Jennifer Hinze muss ihr veganes Café Grete Schulz schließen – nach nur sieben Monaten. Teil elf der Abendblatt-Serie.

Schluss! Aus! Ende! Mit diesen Worten hat schon mal ein Text über Grete Schulz begonnen. Zu Silvester, am letzten Tag des Jahres. Es sollte ein Scherz sein, ein Spaß. Um zu zeigen, dass sich Jennifer Hinze nur von dem vergangenen Jahr verabschiedet, nicht aber von ihrem Laden. Um zu zeigen, dass das Ende eines Jahres der Beginn eines neuen Geschäftsjahres ist. Der Beginn ihres Erfolges. So die Hoffnung. Damals. Jetzt, knapp sechs Monate später, ist wirklich Schluss! Aus! Ende!

Jennifer Hinze (35) schließt ihr veganes Feinkostgeschäft mit angeschlossenem Café im Stellinger Weg 38a am 3. Juli. Nicht für ein paar Stunden, nicht für ein paar Tage oder Wochen. Sondern für immer. Ihr Plan ist nicht aufgegangen, ihr Konzept ist nicht angenommen worden – zumindest nicht genug. Nicht genug, um damit die laufenden Kosten von 8500 Euro monatlich decken zu können. Nicht genug, um davon den Kredit in Höhe von 80.000 Euro tilgen zu können. Nicht genug, um davon leben zu können. Ihre Wohnung bezahlen zu können, ihre Krankenversicherung. Nicht genug, um weiterzumachen. Auch nicht einen Tag, eine Woche.

Denn ihre Rücklagen, ihre privaten Ersparnisse, die Jennifer in den vergangenen Monaten zur Deckung ihrer laufenden Kosten in das Unternehmen gesteckt hat, sind aufgebraucht. Das Geld ist weg. „Jeder Tag, den ich länger geöffnet habe, kostet mich Geld, das ich nicht mehr habe“, sagt Jennifer. Das hat sie auch ihren Mitarbeitern gesagt, als sie ihnen gekündigt hat. Zum 30. Juni. „Das ist der letzte Monat, in denen ich ihr Gehalt zahlen kann. Ab nächsten Monat ginge das nicht mehr“, sagt Jennifer und betont, dass sie ohne Außenstände geht. Das ist ihr wichtig, darauf ist sie stolz! Dass sie keine Schulden bei Lieferanten hat. Dass es keine unbezahlten Rechnungen gibt. Nur diesen Kredit über 80.000 Euro. Was damit ist? Wie sie den tilgen wird? Das entscheidet sie, sobald sie einen Nachmieter gefunden hat. Einen Käufer, der ihren noch zweieinhalb Jahre laufenden Mietvertrag übernimmt und ihr die Einrichtung abkauft. Die nagelneue Küche, die extra vom Tischler gefertigten Möbel, den Verkaufstresen. Den Kühlschrank, die Profi-Kaffemaschine.

Mehr als 400.000 Euro Jahresumsatz wären nötig gewesen

Bereits für den kommenden Donnerstag, den 23. Juni, um 20 Uhr ist eine Besichtigung mit potenziellen Käufern angesetzt. Dafür hat Jennifer extra einen Makler eingeschaltet, der sich um die Vermittlung des Ladens kümmert – und verhindern soll, dass sie von unseriösen Anfragen überrollt wird. Der den Marktwert des Objektes einschätzen kann und einen angemessenen Preis für die Übernahme aushandeln soll. Der die Branche kennt, objektiv ist. Nicht persönlich betroffen so wie sie selbst. Die auf der einen Seite einen möglichst hohen Verkaufspreis erzielen will – auf der anderen Seite aber nicht ewig nach einem Käufer suchen kann. Weil jeder Monat sie Geld kostet. Weil sie weiter die Pacht des Ladens zahlen muss – auch wenn das Geschäft leer steht. Auch wenn sie kein Geld verdient.

