Hamburg. Heiko von Tschischwitz spricht im Interview über die Zukunft der Stromversorgung, die Rolle der Politik und neue Geschäftsfelder.
Heiko von Tschischwitz (48) gilt als Pionier des Ökostrommarktes. 1998 gründete er den ersten reinen Ökostromanbieter Lichtblick und behauptet auch heute mit dem Unternehmen die Marktführerschaft. Im Interview mit dem Abendblatt erklärt er, wie es um die Energiewende steht und warum ihn die aktuelle Debatte um das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) langweilt.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 und dem Beschluss zum Atomausstieg gab es in Deutschland eine richtige Aufbruchstimmung. Die Energiewende war für viele Deutsche ein wichtiges Thema. Es gab viel Aktionismus. Das ist vorbei. Ist der Schwung aus der Energiewende raus?
Heiko von Tschischwitz: Nein, das glaube ich nicht. Sicherlich hat das Engagement nachgelassen. Das liegt aber nicht an einem allgemeinen Desinteresse, sondern daran, dass die Energiewende für die Menschen Alltag geworden ist. Ich glaube aber auch, dass die Leute die aktuelle politische Diskussion über das EEG langweilt.
Warum ist das so?
Tschischwitz: Weil sie der politischen Diskussion überdrüssig sind. Die Politik glaubt immer noch, dass die Energiewende ohne sie nicht stattfindet. Aber das ist falsch. Ich bin der Überzeugung, dass die Politik die Energiewirtschaft in Bezug auf den Ausbau der Erneuerbaren einfach in Ruhe lassen sollte, weil die Energiewende von selbst kommt. Wenn wir uns anschauen, was die großen, ehemals konventionellen Versorger wie EnBW oder E.on inzwischen machen, dann ist das etwas völlig anderes als noch vor fünf Jahren. Damals waren Projekte zu erneuerbaren Energien so etwas wie Deckmäntelchen. Heute sagen sie: Das, was Lichtblick macht, ist der richtige Weg. Den gehen wir jetzt auch. Dabei entsteht eine Kraft, die die Politik noch gar nicht verstanden hat.
Nämlich?
Tschischwitz: Die Politik denkt immer noch, sie müsse fördern und subventionieren und den Reiter aufs Pferd heben. Dabei ist der längst losgeritten. Die regenerativen Energien sind so billig geworden, dass Subventionen überflüssig sind. Sie sind das alleinige zukunftsfähige Konzept zur Stromerzeugung – Atom und Kohle haben ausgedient.
Wie bitte? Die Energiefirmen haben doch immer nach einer Förderung gerufen.
Tschischwitz: Die war in der Vergangenheit notwendig als Anschubfinanzierung. Die Zeiten sind aber zum Glück vorbei. Eine einfache Fotovoltaikanlage auf dem Dach eines Einfamilienhauses rechnet sich heute ohne Subvention. Mehr noch: Der Hausbesitzer verdient sogar an der Stromerzeugung und leistet einen Beitrag für die Allgemeinheit, weil er die überschüssige Energie ins Netz speist.
Na ja, aber die Biomasse muss doch noch immer kräftig gefördert werden.
Tschischwitz: Ich spreche jetzt nur für die Fotovoltaik und zum Teil für die Windkraft. Andere regenerative Energieerzeuger wie Biomasse und Geothermie sind tatsächlich nach wie vor von Subventionen abhängig. Deshalb ist es Zeit, sich die Frage zu stellen, ob man sich nicht auf die Formen der Energieerzeugung konzentrieren sollte, die es alleine schaffen.
Die Fotovoltaik schafft das?
Tschischwitz: Vielleicht nicht in Alaska. In Deutschland aber schon. Eine kleine Anlage auf dem Dach eines Einfamilienhauses, inklusive Montage und Anschluss, kostet heute rund 1500 Euro pro Kilowatt Leistung. Gemessen an der durchschnittlichen Sonneneinstrahlung hier in Hamburg, kostet die Kilowattstunde Strom dann zehn Cent zur Refinanzierung der Investition. Das ist ein Preis, mit dem wir Energieversorger alle nicht konkurrieren können. Dabei haben wir das Ende der Kostendegression bei der Fotovoltaik noch gar nicht erreicht.
