Hamburg. Steigen die Schiffsgrößen weiter, wird Hamburg nicht mehr angelaufen. Experten fordern neue Strategie.
Über die Konkurrenz redet man im Hamburger Hafen nicht gern. Vor allem nicht, wenn es der Konkurrenz besser geht als einem selbst. Antwerpen hat Hamburg im vergangenen Jahr als zweitgrößten Hafen in Nordeuropa abgelöst. Und auch in diesem Jahr läuft es bei den Belgiern prächtig. Das Wachstum ihres Seehafens betrug im ersten Halbjahr 3,6 Prozent. Und in Hamburg? Noch hält die Marketinggesellschaft des Hafens die Zahlen zurück. Doch eines ist schon jetzt aus informierten Kreisen deutlich zu vernehmen: Ein Wachstum gibt es nicht. Stattdessen verliert Hamburg laufend Marktanteile – und das schon seit mehreren Quartalen.
Noch gehört Hamburg zu den größten Häfen Europas und zählt bei den Reedereien weltweit zu den beliebtesten. Dennoch sehen Experten die Zeit dafür gekommen, sich Gedanken über die Zukunft des maritimen Herzstücks der Hansestadt zu machen. Der größte Hafenbetreiber HHLA hat im vergangenen Jahr mehrere Schiffsdienste zur Warenverteilung an die Konkurrenzhäfen verloren. Und inzwischen heißt es, dass im kommenden Jahr sogar ein weiterer großer Asiendienst nach Rotterdam umziehen wird. Dann wird der Containerumschlag noch weiter zurückgehen. Hamburg steht also am Scheideweg zwischen Welt- und Provinzhafen.
Riesenschiffe werden nur noch wenige Häfen anlaufen
Nach Ansicht von Martin Makait, dem Chef des Beratungsunternehmens und Logistikspezialisten MWP GmbH, ist die Entscheidung schon gefallen. Für ihn sprechen äußere Umstände gegen Hamburg als Mega-Hafen. „Bis 2025 werden etwa 600 außergewöhnlich große Containerschiffe den Dienst aufgenommen haben. Diese werden dann nur noch einige wenige Tiefwasserhäfen in Europa anlaufen und dort ihre gesamte Ladung löschen“, sagt Makait. Von dort würde sie dann weiterverteilt. „Diese Konzentration, die Kapazitätserweiterungen in den Tiefwasserhäfen Rotterdam und Wilhelmshaven und die auch nach einer möglichen weiteren Elbvertiefung erschwerte Zufahrt zu Hamburg legen die Vermutung nahe, dass Hamburg nicht zu den Mega-Hubs gehören wird“, sagt Makait. Hamburg und auch Bremerhaven würden dann eher zu regionalen Häfen herabgestuft. „Wegen des hohen Aufkommens an lokaler Ladung werden auch dann noch große Schiffe nach Hamburg kommen, aber im geringeren Maße als bisher“, sagt Makait, der für die Bundesregierung die jüngste Seehafenverkehrsprognose aufgestellt hat.
Hamburg steht seiner Einschätzung nach vor großen Herausforderungen: Die Zunahme an Direktanläufen der Ostseehäfen, wodurch Hamburg einen Teil seiner Bedeutung als Verteilzentrum für Skandinavien und das Baltikum einbüße. Ebenso den Ausbau der Häfen im Mittelmeerraum, die ihre Ladung künftig schnell durch den Gotthard-Basistunnel Richtung Norden bringen können. Und schließlich führt die Bildung neuer Reedereiallianzen möglicherweise dazu, dass Fahrpläne einstmals treuer Kunden unter den Reedereien geändert und Hamburg als Anlaufstation gestrichen wird.
Schmerzhafte Verluste sind also einzukalkulieren. Zumal das Ladungsaufkommen insgesamt nicht mehr so stark zunimmt wie in der Vergangenheit. Vor 2000 wuchs der Welthandel fast doppelt so schnell wie die Weltindustrieproduktion. Doch diese Hebelwirkung hat sich deutlich abgeschwächt: „Infolge des Aufbaus von Produktionskapazitäten in den Schwellenländern gleichen sich Welthandel und Wirtschaftswachstum an“, sagt Makait. Zudem dürfte der neue 3-D-Druck auch zu weniger Ladung führen, da etwa Ersatzteile dezentral vor Ort hergestellt werden können, anstatt sie von weither heranzuschaffen.
