Hamburg. Bisher sollten 250 Stellen pro Jahr wegfallen. Jetzt aber können Kundenzentren, Bauämter und Polizei wachsen.

Auf den ersten Blick geht es nur um ein paar Stellen mehr oder weniger in den Hamburger Behörden. Doch in Wahrheit verbirgt sich dahinter eine bedeutende politische Weichenstellung: Der Senat rückt von seinem Dogma ab, pro Jahr mindestens 250 Vollzeitstellen in der Verwaltung abzubauen. Ganz offiziell aufgeben will man das Ziel zwar noch nicht, aber künftig solle diese Zielmarke „flexibel gehandhabt“ werden, bestätigte die Finanzbehörde dem Abendblatt. Der Personalabbau hat also spätestens mit dem neuen Doppelhaushalt 2017/2018 nicht mehr oberste Priorität.

Stattdessen gilt nun: Für bestimmte „prioritäre“ Aufgaben soll so viel Personal beschäftigt werden, wie zur Erreichung des politischen Ziels benötigt wird. Das betrifft etwa Bauprüfungen in den Bezirksämtern, um den angekündigten Bau von 10.000 Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Auch die an Personalmangel leidenden Kundenzentren sollen besser ausgestattet werden. Planungs- und Ingenieurleistungen in den Bezirken und Fachbehörden, um Infrastruktur- und Verkehrsprojekte wie U 5, S 4, A-26-Ost oder neue Radwege erstellen zu können, genießen ebenso Priorität wie Bau und Betrieb von Flüchtlingsunterkünften und alle Maßnahmen, die zur Integration von Flüchtlingen wichtig sind. Wie berichtet, wird auch der Bereich Innere Sicherheit gestärkt: Die Polizei bekommt 300 zusätzliche Vollzugskräfte, die Feuerwehr 200 und die Staatsanwaltschaft zehn. Nicht zuletzt soll die Zahl der Lehrer mit der wachsenden Schülerzahl Schritt halten.

„Ein Aufbau von Personal in diesen prioritären Bereichen bedeutet zukünftig nicht mehr, dass an anderen Stellen zusätzlich Personal abgebaut werden muss“, sagte Finanzbehördensprecher Daniel Stricker dem Abendblatt. Zum Teil sei das ohnehin nicht nötig, denn die zusätzlichen Bauprüfer zum Beispiel sollen sich selbst finanzieren, weil ihre Arbeit dafür sorgt, dass die Stadt mehr Geld aus Baugenehmigungs­gebühren einnimmt. So werden die sieben Bezirksämter unterm Strich spürbar mehr Personal haben, von insgesamt rund 100 „Vollzeitäquivalenten“ mehr ist die Rede – das wäre ein Plus von gut 1,6 Prozent. „Wir sind total glücklich mit diesem Haushalt“, sagte ein Bezirksamtsleiter.

„Vollzeitäquivalente“ oder kurz VZÄ ist eine verwaltungsinterne Größe zur Umrechnung von Teilzeit- auf Vollzeitstellen. Hinter einem VZÄ kann also ein Vollzeitmitarbeiter stecken oder zum Beispiel zwei Halbtagskräfte. Daher ist die Zahl der Vollzeitäquivalente immer niedriger als die der Mitarbeiter: Ende 2014 gab es etwa 59.330 VZÄ, aber 62.721 Mitarbeiter.

Dass die Zahl 250 in diesem Zusammenhang so großen Symbolgehalt hat, hatte die SPD schon vor der Regierungsübernahme 2011 selbst forciert. Denn die hohen Mehrausgaben für gebührenfreie Kitas und Studienplätze wollte der neue Scholz-Senat dadurch finanzieren, dass er jedes Jahr mindestens 250 Stellen in der Verwaltung der Stadt abbaut. Das sollte 12,5 Millionen Euro pro Jahr einsparen – aufwachsend, nach zwei Jahren also schon 25 Millionen, nach vier Jahren 50 Millionen und so weiter. Die Frage, ob der Senat sein Ziel erreicht hat, war seitdem in jedem Jahr ein heftig umstrittenes Politikum.

Aufgaben der Verwaltung steigen stetig

Das fing schon mit der Datengrundlage an. Nachdem die SPD-Regierung anfangs den Eindruck erweckt hatte, das Abbauziel beziehe sich auf die gesamte Verwaltung, steuerte sie schnell nach und betonte, dass bestimmte Bereiche ausgenommen seien. Das betraf etwa die Polizei, die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) und Lehrer, deren Zahl wachsen musste, weil die Klassen kleiner werden sollten. Und schließlich blieb die Interpretation der Zahlen zwischen Regierung und Opposition immer umstritten.

So behauptete der Senat vor einem Jahr, 2013 und 2014 sei der Personalbestand „im Jahresschnitt um jeweils 298 Vollkräfte verringert“ worden. Die von ihm präsentierten Zahlen belegten das aber nicht. Letztlich war es so, dass ein Abbau im Kern der Verwaltung durch Einstellungen an anderer Stelle zunichtegemacht worden war, etwa, weil Dolmetscher für Flüchtlinge gebraucht wurden und die Hochschulen 200 Vollkräfte eingestellt hatten.

Die Personalausgaben der Stadt steigen ohnehin stetig: So wachsen die Kosten für die aktiv Beschäftigten von 2,67 Milliarden (2016) auf jeweils rund 2,75 Milliarden für 2017 und 2018 – ein Plus von 3,1 Prozent in zwei Jahren. Die gesamten Personalaufwendungen, also für Aktive und Pensionäre sowie entsprechende Rückstellungen, sind für 2017 sogar mit 4,9 Milliarden Euro veranschlagt, rund 4,0 Prozent mehr als 2016. Der Anstieg hat drei Gründe: erstens die Tariferhöhungen, zweitens die stark steigenden Pensionslasten und drittens eben der politisch gewollte „Personalaufwuchs“.

Auch für den gibt es drei Argumente: Die Einwohnerzahl Hamburgs steigt seit Jahren kräftig und mit ihr die Aufgaben der Verwaltung. Hinzu kommt seit 2014 der Kraftakt in Sachen Flüchtlinge, der in fast allen Behörden enorm viel Personal bindet. Und nicht zuletzt ist die finanzielle Lage so gut, dass mehr Geld ausgegeben werden kann, ohne dafür Schulden machen zu müssen – daher fiel es dem Senat zuletzt immer schwerer, den Personalabbau zu rechtfertigen.

Völlig vom Tisch ist das Ziel dennoch nicht. „Im Kernbereich der Verwaltung soll der Vollkräfteabbau fortgeführt werden“, sagte Finanzbehörden-Sprecher Stricker. Aufgabenkritik und effizientere Abläufe, etwa durch besseren IT-Einsatz, halte man weiterhin für „sinnvoll und erforderlich“.