Sie versenken jetzt gerade argumentativ ihr eigenes Geschäftsmodell, ist Ihnen das klar? Sie werden als Stromlieferant überflüssig.
Tschischwitz: Auf lange Sicht werden wir das, davon bin ich überzeugt. Deshalb arbeiten wir auch an neuen Konzepten. Wir stellen auch vermehrt Leute ein, die keine Energieexperten sind, sondern Programmierer. Wir werden nämlich eine sehr dezentrale Welt der Energieerzeugung bekommen. Nicht mehr Energiefirmen werden Strom erzeugen, sondern die Menschen mit ihren Fotovoltaikanlagen auf den Hausdächern. Wir haben jetzt schon 1,5 Millionen Fotovoltaikanlagen in Deutschland. Es werden aber viel mehr. Hinzu kommen Batterien in den Kellern und Elektroautos in den Garagen, die man ebenfalls mit dem Stromnetz verbinden kann. Alle diese kleinen Kraftwerke und Speicher müssen miteinander vernetzt und intelligent gesteuert werden, um ein verlässliches Energiesystem zu erhalten. Das ist eine Aufgabe, die zukünftig IT-Plattformen wahrnehmen werden.
Wie funktioniert das?
Tschischwitz: Das ist wie eine Vermittlungstätigkeit. Wenn Sie zeitweise ein freies Zimmer haben, bitten sie Airbnb, diese leere Kapazität zu vermarkten. Wenn Sie mit Ihrer Fotovoltaikanlage oder Ihrer Batterie mehr Stromkapazität haben, als Sie benötigen, geben Sie es Lichtblick – und wir helfen Ihnen dabei, das zu vermarkten und damit Geld zu verdienen.
Was bedeutet das für Ihre Unternehmensstruktur?
Tschischwitz: Neben einem Hauptsitz am Zirkusweg haben wir in der Hamburger Innenstadt ein weiteres Büro eröffnet, das sich genau mit dieser Form von Schwarmstrom-Management, wie wir es nennen, befasst. Dazu stellen wir im Wesentlichen IT-Experten ein. Die Zahl unserer Mitarbeiter ist im vergangenen Jahr um 30 auf 470 gewachsen. In diesem und im kommenden Jahr werden sicherlich weitere 50 hinzukommen.
Sie wandeln sich also vom Stromverkäufer zum IT-Dienstleister?
Tschischwitz: Genau. Und jeder Energieversorger, der das nicht tut, wird nicht überleben. Wobei ich betonen möchte, dass Lichtblick schon immer sehr viel Wert auf IT-Know-how gelegt hat. Weil wir schon vor 18 Jahren bei der Gründung des Unternehmens gesagt haben, die Zukunft der Energieerzeugung wird regenerativ und dezentral – und damit sehr viel komplexer als bisher. Ohne umfangreiche IT-Unterstützung geht das nicht.
Ihr erster Versuch mit dem Zuhausekraftwerk ist aber gescheitert. Das war die Kooperation mit dem VW-Konzern, der Gasmotoren für einzelne Hausbesitzer liefern wollte. Woran lag es?
Tschischwitz: Im Wesentlichen an Kinderkrankheiten. Als wir die gelöst hatten, gab es eine kommerzielle Auseinandersetzung mit VW, die bis heute andauert. Von dem Konzept bin ich aber heute noch überzeugt. Zumal es die Geburtsstunde unserer Software zur Energiesteuerung, dem sogenannten Schwarmdirigenten war. Damit waren wir die Ersten, die sich mit dem Management vieler kleiner Kraftwerke befassten. Das beschert uns heute einen Vorteil.
Wenn man sich aber anschaut, was im Silicon Valley passiert oder am anderen Ende der Welt in der Panasonic City – hinken wir da nicht etwas hinterher?
