Hamburg. Milliardär Dirk Roßmann über Unternehmertum, den Hamburger Konkurrenten Budnikowsky und seltsame Begegnungen im Zug.

Das geht ja gut los! Ein eher kritisches „Kennen wir uns?“ zur Begrüßung in seinem Büro in der Firmenzentrale in Burg­wedel, direkt an der Autobahn 7, gut 20 Kilometer von Hannover entfernt. Dirk Roßmann wirkt im ersten Moment ein wenig distanziert: der Selfmade-Milliardär, der sich aus einfachen Verhältnissen zum bekanntesten Drogerieketten-Besitzer Deutschlands hochgearbeitet hat. Doch schnell wird klar, die Einstiegsfrage kam aus echtem Interesse heraus. Denn der Unternehmer, der am 7. September seinen 70. Geburtstag feiert, interessiert sich für weit mehr als Zahnpastatuben-Preise und Waschmittelpackungsgrößen. So entwickelt sich ein inspirierendes, sehr persönliches Gespräch, in dem Umsatz und Rendite nur am Rande eine Rolle spielen.

Welches Buch lesen Sie gerade?

Dirk Roßmann: (lange Pause) Von Juli Zeh „Unterleuten“. Und ich finde dieses Buch großartig. Ich habe so lange nachgedacht, nicht weil ich so wenig lese, sondern weil ich so viel lese. In den vergangenen vier Wochen alleine fünf Bücher.

Sie gelten als geradezu leseverrückt, lieben vor allem die Literatur des 19. Jahrhunderts. Was fasziniert Sie an Büchern?

Roßmann: Gute Literatur erweitert den eigenen Horizont. Wir erfahren durch Bücher etwas über Welten, die wir nicht kennen. So bekommen wir ganz neue Anregungen für unser Gehirn. Denn wir laufen als Menschen in der heutigen Zeit Gefahr, die Dinge zu monokausal zu sehen. Manche interessieren sich nur für Fußball, andere nur für Geld. Wir dürfen nicht den Blick für die Welt als Ganzes verlieren.

Woher kommt dieser Lesehunger?

Roßmann: Bei mir ist es schon immer – auch als Schüler – so gewesen: Hat mich etwas interessiert, dann zu hundert Prozent. Hat mich etwas nicht interessiert, dann hatte ich meine Schwierigkeiten. Ich habe ja nur die Volksschule besucht, die Lehrer haben mich als nicht besonders intelligent eingestuft. Ein halbes Jahr lang war ich auf der Mittelschule, musste diese aber wieder verlassen. So hat mir zum Beispiel Prozentrechnen nie jemand beigebracht, das habe ich so gelernt. Aber warum ich in Mathematik Wurzelziehen verstehen sollte, das war mir nie klar. Mir ging es immer darum, ob ich etwas im Leben benötige oder nicht. Und Wurzelziehen gehörte nicht dazu.

Lesen Sie Bücher klassisch auf Papier oder auf elektronischen Lesegeräten?

Roßmann: Nur auf Papier. In der digitalen Welt halte ich mich nicht auf. Schauen Sie sich in meinem Büro um: kein Laptop, kein Tablet, kein Smartphone. Und mein Handy ist meist ausgeschaltet. Kommunikation findet bei mir mündlich oder auf Papier statt.

Was denken Sie, wenn Sie beim Einkaufsbummel die Menschen, mit gesenktem Kopf auf ihre Smartphones starrend, durch die Hannoveraner Innenstadt laufen sehen?

Roßmann: Viele tun mir leid, weil sie gar nicht merken, wie fremdbestimmt sie sind. Jeder Mensch hat Zwänge. Aber entscheidend ist doch die Antwort auf die Frage: Was macht der Mensch in der Zeit, in der er keine Zwänge hat, sich nicht ums Geldverdienen kümmern muss? Genau in dieser freien Zeit sollte man sich nicht von anderen Menschen und Entwicklungen der digitalen Welt steuern lassen, sondern selbstbestimmt leben. Den meisten ist gar nicht bewusst, dass im Silicon Valley Menschen nur damit beschäftigt sind, sich darüber Gedanken zu machen, wie unsere Zukunft aussehen soll. Ich möchte aber über meine Zukunft selbst nachdenken und bestimmen.

Andere denken für uns?

Roßmann: Uns wird von anderen vorgegaukelt, was angeblich gut und wichtig für uns ist. Wir erfahren eine Pervertierung unsers Lebens und müssen viel stärker als früher reflektieren, dürfen nicht der einfachen, uns vorgegebenen Lösung vertrauen. Wir müssen uns ständig hinterfragen, was wir wollen, und nicht darauf vertrauen, was andere uns als vermeintlich richtig vorgeben. Bei dieser Reflexion hilft lesen. Ich kann nur jedem empfehlen, das Buch „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley zu lesen. Er hat bereits 1929 Entwicklungen von heute vorausgesagt. Wer dieses Buch liest, der versteht, wie wir von außen manipuliert werden.

Was macht das Internet mit uns?

