeichnet wurde: Mit nur wenigen Klicks kann man sich mit dem Baukastensystem eine Website bauen – simpel, weil ohne Design- oder Programmierkenntnisse möglich. Die Basisversion ist umsonst, Extras können für bis zu 15 Euro dazugebucht werden.
Schnell wurde aus der kleinen Internetagentur Start-up ein international erfolgreiches Unternehmen. Etwa 17 Millionen Menschen weltweit nutzen derzeit das inzwischen in vielen Sprachen erhältliche Angebot von Jimdo. International belegen die Hamburger Platz drei hinter den Wettbewerbern Wix aus Israel und US-Anbieter Weebly. Zu Umsatz und Gewinn äußert sich das Unternehmen nicht.
„Wir wollten etwas Kompliziertes leicht machen“, sagt Henze (38), als Betriebswirt zuständig für die kaufmännischen Belange. Christian Springub, der Dritte im Bunde und wie Detzner ohne Berufsausbildung ins Risiko gegangen, ist noch auf einem Termin. Statt seiner hat sich erst einmal Unternehmenssprecher Heiko Lammers dazu gesetzt. Als 50-Jähriger sprenge er zwar den Altersdurchschnitt von 33 Jahren der 260 Jimdo-Mitarbeiter, „aber er darf hier sein Gnadenbrot verzehren“, flachst Detzner. In Lammers Arbeitsvertrag steht als Funktionsbeschreibung „Kapitän der Unternehmenskommunikation“.
Als sich der Besuch nach vielen Treppen, Stockwerken, Flurwindungen, vorbei an begrünten Wohnbüros mit fröhlich aussehenden jungen Menschen, die ihre Skateboards neben dem Schreibtisch geparkt haben, im Konferenzraum der Firmengründer endlich setzen darf, plaudern die Männer statt über Unternehmenszahlen erst einmal über gemeinsam ausgeübte Abenteuersportarten wie das Besteigen von Bergen in Katmandu, Segelfliegen oder Paragliden sowie ihre Leidenschaft für praktische VW-Busse der Marke T5, die sie beide fahren und bei Bedarf auch mal zum Schlafen nutzen. Dass Springubs Vater, ein Steuerberater, mitverantwortlich ist für den Erfolg dieses Unternehmens, kommt eher nebenbei heraus. „Springs Papa hat uns von Beginn an geholfen“, sagt Henze. „Irgendwann war unser Ziel, sein größter Kunde zu werden. Das haben wir geschafft.“
Jimdo, das Technologieunternehmen auf einem Fabrikgelände an der Stresemannstraße gelegen, nimmt die Sache mit der etwas anderen Firmenkultur nicht nur äußerlich ernst. 3,50 Euro kostet das Mittagessen, was darüber hinausgeht, bezuschusst das Unternehmen. Hinter den Töpfen der einsehbaren Küche gleich im Erdgeschoss arbeitet mit Amaradjan Samake, alias Sam, ein Koch, der in London Sous-Chef von 60 Kollegen war und entsprechend Kreatives auf die Teller bringt. Sogar um die Selbstausbeutungsprävention kümmern sich die Führungskräfte. „Wir achten darauf, dass niemand zu lange arbeitet“, sagt Henze. „Unsere Mitarbeiter sollen sich ihre Kräfte vernünftig einteilen.“
Die Bemühungen um ein gutes Arbeitsklima zahlen sich aus. 15 Mitarbeiter aus der ersten Stunde sind noch dabei. „Die Wechselquote bei uns ist niedrig“, sagt Henze. Das ist mutmaßlich auch deshalb der Fall, weil die Chefs die Werte der gewünschten Firmenkultur vorleben. Vertrauen, Hilfsbereitschaft, Respekt, der Verzicht auf Ellenbogenmentalität, aber auch das Versprechen, das Beste zu geben – das gehört zum Selbstverständnis der drei Gründer. „Wir haben eine Vorbildfunktion, die wir ernst nehmen“, sagt Detzner. Vor einem Jahr besorgten sie sich 25 Millionen Euro frisches Kapital vom US-Investor Spectrum Equity. Die Branche reagierte irritiert. Schon einmal hatten sie einen Investor ins Boot geholt, um dann nach zwei Jahren die Anteile zurückzukaufen. „Wir hatten zu unterschiedliche Vorstellungen“, sagt Detzner. Ein weiteres Beteiligungsangebot schlugen sie später aus. Und nun doch der Abschied von der Unabhängigkeit? Womöglich mit für irgendwann geplanter Exit-Strategie? „Wir kennen unsere Geschäftspartner gut und sehr lange“, sagt Henze. „Sie nehmen Einfluss, wie wir es wünschen. Und ob wir irgendwann einmal verkaufen, wird die Zukunft zeigen. Unabhängig davon sehen wir optimistisch in die Zukunft.“
Gut ein Viertel der Anteile bekam der Geldgeber laut Handelsregister, schreibt die „Gründerszene“. Daraus errechnete sich zum damaligen Zeitpunkt einen Firmenwert von 100 Millionen Euro. „Dann sind Sie, sorry, seid ihr also Millionäre?“ Ein kurzes Zögern. „Auf dem Papier schon“, sagt Henze. „Aber es geht uns um etwas anderes. Wir wollen unser Wachstum beschleunigen, in andere Länder expandieren, neue Technologien ausprobieren. Dabei könnte das frische Geld helfen.“ Gut 50 Prozent des Umsatzes macht das Unternehmen im europäischen Ausland, aber auch in Japan und den USA.
Damit nun aber nicht der Eindruck von Kapitalisten im Schafspelz entsteht, gibt Detzner schnell wieder den Sonnyboy: „Wir wollen den Erfolg, aber nicht um jeden Preis. Geld ist nicht unsere Motivation. Der Spaß an der Arbeit darf nicht zu kurz kommen.“ Derzeit wird im Untergeschoss an einem Mini-Kundenzentrum gebaut. Dort soll künftig praktische Hilfe für jedermann möglich sein. „Wir wollen nah ran an unsere Zielgruppe“, sagt Heiko Lammers. Das ist durchaus auch örtlich gemeint. Zwei gemütliche, aber extrem enge Kabinen sorgen für Diskretion. „Zum Luftholen sollte man zwischendurch besser rausgehen“, scherzt nun auch der Pressechef.
Inzwischen ist Christian Springub (33) eingetroffen. und fügt sich nahtlos ein ins muntere Geplauder, als er eine Charakterisierung des Führungsmiteinanders abgibt: „Friedel ist unser Sonnenschein, immer in Aktion und mutig in seinen Entscheidungen. Matze ist der Analytiker, der schaut und rechnet, was geht. Und ich bin der Pragmatiker. Ich sach, Jungs, lass’ mal fertig machen.“
Mehrmals im Jahr reisen sie ins Silicon Valley, dort, wo Gründerkultur im Erbgut verankert scheint, und die Bereitschaft, Wissen zu teilen, ausgeprägter als in Deutschland. „Für uns ist das jedes Mal fantastisch, weil wir uns an Unternehmen orientieren können, von denen wir lernen können“, sagt Springub, der anderthalb Jahre das Büro in San Francisco aufbaute und dort den Kontakt zum jetzigen Investor ausbaute.
Ihre eigene Geschichte begann 2004 auf dem elterlichen Gehöft von Fridtjof Detzner bei Cuxhaven. Dort entwickelten sie in langen Nächten im „Hotel Mama“ jene Onlinesoftware, die heute Grundlage für den Jimdo-Baukasten ist. Bauernhof statt Garage geht auch.