Hamburg. Heiko Fischer, Chef des Hamburger Logistikkonzerns VTG, über Transporte der Zukunft und seinen neuen Großaktionär.

Europas größter privater Vermieter von Güterwaggons für Eisenbahnen, VTG, stellt sich neu auf: Das Hamburger Unternehmen modernisiert seine Flotte und hat mit Klaus-Michael Kühne einen neuen Großaktionär gefunden. Vorstandschef Heiko Fischer spricht im Abendblatt erstmals über sein Verhältnis zu Kühne und erklärt, warum Eisenbahnwaggons intelligent werden müssen.

Herr Fischer, Ihr Vertrauen in die Wachstumskraft Ihrer Branche ist nicht sehr groß.

Heiko Fischer: Wieso?

Ihr Ausblick für das laufende Geschäftsjahr bei der Hauptversammlung lautete: Die VTG wird sich durch Effizienzsteigerungen gut entwickeln. Der Markt bleibt schwierig. Kann man sagen VTG hui, Marktlage pfui?

Fischer: Das ist sehr verkürzt dargestellt, aber da ist durchaus etwas dran. Die Transportmärkte sind insgesamt sehr volatil geworden. Die vormals stetigen Mengen aus China sind nicht mehr so stetig. Und wir erleben weltweit seit der Finanzkrise industrielle Anpassungsprozesse, die noch nicht abgeschlossen sind. Trotz historisch niedriger Zinsen wird fast nirgendwo investiert. Man wartet ab.

Wie wollen Sie noch wachsen?

Fischer: Ganz ehrlich? Ich bin gar nicht so traurig darüber, dass der Markt derzeit kein großes Wachstum von uns fordert. Nach der starken Ausweitung des Geschäfts in den vergangenen Jahren und der großen Übernahme unseres Schweizer Wettbewerbers AAE 2015 wollen wir dieses Jahr dazu nutzen, uns intern zu konsolidieren. Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen. Dazu gehört auch unser Projekt VTG 4.0.

O nein. Schon wieder dieses Schlagwort 4.0. Jeder versteht darunter etwas anderes.

Fischer: Genau. Mancher der eine E-Mail schreibt, glaubt schon, er sei digitalisiert. Aber bei uns hat das 4.0 seine Berechtigung. Sogar eine doppelte!

Jetzt sind wir aber gespannt.

Fischer: Zum einen haben wir das vierte Kapitel unserer selbstständigen Entwicklung erreicht. Das erste war der Aufbau der Eigenständigkeit nach der Auflösung der alten Preussag AG. Das zweite Kapitel war der Börsengang 2007, der die VTG mit ausreichendem Kapital fürs Wachstum ausstattete. Die dritte Phase war stark durch Übernahmen, den Kauf weiterer Waggons und durch internationale Expansion geprägt. Jetzt kommen wir in die vierte Phase. Dazu gehört auch die Digitalisierung. 4.0 bedeutet für uns, dass sich nicht nur unsere Dienstleistungen, sondern auch unsere Betriebsmittel, also die Waggons, in die digitale Wertschöpfungsketten einfügen.

Jetzt wird es kompliziert. Was meinen Sie damit? Intelligente Waggons?

Fischer: Ganz genau. Wie „Warzenschweine“ werden derzeit einige unserer Waggons zu Testzwecken mit Sensorsystemen bestückt, die unterschiedliche Informationen liefern. Nicht ständig, wir wollen ja keine Datenfriedhöfe produzieren, aber das System soll sich immer dann melden, wenn es ein Problem gibt. Das fängt beim Verkehr an, etwa wenn eine Waggonkolonne zu langsam ist oder irgendwo lokalisiert werden muss. Weiter geht es mit den Daten zum Wagenzustand. „Hallo, bei mir läuft eine Bremse heiß oder ein Rad unrund.“ So können wir eingreifen, bevor Schäden auftreten. Das Dritte sind dann Hinweise zum Ladungszustand. „Bei mir ist eine Palette verrutscht.“ Das alles sind wichtige Daten, die uns die Fahrzeuge per Datenübertragung nach Hamburg übersenden können.

