Hamburg . Bergedorfer Schifffahrtslinie verbindet die Elbphilharmonie mit dem Reichstag. Der Markt wächst – doch der Tiefgang wird zum Problem.

Anleger Serrahn, Bergedorf. Ein leichtes Vibrieren des Motors – und das Schiff legt ab. Langsam verlieren die Gäste die Shoppingmeile eine halbe Stunde östlich der Hamburger City aus den Augen, der Autolärm und das hektische Treiben sind wenige Sekunden später vergessen. Grüne Ufer kommen in Sicht, Wellen schlagen in Schilfgürtel, Enten schwimmen aus dem Weg. „Hier sieht man mit etwas Glück auch Biberbauten“, sagt Heiko Buhr, der Chef der Bergedorfer Schifffahrtslinie. Der 45-Jährige hat die Firma vor rund 20 Jahren gegründet, „Flussverliebt seit 1998“, heißt der Leitspruch des Ausflugsanbieters, und die Werbung ist Programm: Heiko Buhr kommt aus einer Familie von Binnenschiffern, schon als Kind entdeckte er die Schönheiten der deutschen Ströme. „Besonders von der Natur war ich schon immer begeistert“, sagt er. Bergedorf-Touren, Fahrten in die Marschlande und in den Hamburger Hafen, das ist für die Schifffahrtsgesellschaft seit Jahren ein festes Angebot im Ausflugsprogramm.

Doch seit Kurzem wagt sich Buhr auf neues Terrain: Er ist Anbieter der einzigartigen Kreuzfahrt Hamburg–Berlin. „Wir sind das einzige Fahrgastschiff, das die Elbphilharmonie und den Reichstag verbindet“, wirbt der Unternehmer für seine Idee. Mit der „Serrahn Queen“, einem Ausflugsschiff, das trotz eines Oberdecks mit großer Freifläche so flach ist, dass es die Brücken bis in die Berliner Innenstadt passieren kann, geht Buhr auf große Fahrt. Fünf Tage abwechselnd auf dem Schiff und in Hotels, das ist das Programm der City-Tour in die Hauptstadt. „Und unterwegs sehen Sie Störche auf den Wiesen, Rehe am Ufer, Eisvögel und Wasch­bären“, schwärmt Buhr, der selber am Ruder steht und sich die Tiersichtungen oft von Gästen schildern lässt, die es sich mit dem Fernglas auf dem Liegestuhl an Deck bequem gemacht haben.

Der Anbieter aus Bergedorf engagiert sich mit den Flusskreuzfahrten in einem wachsenden Markt. Im vergangenen Jahr buchten fast 6,6 Millionen Europäer eine Kreuzfahrt – 3,1 Prozent mehr als im Jahr zuvor, rechnete der Fachverband CLIA (Cruise Lines International Association) aus. Die größte Gruppe der europäischen Passagiere kam aus Deutschland: Über 1,8 Millionen Urlauber entschieden sich für eine Schiffsreise, das waren 27,5 Prozent aller europäischen Passagiere. Da mit einem weiteren starken Wachstum gerechnet wird, freuen sich die Werften über volle Auftragsbücher: Gegenwärtig haben die Kreuzfahrt-Reeder zwölf Schiffe im Wert von 8,9 Milliarden Euro bis 2019 auf deutschen Werften in Auftrag gegeben.

30.000 Fahrgäste und mehr als 400 Touren im Jahr

Speziell für die Flusskreuzfahrten sah es zwar lange Zeit düster aus. Hochwasser, Streiks der Schleusenwärter, niedrige Pegel des Rheins und der Donau – und schließlich die Insolvenz von Nicko Tours im vergangenen Jahr: All diese Probleme schreckten Urlauber eher von einer Flussreise ab. Doch dieses Tief der Branche ist überwunden.

Auch Nicko Cruises ist zurück auf dem Markt und fährt jetzt noch mit 19 Schiffen. Insgesamt 33 waren es vor der Insolvenz. Ein ruinöser Preiskampf beherrschte den Markt – doch die Kosten allein sollen die Gäste heute nicht mehr zu einer Flusskreuzfahrt bewegen. Die Bergedorfer Schifffahrtsgesellschaft bietet die Tour nach Berlin für 889 Euro pro Person inklusive Übernachtungen in Mittelklassehotels (meist vier Sterne), Frühstück und Mittagessen an. Unterwegs können die Gäste das Programm an Land selber auswählen. „Anders als bei klassischen Flusskreuzfahrten mit Übernachtung auf dem Schiff haben wir viel Zeit an Deck, aber auch viel Zeit bei den Stopps eingeplant“, sagt Buhr. Beim Stopp in Wolfsburg können Technikinteressierte etwa die Autostadt direkt am Anleger erkunden, Fashionsfans bummeln in der Zeit vielleicht lieber durch das große Outlet­center der niedersächsischen Industriestadt. Auch bei den Stopps in Bad Bevensen, in Magdeburg oder in Brandenburg an der Havel können die Passagiere selber auf Erkundungstour gehen oder im Stadt- und Restaurantführer des Anbieters nach Sehenswürdigkeiten schauen. In Berlin steht eine Stadtrundfahrt zur Wahl, die Gäste zusätzlich zur Besichtigungstour auf dem Wasser buchen können.

„Aber wir sehen vom Schiff aus ohnehin schon eine Menge“, sagt Buhr, der den Abschnitt kurz vor der Hauptstadt, in der Seenlandschaft bei Potsdam für eine der schönsten Flussregionen Deutschlands hält. „Die Natur ist weitgehend unberührt, zu DDR-Zeiten war hier ja auch nicht viel los“, sagt der gebürtige Hamburger.

In Berlin kreuzt das Schiff dann quer durch die deutsche Geschichte: Es geht vorbei an der Glienicker Brücke, auf der die Agenten beider Militärlager ausgetauscht wurden, der Blick fällt achtern aufs Babelsberger Schloss mit seinem Park direkt am Ufer. Im Stadtteil Charlottenburg wird die Szenerie städtischer, und schon kommen das Schloss Bellevue, das Kanzleramt und der Reichstag als Bauwerke der heutigen Regierung in Sicht. Die Museumsinsel ist vom Anleger dann auch nur noch einen Katzensprung entfernt. Zurück geht es – je nach Geschmack – mit dem Reisebus, einem Shuttleservice oder dem Zug.

Für Heiko Buhr ist die Tour nach Berlin erst der Anfang einer weiteren Ausdehnung seiner Fahrtrouten. „Wir haben ein Forschungsprojekt bei der Schiffbauversuchsanstalt angeregt, das sich mit neuen Schiffen beschäftigt“, sagt Buhr. Die Idee: Konstruktionen mit einem Tiefgang von weniger als 50 Zentimetern zu schaffen. Das Problem: Die Elbe verschlickt immer mehr, meist wählen die Bergedorfer die Route nach Berlin über den Elbeseiten- und den Mittellandkanal, weil das Schiff sonst auf Grund laufen würde.

Bisher hat Buhr drei Schiffe laufen, zehn feste Mitarbeiter beschäftigt der Inhaber. 30.000 Fahrgäste im Jahr zählt die Bergedorfer Schifffahrtslinie inzwischen, bei mehr als 400 Touren. Buhr denkt neben der Berlinreise auch schon an andere Ziele, etwa an eine Kreuzfahrt zur Mecklenburgischen Seenplatte. Demnächst geht es für den Familienvater dann erst einmal in den Urlaub, und wieder steht ein Fluss auf dem Programm – und Buhr am Ruder: „Wir fahren Hausboot, auf dem Canal du Midi“, sagt der Flussverliebte.