Roßmann: Das Internet führt dazu, dass wir das Gefühl haben, ständig erreichbar sein zu müssen. Aber warum? Ich will nicht ständig für andere erreichbar sein. Für mich ist es viel wichtiger, für mich selbst erreichbar zu sein. Wann kommen junge Menschen denn heute noch dazu, eigene Fantasien zu entwickeln, über Sachverhalte länger als eine Minute nachzudenken, wenn ständig ihr Smartphone klingelt?

Also verändern Internet, Smartphones und Tablets die Menschen zum Negativen?

Roßmann: Ich will die neue Technik nicht generell verteufeln. Sicherlich hilft sie uns auch. Die Dosierung ist entscheidend. So sagt der bekannte Hirnforscher Professor Spitzer, der übermäßige Umgang mit Computer und Smartphone führe dazu, dass wir Teile unseres Gehirns outsourcen. Denn wir haben ja für alle Fragen mittlerweile Suchmaschinen im Internet, müssen uns immer weniger merken, immer weniger nachdenken. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich dadurch bereits Areale im Gehirn zurückgebildet haben, weil sie nicht länger trainiert werden.

Wird der Mensch durch das Internet dümmer?

Roßmann: Es besteht zumindest die Gefahr, dass er durch fehlende Distanz zur digitalen Diktatur dümmer wird.

Sie zählen mit einem geschätzten Vermögen von 2,9 Milliarden Dollar zu den 50 reichsten Menschen Deutschlands und den 600 reichsten der Welt. Können Sie eigentlich noch unerkannt durch Ihre Heimatstadt Hannover schlendern?

Roßmann: Das geht noch. Ab und zu spricht mich im Zug mal jemand an – meistens sehr nett. Letztens sagte ein älterer Herr zu mir: Sie sehen aus wie der Herr Roßmann. Da meinte ich: Wenn ich morgens in den Spiegel gucke, denke ich das auch. (lacht)

Was machen Sie mit Ihrem ganzen Geld?

Roßmann: Es ist ja nicht so, dass ich das Geld auf meinem Konto habe. Ich besitze als Drogerieunternehmer sehr viel Zahncreme, Seife, Waschmittel und Parfüms, bin aber zugleich darauf angewiesen, dass mir jemand diese Ware abkauft. Das Milliarden-Vermögen ist letztlich nur eine sehr fiktive Größe, und ich bin froh, dass ich heute keine Schulden mehr habe.

Aber Sie sind dennoch vermögend.

Roßmann: Ich habe keine finanziellen Sorgen. Mein Haus ist abbezahlt.

Sind Sie verschwenderisch?

Roßmann: Nein, überhaupt nicht. Ich fahre meinen Mercedes immer acht Jahre lang, bevor ich mir einen neuen kaufe. Kleidung interessiert mich nicht. Meine Frau und ich wohnen in einem Haus auf dem Land, das wir vor 34 Jahren gebaut haben. Ich habe kein Flugzeug, keine teuren Gemälde, keine Immobilie im Ausland.

Sind Sie geizig?

Roßmann: Nein. Ganz und gar nicht. Wenn ich im Urlaub bin, gebe ich gerne Geld aus – für gute Hotels, gutes Essen. Aber andere Dinge sind mir viel wichtiger als Geld: Skat oder Schach spielen, wandern, diskutieren, reisen, die Familie, Freunde. Das sind alles Dinge, die kein Geld kosten und die mir Spaß machen. Das ist mein Leben!

Dann war es nicht Ihr Antrieb als junger Unternehmer, eines Tages viel Geld zu besitzen?

Roßmann: Doch. Als junger Mensch wollte ich so viel Geld haben, dass ich nicht mehr arbeiten muss. Ich wollte frei sein. Als ich das erreicht hatte, hat mich der sportliche Ehrgeiz gepackt. Es gab damals noch 15 Drogeriemarktketten, und Rossmann lag an achter Stelle. Aber wenn man etwas macht, muss man es gut machen.

Ist der Ansporn, die Nummer eins zu werden, für Sie wichtig?

Roßmann: Wir sind schon seit Jahren die Nummer eins.

. . . nicht beim Umsatz.

Roßmann: Aber beim Ertrag – und das schon seit Langem. Wir haben im vergangenen Jahr über 200 Millionen Euro Gewinn nach Steuern ausgewiesen, Rossmann hat die höchste Ertragskraft unter den Drogeriemärkten.

Dann haben Sie jetzt gar kein Ziel mehr?

Roßmann: Ich arbeite in ganz vielen anderen Gebieten als nur im Drogeriemarktgeschäft. Dazu gehört die Stiftung Weltbevölkerung. Die Arbeit der Stiftung hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, die Geburtenrate im Großraum Addis Abeba in Äthiopien auf 1,5 zu senken. Äthiopien ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas nach Nigeria.

Wie gut kennen Sie als gebürtiger Hannoveraner eigentlich Hamburg?

Roßmann: Sehr gut. Ich bin häufig in Hamburg, habe dort gute Freunde und finde die Stadt sehr schön. Nach Hannover ist Hamburg für mich die zweitwichtigste Stadt in Deutschland.

Und wie gut kennen Sie den Chef Ihres Hamburger Konkurrenten Budnikowsky, Cord Wöhlke?