Makait zufolge haben sich in den vergangenen drei Jahren so viele Rahmenbedingungen geändert, dass Hamburg einen neuen Hafenentwicklungsplan braucht, obgleich der aktuelle noch bis zum Jahr 2025 geht. „Auf Basis einer Ist-Analyse müssen neue Strategien entwickelt, Wachstumsfelder definiert und daraus ein Maßnahmenkatalog für Hamburg mit einem klaren Flächenbedarf entwickelt werden“, sagt Makait. „Im Ergebnis heißt das, wir brauchen einen neuen Hafenentwicklungsplan.“
Auch der Professor für Maritime Ökonomie an der Hochschule Bremen, Ulrich Malchow, sieht Hamburgs Stellung als bedeutender Containerhafen von grundsätzlichen Entwicklungen bedroht: Die Mega-Carrier seien mittlerweile die ausschließlichen Arbeitspferde auf der für Hamburg so wichtigen Fernostroute geworden. Die bereits im Bau befindlichen Schiffe mit einer Kapazität von 20.000 Standardcontainern (TEU) bekomme man mit „Hängen und Würgen“ noch nach Hamburg – wenngleich schon nicht mehr unter der Köhlbrandbrücke durch. „Danach wird es knapp. Wenn die Standardgröße der Fernost-Schiffe so groß wird, dass sie Hamburg komplett fern bleiben müssen, würde der Hafen mehr als die Hälfte seines Umschlagvolumens verlieren“, sagt Malchow. „Die Folgen wären also dramatisch. Damit würden im Hafen viele Lichter ausgehen“, fügt er hinzu.
Daraus zu schließen, dass die Elbvertiefung nicht benötigt wird, sei wiederum ein Trugschluss. „Der durch die Elbvertiefung vorgesehene zusätzliche Meter Tiefgang hört sich unbedeutend an, hat aber zur Folge, dass auf einem 19.000-TEU-Schiff 15.000 Tonnen mehr Ladung nach Hamburg gebracht werden kann“, sagt Malchow. Das wären rund 1500 Container mehr. Zudem werde das Tidefenster zum Anlaufen und Verlassen des Hafens länger.
Ganz so negativ wie Makait und Malchow sieht die Leiterin des Geschäftsbereichs Infrastruktur bei der Handelskammer, Christine Beine, die Lage des Hamburger Hafens nicht. Gleichwohl hält auch sie den Zeitpunkt für gekommen, sich nun Gedanken über die künftige Entwicklung zu machen: „Der Hamburger Hafen steht zwar vor großen Herausforderungen, dort gehen aber keineswegs die Lichter aus“, meint sie. „Im Zusammenhang mit der Olympia-Entscheidung, der neu zu entwickelnden Flächen sowie der strukturellen Änderungen in der Wirtschaft brauchen wir aber ein Zielbild, wo die Reise hingehen soll. Daran wirken wir mit unseren Ausschussmitgliedern gern mit“, so Beine.
Einig sind sich alle drei, dass Hamburg Chancen hat: „Die grundsätzlichen Determinanten Hamburgs als Containerhafen sind sehr vorteilhaft: Da sind die Lage weit im Binnenland, aber mit seeschifftiefem Wasser, die sehr hohe Quote an lokalem Ladungsaufkommen und die gut ausgebauten Hinterlandverbindungen“, sagt Malchow. „Es spricht daher viel für die grundsätzliche Attraktivität von Hamburg als Hafenplatz.“
Die Effizienz beim Umschlag muss erhöht werden
Doch was muss die Hansestadt tun, um die Zukunft ihres Hafens zu sichern? Eine seiner Stärken ist die hohe Quote an lokalem Ladungsaufkommen. Dabei geht es um Seegüter, die in jedem Fall von Hamburg aus verschifft werden müssen, weil sie in der Metropolregion gefertigt werden. Deshalb plädieren Makait und die Handelskammer dafür, diese lokale Quote zu festigen und auszubauen, durch Ansiedelung neuer Industrie und dem Ausbau der Logistikaktivitäten. „Ein Hafen ist gut, wenn er hocheffizient ist, deshalb sollte auch die Beschleunigung der Abfertigung im Fokus stehen“, sagt Makait. Ähnlich äußert sich Malchow: „Da die Kostenvorteile durch das Größenwachstum der Schiffe ausgereizt sind, muss es nun darum gehen, den Containerlinien im Bereich ihrer Containerlogistik, in dem erhebliche Kosten verursacht werden, Möglichkeiten für Effizienzgewinne zu offerieren. Die interne Containerlogistik des Hafens muss also verbessert werden.“ Beispielsweise müssten leere Container schnell bereit stehen, volle Container zügig weitergeleitet werden. Zudem gilt es Neugeschäft zu gewinnen: Aus Makaits Sicht ist es dabei wichtig, nicht nur auf die großen Container-Terminals zu schielen, sondern auch kleine und mittlere Betriebe, die in anderen Segmenten im Hafen arbeiten, miteinzubeziehen. In der Verladung von Massenstückgut sei beispielsweise noch großes Potenzial, das habe Rotterdam erfolgreich vorgemacht, so Makait.
Malchow plädiert zudem dafür, dass sich die nordeuropäischen Häfen in einer Allianz gegen die Entwicklung immer größerer Schiffe aussprechen sollten. Außer Rotterdam und Wilhelmshaven hätten alle anderen Häfen Probleme, die riesigen Containerschiffe abzufertigen. „Die Branche der global tätigen Containerlinien konsolidiert sich seit Jahren – mit entsprechendem Druck auf die Häfen. Es ist daher an der Zeit, dass sich die Häfen nicht länger gegeneinander ausspielen lassen“, sagt Malchow. „Eine Allianz könnte einiges bewirken.“