Hamburg. Hamburgs Verfassungsschutz-Chef spricht bei AfD-Veranstaltung zu Islam und Islamismus – und muss harte Kritik über sich ergehen lassen.
Das war kein besonders entspannter Abend für Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß. Mehr als zwei Stunden diskutierte Voß auf Einladung der AfD am Montagabend im mit rund 150 Gästen gut gefüllten Kaisersaal des Rathaus über Islam und Islamismus in Hamburg – und musste dabei immer wieder den Unmut und die Wut der Zuhörer über sich ergehen lassen.
„Ich fühle mich von Ihnen nicht beschützt. Wie soll das auch passieren?“, fragte etwa ein AfD-Gast bei der Veranstaltung aus der Reihe „AfD-Fraktion im Dialog“. „Unsere Noch-Kanzlerin hält ja immer noch sämtliche Grenzen offen. Sie selber wissen gar nicht, wer in unser Land kommt.“ Antwort des Verfassungsschutz-Chefs: „Der Verfassungsschutz schützt die Verfassung vor Extremisten. Ich habe nicht den Auftrag, und das ist auch nicht nötig, Sie vor Flüchtlingen zu schützen.“
Widerwilliges Geraune und höhnisches Gelächter
Ein anderer Zuhörer sagte unter lautem Applaus des Publikums: „Wenn das von Ihnen erwähnte Verbot eines Koran-Bücherstandes alles ist, dann brauchen wir den Verfassungsschutz nicht. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Islam und Islamismus? Ich sehe da kaum einen.“ Antwort von Torsten Voß: „Der Islam ist eine Religion. Der Islamismus ist eine Ideologie, die ihre Religion missbraucht. Was richtig ist, dass der Islamismus sich auf den Islam beruft, so wie die Kreuzritter sich auch auf das Christentum berufen haben und im Namen ihrer Religion Menschen getötet haben um Elfhundert, Zwölfhundert, so haben wir Islamisten, die ihre Religion missbrauchen.“
Mit diesem Vergleich rief der Verfassungsschutz-Chef lautes widerwilliges Geraune und auch höhnisches Gelächter im Publikum hervor. Andere Zuhörer wollten wissen, wie viele der Islam-Vereine in Hamburg sich explizit zum Grundgesetz bekannt hätten, wie es sein könne, dass der türkische Staat einen großen Teil der Imame nach Deutschland entsende, oder wie viele Terroristen wohl unter den Flüchtlingen seien - und einer fragte, warum Deutschland nicht auch den Ausnahme- oder Kriegszustand erkläre, wie es Frankreich nach den jüngsten Anschlägen getan habe.
Diskriminierung als Auslöser der Radikalisierung
Voß mühte sich redlich, konnte aber mit seinen Antworten nicht alle zufrieden stellen. „Auch die Imame in den Moscheen leisten eine ausgezeichnete Präventionsarbeit“, sagte er. „Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass der Imam der Hassprediger ist. Die Imame sind sehr bemüht, in ihrer Gemeinde darauf hinzuwirken, dass Jugendliche nicht abgleiten.“ Und ja, die Flüchtlingsströme würden zum Einschleusen von Terroristen missbraucht. Zugleich betonte Voß, dass die Mehrheit der 580 Salafisten in Hamburg hier sozialisiert oder auch geboren sei. Allerdings sei Extremismus aufgrund der Meinungsfreiheit nicht verboten. „Nur weil jemand Salafist ist, kann ich ihn nicht festnehmen. Ich muss Straftaten nachweisen“, so Voß.
