Hamburg. 128 Ausfälle allein im Mai. Jede zehnte Stelle in den Hamburger Wachen bleibt frei. CDU spricht von einem alarmierenden Zustand.

Anzeigen aufnehmen, einen Nachbarschaftsstreit schlichten: Das kann dauern. Hamburgs Polizei beklagt eine Personalnot. Wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Gladiator hervorgeht, fehlen in allen 24 Hamburger Wachen Beamte, um die sogenannte Grundlast abzudecken – also die „klassischen Einsätze“ der Polizei, zu denen sie mit dem Peterwagen fährt.

„Durch das fehlende Personal entstehen teilweise erhebliche Wartezeiten für Bürger, die in einer Notlage sind und die Polizei rufen“, sagt Innenexperte Gladiator.

Wird die ohnehin dünne Personaldecke noch durch urlaubs- oder krankheitsbedingte Ausfälle dezimiert, wird es eng. So konnten im Mai in 128 Fällen Streifenwagen nicht besetzt werden. Allein am Polizeikommissariat 46 (Lauterbachstraße in Harburg) waren es im Vormonat wegen „relativ hoher Personalausfälle“ 42 Peterwagen, die für jeweils eine Schicht nicht einsatzfähig waren.

Trotz Personalausfällen keine Einsätze „liegen geblieben“

Um die Grundlast zu erfüllen, hat die Polizei stadtweit einen Bedarf von 1642,87 sogenannten Vollzeitäquivalenten (eine rechnerische Größe, die auch Teilzeitstellen berücksichtigt). Tatsächlich besetzt sind davon aber nur 1489,31. Damit liegt die Ist-Stärke bei den Grundlast-Stellen ganze zehn Prozent unter dem Soll. Zudem sind laut Senat von den erforderlichen 3346 Stellen an den Hamburger Wachen nur 2901 besetzt. Diese Lücke geht vor allem auf die niedrigen Einstellungszahlen in früheren Jahren zurück.

Laut Senat sind wegen der unbesetzten Streifenwagen aber keine Einsätze „liegen geblieben“. Wie üblich in solchen Fällen hätten Streifenwagen anderer Wachen oder die Landesreserve ausgeholfen. „Werden die Peterwagen von anderen Wachen abgezogen, fehlen sie natürlich dort für Einsätze“, kritisiert dagegen Gerhard Kirsch, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei. „Kommen zwei, drei größere Einsatzanlässe zusammen, bleibt für das normale Einsatzgeschehen nichts übrig!“ Jeder Streifenwagen, der in anderen Revieren eingesetzt werde, reiße eine Lücke, so Kirsch. Für normale Streifentätigkeit bleibe „keine Zeit“. Ein Polizeibeamter sagte dem Abendblatt: „Der Stresspegel ist enorm, du hetzt von Einsatz zu Einsatz und hast keine Phasen der Regeneration.“

Als „alarmierend“ bezeichnet CDU-Mann Gladiator diesen Zustand. „Dass das Personal nicht mal ausreicht, um die Streifenwagen zu besetzen, gefährdet die Sicherheit in unserer Stadt.“ Innensenator Andy Grote (SPD) rede „die Lage schön“.

Notbesetzung an Polizeiwachen

Wie aus der Senatsantwort auf die Kleine Anfrage des CDU-Innenexperten Dennis Gladiator weiter hervorgeht, sind an allen 24 Polizeikommissariaten (außer Wasserschutz) nicht genügend Vollzeitstellen besetzt, um die sogenannte Grundlast abzudecken. Die Bandbreite reicht von 2,24 fehlenden Stellen (Polizeikommissariat 36 an der Ellernreihe) bis hin zu 18,89 Stellen (PK 14 an der Caffamacherreihe/City).

Die Personalausfälle haben dazu geführt, dass gleich mehrmals Streifenwagen nicht einsatzbereit waren. Im Fe­bruar wurden deshalb 59, im März 84, im April 85 und im Mai 128 Streifenwagen von den Wachdienstgruppen nicht besetzt. „Die Polizei schrumpft nicht nur perspektivisch, es reicht nicht einmal mehr aus, um die Streifenwagen zu besetzen“, sagt Gladiator.

