Hamburg. Staatsanwaltschaft geht von einem brutalen Übergriff auf eine 19-Jährige aus. Der Angeklagte erzählt eine völlig andere Geschichte.

Ja, es gab DNA-Spuren, die auf dem Körper der 19 Jahre alten Frau gefunden und eindeutig ihm, dem Angeklagten, zugeordnet werden konnten. Ein Sachverständiger wird darüber in dem Prozess noch genaue Angaben machen. Aber Nein: Nasiri Z. will sich am Neujahrsmorgen nicht an der jungen Frau vergangen haben. Über seinen Verteidiger Tim Burkert erklärte der 19-Jährige, dass sie sich ihm freiwillig hingegeben habe. An jenem Morgen sei „das Mädchen immer mitgegangen“, so der Angeklagte. „Ich dachte, dass sie etwas von mir will.“

Verteidigererklärung und Angeklageschrift könnten weiter kaum auseinanderliegen. Hier die Staatsanwaltschaft, die von einem brutalen Sex-Angriff hart am Rande der Vergewaltigung ausgeht. Dort der Angeklagte, der am Neujahrsmorgen bei bitterer Kälte ein Schäferstündchen mit einer fremden Frau gehabt haben will. Wurden also die sexuellen Handlungen mit Gewalt erzwungen? Oder gab es ein Einvernehmen zwischen beiden Beteiligten? Es ist das übliche Dilemma bei Sexualstraftaten. Was wirklich geschehen ist, wird das Gericht aufklären müssen. Es dürfte ein mühsamer Weg zur Wahrheit werden, denn das Opfer, das in dem Verfahren als Nebenkläger auftritt, könne sich kaum an die Tat erinnern, sagt ihre Anwältin Angela Mohrmann-Krützfeld.

Nasiri Z. ist seit Freitag vor dem Jugendstrafgericht wegen sexueller Nötigung und Körperverletzung angeklagt, ein Mann im hautengen T-Shirt, der etwas schüchtern wirkt und sich um ein höfliches Lächeln bemüht, als ihn die Richterin nach seinem Namen fragt. Das mutmaßliche Opfer ist die Studentin Saskia M. (Name geändert). „Sie versucht, ihren Tag so gut wie möglich zu strukturieren“, sagt ihre Anwältin.

In der Silvesternacht gab es Hunderte Übergriffe

Saskia M. hatte in der Silvesternacht auf dem Kiez gefeiert. In jener Nacht waren Frauen hundertfach sexuell belästigt, befummelt und begrabscht worden. Sie beschrieben die Täter übereinstimmend als junge Männer mit Migrationshintergrund – erst vor wenigen Wochen waren vier Tatverdächtige aus der U-Haft entlassen worden, weil die Beweise nicht ausreichten. Auch Nasiri Z., aus Afghanistan geflüchtet und in der ZEA Schnackenburgsallee untergebracht, hatte mit Freunden auf der Reeperbahn gefeiert und dort, so seine Aussage, sehr viel Alkohol getrunken. Er habe Saskia M. schon am Bahnsteig gesehen, sie habe sich dort übergeben müssen. „Guck mal, das Mädchen ist aber betrunken“, habe ein ihm unbekannter arabischer Mann gesagt. Wie sich später herausstellte, lag der bei Saskia M. gemessene Alkoholwert bei 0,8 Promille.

Gegen 7 Uhr betrat Saskia M. die S-Bahn, Nasiri Z., Najim S. (22) und „der Araber“ auch – das belegt eine Videoaufzeichnung aus dem Zug. Am S-Bahnhof Stellingen stiegen sie aus, Saskia M. wurde von den Männern gestüzt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Nasiri Z. über die 19-Jährige nach Verlassen des Bahnhofsbereichs herfiel, dass er trotz heftiger Gegenwehr ihre Hose öffnete, sie in die Brust biss, sie kratzte und derart brutal am Hals festhielt, dass sie Hauteinblutungen erlitt. Schließlich konnte sie sich losreißen und flüchten.

Der Angeklagte erzählt eine völlig andere Geschichte

Ganz anders schildert der Angeklagte die Situation. Schon in der S-Bahn habe Saskia M. seinen Begleiter Najim S. geküsst, und dann, als sie in Stellingen ausstiegen, habe sich die Frau gegen eine Wand gelehnt und sei umgekippt. Die beiden Männer hätten sich zu ihr auf den Boden gelegt „und was mit ihr gemacht. Es kann sein, dass sie Sex mit ihr hatten.“ Nach einem Stopp vor einem griechischen Restaurant sei Saskia M. zu einem Park gegangen, er sei ihr gefolgt. Die Frau habe sich hingelegt, er habe sich daneben gelegt, sie hätten sich umarmt und geküsst, er habe sich dabei selbst befriedigt. Gebissen habe er die Frau nicht. „Das muss der Araber oder Najim gewesen sein.“

Warum sich eine Frau nach einem derartigen Vorfall noch mit einem anderen Mann einlassen sollte, gehört gewiss zu den dringend aufklärungsbedürftigen Fragen in diesem Prozess. Ebenso offen ist, weshalb Nasiri Z. und Najim S. in der Silvesternacht erst in Polizeigewahrsam genommen, dann aber wieder freigelassen worden waren. Anlass dafür seien keine Straftaten gewesen, sagte Oberstaatsanwältin Nana Frombach.

Auch eine Zeugenaussage wirft Fragen auf

Fragen wirft auch die Zeugenaussage eines Wirtes auf, der die junge Frau und die drei Männer auf einer Bank vor seinem griechischen Café an der Kieler Straße sitzen sah. „Sie wirkten auf mich zunächst ganz friedlich, unterhielten sich“, so der Gastronom. Dann habe die Frau einen der Männer weggeschubst. Plötzlich habe sie auf der Straße gelegen, auf ihr kniend der Mann, der sie mit beiden Händen an der Schultern nach unten gedrückt habe. Einer der anderen habe versucht den Angreifer zurückzuziehen und dann ihn gebeten, die Polizei zu rufen. „Als meine Ehefrau rief, die Polizei würde nun kommen, ging die Frau.“ Der Mann, der sie zuvor attackierte, sei ihr gefolgt.

Wie aus einen Notruf-Mitschnitt hervorgeht, soll er der Polizei erst eine versuchte Vergewaltigung angezeigt haben. „Da sind drei Männer, die wollen ein kleines Mädchen ausziehen.“ Daran konnte sich der Zeuge am Freitag jedoch nicht mehr erinnern. Nasiri Z. und Najim S. waren im Februar in der Flüchtlingsunterkunft festgenommen worden. Gegen den 22-Jährigen erhärtete sich der Verdacht jedoch nicht. Er soll nun als Zeuge vor Gericht gehört werden. Der Prozess wird am 21. Juli fortgesetzt. Dann soll das Opfer aussagen.