Roßmann: Wir kennen uns schon sehr lange und treffen uns mindestens einmal im Jahr zum Essen.

In Hamburg hat vor zwei Monaten Ihre Aussage, Sie könnten sich eine Übernahme von Budnikowsky gut vorstellen, für Aufsehen gesorgt. Ist Ihr Interesse ernst gemeint?

Roßmann: Selbstverständlich. Wenn Herr Wöhlke verkaufen will, stünden wir als Interessent bereit. Doch zunächst einmal muss Budnikowsky zum Verkauf stehen – das ist ja derzeit zumindest nicht der Fall.

Wie hoch wäre denn Ihr Angebot?

Roßmann: (lacht) Sie haben Humor, mir eine solche Frage zu stellen.

Was macht Budnikowsky gut?

Roßmann: Das Unternehmen hat in Hamburg ein sehr dichtes Filialnetz – und das ist notwendig, wenn man in einer Großstadt wie Hamburg bestehen will. Zudem hat sich Budnikowsky ein gutes Image erarbeitet und einen hohen Bekanntheitsgrad aufgebaut. Allerdings ist es für einen im Vergleich zu dm und uns eher kleineren Wettbewerber auf dem Markt sehr schwer, bei den Kosten im Einkauf, bei den Preisen, beim Aufbau eigener Marken in der Qualität mitzuhalten.

Budnikowsky schreibt seit zwei Jahren Verlust, auch bei Rossmann ist der Gewinn 2015 gesunken …

Roßmann: ... das kann man nicht miteinander vergleichen. Wir hatten 2014 das allerbeste Geschäftsjahr. 2015 war der Ertrag prozentual zum Umsatz lediglich um vier Prozent geringer; weil der Umsatz auch noch höher war als 2014. Rossmann hat nach wie vor die höchste Umsatzrendite unter allen Drogeriemärkten.

Bereitet Ihnen dennoch die zunehmende Konkurrenz von Supermärkten und Discountern, die verstärkt klassische Drogerieartikel in ihr Sortiment aufnehmen, Sorgen?

Roßmann: Nein. So ist halt der Markt. Wir müssen jeden Tag besser werden, uns anstrengen. Wer in der Bundesliga mitspielen will, muss täglich an seiner Qualität arbeiten. Und das tun wir.

Wie wird die typische Rossmann-Filiale 2026 aussehen? Wird es dort Obst, Gemüse und frisches Brot geben?

Roßmann: Ein sehr großes Sortiment an Lebensmitteln werden wir sicherlich nicht haben – das ist viel zu aufwendig und teuer. Zudem machen das Edeka, Rewe und die Discounter schon nahezu perfekt. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass wir unser Sortiment an Bioprodukten ausbauen. Zudem dürften die Filialen größer werden als heute. Wir haben ja jetzt schon in Hannover und Berlin Filialen mit bis zu 1300 Quadratmetern eröffnet. Die Kunden wollen ein umfangreiches Sortiment.

Werden die Menschen künftig ihre Drogerieartikel von Rossmann verstärkt im Internet kaufen?

Roßmann: Drogerieartikel im Internet zu verkaufen ist ein schwieriges Geschäft. Das liegt an den niedrigen Margen, die wir zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis erzielen. Da haben es Textilhändler einfacher, weil deren Margen extrem viel höher sind.

Wie läuft denn der Rossmann-Onlineshop?

Roßmann: Der Zustand ist ausbaufähig. Wir machen dort 23 Millionen Euro Umsatz im Jahr.

… aber Sie schreiben mit dem Shop keine schwarzen Zahlen?

Roßmann: Die schreiben wir seit zehn Jahren nicht.

Sie werden im September 70 Jahre alt. Ein perfekter Zeitpunkt, Ihren beiden Söhnen die operative Führung des Geschäfts ganz zu überlassen?

Roßmann: Wenn mir meine Söhne das Gefühl geben, dass sie mich nicht mehr brauchen, dann höre ich auf. Aber das Gefühl geben sie mir nicht. Im Gegenteil: Ich habe den Eindruck, dass es ihnen noch großen Spaß macht, mit mir zu diskutieren, zu streiten, nach der besten Lösung zu suchen.

... und am Ende entscheidet der Vater?

Roßmann: Nein, im Gegenteil. Ich sehe mich als Teil einer Gemeinschaft. Unser Ziel ist es immer, einen Kompromiss zu finden.

Sie sind also nicht der klassische Patriarch?

Roßmann: Wenn ich wie ein klassischer Patriarch handeln würde, wären wir längst pleite.

Zum Schluss eine Frage an Sie als Miteigentümer von Hannover 96. Wie war Ihre Gefühlslage beim jüngsten Abstieg in die Zweite Bundesliga?

Roßmann: Ich war sehr verärgert. Aber nicht mehr als der Abstieg feststand, sondern im Herbst 2015, als Hannover 96 so schlechten Fußball gespielt hat. Da wurden viele Fehler gemacht.

Und wie geht es mit Hannover 96 weiter?

Roßmann: Wir werden direkt wieder in die Bundesliga aufsteigen.