Die ohnehin dünn besetzten Schichten an den Wachen leiden auch unter plötzlichen Personalausfällen. Die Personaldecke ist so dünn, dass an den Wachen selbst häufig keine Reserven gebildet werden können. Mit der Folge, dass Beamte beispielsweise im Krankheitsfall immer wieder einspringen und Schichten ihrer Kollegen übernehmen. „Doch das zermürbt auf Dauer“, sagt Gerhard Kirsch, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Wir können froh sein, dass der Zusammenhalt an den Wachen noch so stark ist.“

Fehlen zu viele Beamte, ist die alltägliche Polizeiarbeit von den im normalen Schichtdienst tätigen Polizisten kaum noch zu stemmen. Bei der sogenannten Grundlastunterschreitung prüft das betroffene Polizeikommissariat zunächst, ob es die Lücke mit eigenem Personal auffüllen kann. Wenn es eng wird, können unter anderem Angehörige der Dienstgruppen Operative Aufgaben (DGOA) aushelfen.

Diese gibt es inzwischen an jedem Polizeikommissariat, im Prinzip handelt es sich um einen Pool für Beamte, die mit den Belastungen des Schichtdienstes nicht mehr zurechtkommen. Meist unterstützen sie die viel zu dünn besetzten Wachdienstgruppen, allerdings nur in der Früh- oder Spätschicht, denn Nachtschichten schaffen die meisten von ihnen nicht. Kritiker sehen in den DGOAs eine Notlösung, mit der die Polizeiführung die Personalmisere auffangen will. Außerdem stehen an den Wachen noch die Beamten des Besonderen Fußstreifendienstes (BFS) zur Verfügung.

Senat will 2016 insgesamt 350 Polizisten einstellen

Gelingt es nicht, genug Personal aus dem Bestand zu aktivieren, prüft das jeweilige Regional-Kommissariat, ob Beamte aus anderen Wachen abgezogen werden können. Ansonsten können die Wachen auch noch auf die Landesreserven der Bereitschaftspolizei zurückgreifen. Laut Senat bleiben zwar keine Einsätze „liegen“. In der Praxis werden sie aber mitunter zeitlich verzögert bearbeitet. Ein kleiner Blechschaden etwa steht in der Prioritätenliste der Polizei weit unten. Stehen nicht genug Polizisten zur Verfügung – etwa wegen Urlaub oder Krankheit – kann es entsprechend länger dauern, bis die Einsätze „abgearbeitet“ sind. Weder den zum Teil überlasteten Beamten noch den Bürgern sei eine personell ausgedünnte Polizei auf Dauer zuzumuten, sagt Gewerkschaftschef Kirsch. Zwar wolle der Senat nun zusätzlich pro Jahr 100 Polizisten einstellen, dieses Jahr insgesamt 350, im Jahr 2017 sogar 375. „Den Status quo zu halten, reicht nicht aus.“

Kirsch: „Wir brauchen noch mal mindestens 100 Einstellungen pro Jahr, um die Abgänge kompensieren und die wachsenden Herausforderungen in den kommenden Jahren bewältigen zu können.“ Eine ähnliche Forderung hat auch die CDU erhoben. Es sei damit zu rechnen, dass bis zum Jahr 2025 fast 2900 Kollegen regulär pensioniert werden, pro Jahr kämen etwa 45 Polizisten hinzu, die vorzeitig in den Ruhestand gingen, so Kirsch. Auch stiegen nicht alle Nachwuchskräfte bei der Hamburger Polizei ein. „Pro Jahr sind es ungefähr etwa zehn Prozent, die in einem anderen Bundesland anfangen, die es in die freie Wirtschaft zieht oder die die Anforderungen nicht erfüllen können.“ Künftig würde der Bedarf noch steigen, schließlich wachse Hamburg pro Jahr um Tausende Neubürger – und damit auch die Arbeit für die Polizei.