Schön, aber die Daten sammelt man doch nicht zum Selbstzweck. Wird Ihr Geschäft dadurch wirklich effizienter?

Fischer: Viel effizienter! Weniger Waggons fallen aus. Personal, das an den verschiedenen Stationen der Logistikkette benötigt wird, kann punktgenau einbestellt werden und muss nicht vor Ort auf das Eintreffen des Zuges warten. Warenströme werden zuverlässiger und kommen bedarfsgerecht an. Wenn wir das erreichen, können wir die Kosten des Gesamtsystems senken – nicht nur die Einzelkosten für den Transport oder die Infrastrukturnutzung, sondern die Kosten der gesamten Wertschöpfungskette. Wir erhöhen dadurch die Attraktivität des Schienengüterverkehrs und bringen mehr Verlader dazu, auf die Bahn zu setzen. Die Bahn hat da noch ganz viele Reserven. Übrigens viel mehr Reserven als das System Lkw. Das macht mich für den Verkehrsträger sehr zuversichtlich.

Der billige Dieselpreis führt zur Verlagerung von Transporten von der Schiene auf die Straße. Droht die Bahn das Wettrennen mit dem Lkw zu verlieren?

Fischer: Nein, das sicher nicht. Es gibt allenfalls Rückschläge. Der niedrige Benzinpreis ist nur ein Problem. Ein anderes sind regulative Behinderungen.

Wie das?

Fischer: Bleiben wir beim Vergleich mit dem Lkw. Seit 2010 sinkt der durchschnittliche Mautsatz auf der Straße, während die Trassenpreise auf der Schiene deutlich steigen. Hinzu kommen neue Lärmschutz- und Sicherheitsbestimmungen, die dem Schienenverkehr zusätzliche finanzielle Nachteile bringen und deren Umsetzung nicht ausreichend gefördert wird. Zum Teil laufen die Vorgaben gegeneinander.

Inwiefern?

Fischer: Einerseits schaffen wir einen europäischen Güterverkehrsraum, andererseits wollen die Nationalstaaten ihre Sonderregelungen nicht aufgeben. Plötzlich werden in Polen europaweit zugelassene Fahrzeuge nicht mehr anerkannt. So etwas passiert den Lkw nicht. Hinzu kommen immer wieder Streiks. Da wird die Bahn ähnlich wie Flughäfen gerne lahmgelegt, weil das zu schnell sichtbaren Auswirkungen führt.

Befürchten Sie Einbußen aufgrund der Sparpläne der Bahn im Cargo-Geschäft?

Fischer: Wenn die DB Cargo bundesweit Verladestationen schließt, Anschlussstellen stilllegt und Personal abbaut, schwächt sie das Infrastruktursystem Schiene in Deutschland als Ganzes. Hier greift der Hauptnutzer des Systems Schiene in die Daseinsvorsorge ein, denn einmal abgebaut, kann ja auch keine andere Bahn so leicht dorthin fahren. Das kann für uns keine positive Entwicklung sein. Dem Schienengüterverkehr tut man so keinen Gefallen.

Herr Kühne ist nun bei der VTG eingestiegen und damit zweitgrößter Anteilseigner. Ihr letzter Versuch einer Zusammenarbeit in einer Schienenlogistikfirma war ja schiefgegangen. Was macht Sie zuversichtlich, dass es diesmal klappt?

Fischer: Zunächst einmal stimmt Ihre Darstellung nicht ganz. Ich kenne Herrn Kühne seit 15 Jahren. Jahrzehntelang hat das Joint Venture mit Kühne + Nagel sehr gut funktioniert. Dass es endete, lag an den äußeren Umständen. Wenn jemand mit Anstand und ohne Streit so etwas beenden kann und anschließend immer noch so gut Freund ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Vermögensverwaltung des einen Unternehmens in das andere investiert, dann zeugt das von gegenseitigem Respekt und großem Vertrauen.