Als einen möglichen Grund für die im Vergleich zu den USA häufigere Radikalisierung von jungen Muslimen in Deutschland und Europa nannte Voß „eine Vielzahl von Diskriminierungserfahrungen von Muslimen“. In den USA seien Muslime besser integriert. Immer wieder betonte Voß den aus seiner Sicht deutlichen Unterschied von Islam und Islamismus. „Menschen, die sich in zwölf oder 14 Monaten radikalisieren und sich dann auf den Koran berufen, obwohl man für das Koranstudium viel länger braucht, da denke ich in der Tat: Das ist ihre Ideologie“, sagte der Verfassungsschutzchef. „Der Koran ist vielleicht die Basis, aber verstanden haben sie es nicht.“
Das gemeinsame Saufen kommt vor dem Hakenkreuz
Der erste Schritt der Radikalisierung sei fast immer die Zuwendung zu einer Gruppe. „Oder glauben Sie, dass der saufende Rechtsextremist in Rostock weiß, was Rechtsextremismus ist? Der hat seine Kumpels gefunden, mit denen er säuft, und irgendwann gibt es einen gemeinsamen Nenner, und das ist das Hakenkreuz.“
Auch beim Islamismus verlaufe die Radikalisierung in erster Linie über eine Gruppe Gleichgesinnter. In diesem Zusammenhang sagte Voß, dass es in Hamburg derzeit 16 Hinweise darauf gebe, wie Islamisten versuchten, Einfluss auf Flüchtlinge zu nehmen. Das funktioniere nicht in erster Linie über den Glauben, sondern viel über gemeinsames Fußballspielen oder Grillen.
Grundsätzlich verlaufe die Radikalisierung außerdem stark über das Internet, zudem über Koranstände in den Städten und über einige Moscheen. In Hamburg arbeiteten Innen- und Sozialbehörde, muslimische Verbände und die neu geschaffene Beratungsstelle Legato eng zusammen, um der Radikalisierung von Jugendlichen entgegen zu wirken, so Voß. Das sei wichtig, da sich der Zeitraum, innerhalb dessen sich junge Menschen radikalisierten zuletzt immer weiter verkürzt habe, von früher durchschnittlich 28 auf heute 20 Monate.
Aus Hamburg seien 70 Menschen in Richtung Syrien oder Irak ausgereist um IS oder Al Kaida zu unterstützen, so der Verfassungsschutzchef. Zuletzt sei die Zahl der Ausreisen aber rückläufig. Gleichwohl sei Deutschland weiterhin gefährdet – zumal es seit 2014 von der IS-Führung als Anschlagsziel genannt worden sei.
Allerdings könne man nicht jeden festnehmen, bei dem man „ein schlechtes Gefühl“ habe, so Voss. „Wir leben Gott sei dank in einer demokratischen Gesellschaft, so dass man es auch begründen muss, wenn man jemanden festnimmt.“ Deswegen könne man auch nicht jeden einsperren, der nach Syrien ausgereist und dann nach Deutschland zurückgekehrt sei, wenn man keine Beweise für Straftaten habe, so Voß. „Das muss eine demokratische Gesellschaft auch ertragen.“
Viele Zuschauer sind unzufrieden
Viele der Zuschauer zeigten sich am Ende unzufrieden mit den Ausführungen des Verfassungsschutz-Chefs. „Sie antworten fast nie auf Fragen, sondern reden immer nur um das Thema drumherum“, so eine Zuhörerein. „Wie können Sie sagen, dass Islamismus und Salafismus nicht mit dem Islam zu tun haben?“ Eine andere Frau resümierte: „Der Vortrag war verniedlichend und rosarot gefärbt. Es ist viel, viel schlimmer als Sie dargestellt haben.“
AfD-Fraktionschef Jörn Kruse bedankte sich bei Torsten Voß für die ausgiebige Diskussion. „Sie haben gemerkt, das Thema ist sehr emotional. Viele haben auch Angst“, so Kruse. „Sie haben sich auch viele Fragen anhören müssen, die eigentlich an die Politiker zu richten sind. Aber wir haben Angela Merkel heute Abend ja nicht zur Verfügung gehabt zum Fragen.“
Die gelegentlich geäußerte Kritik an seinem Auftritt bei der AfD wies Voß am Dienstag zurück. „Die AfD ist kein Beobachtungsobjekt, sie sitzt in der Bürgerschaft, sie sitzt im Parlamentarischen Kontrollausschuss und kontrolliert mich“, sagte Voß dem Abendblatt. „Und ich war auf Einladungen von SPD, Grünen, FDP und der CDU schon auf mehreren Veranstaltungen von Fraktionen und Parteien.“ Deswegen sei er auch zur AfD gegangen, um die Öffentlichkeit zu informieren.
Einen Audio-Mitschnitt der Veranstaltungen finden Sie hier. Folgen Sie dem Autor bei Twitter: @jmwell