Tschischwitz: Deutschland hinkt hinterher. Wir bei Lichtblick führen schon seit zwei Jahren Gespräche mit internationalen Partnern über den Einsatz unserer Produkte. Südostasien und Afrika beispielsweise sind dabei, große Technologieschritte zu überspringen. Afrika kennt das feste Telefonnetz eigentlich gar nicht. Dort wird fast ausschließlich mobil telefoniert, weil es einfacher ist, Sendemasten aufzustellen, als Tausende von Kilometern Strippen zu ziehen. Das Gleiche gilt für die Energieversorgung. Auf den Philippinen haben 30 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu Elektrizität. Die denken jetzt über dezentrale, regenerative, IT-gesteuerte Systeme der Energieversorgung nach. Dort gibt es 8000 kleine Inseln, die ihre Energie mit Dieselgeneratoren erzeugen. Das ist laut, verpestet die Luft und kostet viel Geld. Mit Fotovoltaikanlagen und guten Batterien für die Nachtversorgung sind sie besser dran.
Gibt es da schon Interessenten für Lichtblick?
Tschischwitz: Ja wir haben Verträge auf den Philippinen und in Vietnam für Konzepte zur dezentralen Stromversorgung geschlossen.
Das mag für kleinere Stromabnehmer genau richtig sein. Wir haben in Hamburg einen Stahlproduzenten, ein Aluminiumwerk und eine Kupferhütte. Das sind alles Stromfresser. Sie können doch nicht mit kleinen Fotovoltaik-Anlagen und Batterien eine Grundlastversorgung für die Industrie aufbauen.
Tschischwitz: Das stimmt. Hier spreche ich nicht von morgen, sondern eher von übermorgen. Für das produzierende Gewerbe benötige ich eine Grundlastversorgung, die die Fotovoltaik noch nicht liefern kann. In 20 bis 30 Jahren wird das bei entsprechenden Speichermöglichkeiten anders sein. Zu Pfingsten war es sehr sonnig und windig. Da haben Windräder und Fotovoltaik zusammen 40.000 Megawatt Strom geliefert. Damit hätten wir an dem Wochenende zwar noch nicht 100 Prozent der Energieversorgung aus Erneuerbaren erzielt, aber wir waren sehr nah dran.
Aber die Denkstrukturen sind doch auch beim Thema Energiewende immer noch zentral: Das EEG baut darauf auf, dass wir zentrale Windparks im Norden haben, die den Strom über große Trassen nach Süden liefern ...
Tschischwitz: ... da kommt doch wieder die Politik ins Spiel. Die diskutiert monatelang darüber, wann und wo die großen Stromtrassen gebaut werden sollen, obgleich wir sie eigentlich gar nicht brauchen. Mal abgesehen davon, dass zentrale Stromerzeugungsanlagen auch viel anfälliger für Störungen von außen sind als dezentrale. Deshalb bin ich auch kein Anhänger der Offshore-Windparks.
Sie haben mal mit acht Haushalten angefangen und versorgen heute 650.000. Das ist ein Erfolg. Andererseits aber auch nicht. Schließlich haben sie schon vor einigen Jahren mal eine Million Kunden angepeilt. Die meisten sind aber weiter in der Grundversorgung ihres alten Stromanbieters. Woher kommt der Wechsel-Unwille?
Tschischwitz: Zunächst: Wir peilen eigentlich zwei Millionen Kunden an. Dass noch nicht mehr gewechselt haben, liegt an der Trägheit des Menschen. Ich habe, ehrlich gesagt, meine Krankenkasse auch noch nie gewechselt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es nicht reicht, ein tolles Produkt zu haben und die Menschen darauf aufmerksam zu machen. Für Wachstum müssen sie auf die Leute zugehen.
Wie Sie das bei Borussia Dortmund und bei St. Pauli machen?
Tschischwitz: Genau. Da sind unsere Vertriebsleute im Stadion und bieten „KiezStrom“ an, aus 100 Prozent regenerativer Erzeugung natürlich. Für jedes Tor, das St. Pauli schießt, gibt es eine Kilowattstunde Strom kostenfrei. Das wird sehr gut angenommen. „KiezStrom“ und „Strom09 – volle Pulle Zukunft“ für Dortmund sind unsere derzeit stärksten Vertriebswege.