Jennifer weiß das. Vergisst das nie. Keine Stunde, keine Minute. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist sie ganz ruhig. Hat keine Angst, keine Panik. „Es hilft weder mir noch dem Laden, wenn ich mich verrückt mache“, sagt sie bestimmt. Sie braucht ihre Energie, um den Laden abzuwickeln, wie es heißt. Um mit der Bank zu sprechen, den Lieferanten. Mit den Mitarbeitern, Kunden. Um den Abschied vorzubereiten. Das letzte Wochenende, an dem sie geöffnet hat – und sich von ihren Kunden verabschiedet. Mit erhobenem Kopf, lächelnd. Und stolz! Weil sie als jemand geht, der von den Kunden geschätzt wird. Auch wenn es nicht genug waren.

Erst zwei Wochen ist es her, dass sich Jennifer mit dem Unternehmensberater Björn Grimm (44) getroffen hat. Dass sie erfahren hat, dass ihre Kalkulation nicht aufgeht, dass sie eigentlich mehr als 400.000 Euro Jahresumsatz machen müsste. Und dass das fast unmöglich ist. Auch wenn sie das selbst schon lange vorher gewusst hat. Befürchtet hat. Nach dem Gespräch hat sie ein paar Tage lang überlegt, einen neuen Laden aufzumachen. An einem neuen Standort. Bis sie gemerkt hat, dass sie ihre Energie lieber darauf verwenden will, Grete würdig zu beenden. Eigentlich, sagt sie, sei ihr die Entscheidung ganz leichtgefallen. Schwer sei es nur gewesen, den anderen davon zu erzählen. Ihrem Koch Daniel, ihrer Mitarbeiterin und Freundin Nathalie. Ihrer Mutter. Und ihrer Oma, der Tochter von Grete Schulz, nach der der Laden benannt ist.

Manchmal, wenn die Gäste von der Schließung des Ladens hören, wundern sie sich. Warum Jennifer nicht traurig ist, deprimiert. Verzweifelt. Meistens versucht sie dann zu erklären, dass sie nicht daran denkt, was sie verliert. Sondern, was sie gewonnen hat. Was ihr die Zeit gebracht hat, welche Erfahrungen sie gesammelt hat. Wie erfüllt sie war. „Ich habe meinen Traum gelebt und bin froh darüber. Ich möchte später einmal sagen können, dass ich meinen Weg gegangen bin. Dass ich alles ausprobiert und gemacht habe, was ich wollte. Das ist mir lieber, als am Ende meines Lebens verpassten Chancen nachzutrauern“, sagt Jennifer und lacht ein bisschen. Sie weiß, dass andere das vielleicht nicht verstehen werden. Weil man manche Dinge einfach nicht erklären kann. Weil man sie selbst erleben muss, fühlen.

Für Jennifer ist es ein Neuanfang

Nein, sie ist nicht traurig, das will sie unbedingt klarstellen. Sie sieht sich nicht als jemanden, der gescheitert ist. Sondern als jemanden, der etwas aufgebaut hat. Der etwas geschafft hat. Auch wenn es nicht so lange war, wie sie gehofft hatte. „Na und?“, fragt sie. Eine Antwort braucht sie nicht, die hat sie schon selbst. Sie macht weiter. Hat neue Pläne, neue Ideen. Neue Jobangebote. Sie weiß noch nicht, wie es weitergeht. Was sie machen will, wenn der Laden zu ist. Aber sie weiß, was sie nicht machen will. Zurück. Zurück in ihren alten Job, in die Bank. „Ich kann doch nicht einfach dort weitermachen, wo ich aufgehört habe. Es muss doch weitergehen“, sagt Jennifer mit Nachdruck. Sie will ihre berufliche Freiheit nicht wieder aufgeben. Überlegt, Literatur zu studieren. Was sie damit machen will? Sie lacht! Darüber denkt sie nicht nach. Denn darum geht es ihr gar nicht. „Der Weg ist das Ziel“, sagt sie und meint: das Studium. Das Leben. „Ich brauche keinen sicheren Job. Das hatte ich schon – und es hat mich nicht glücklich gemacht.“

Der Laden, der habe sie glücklich gemacht. Die Arbeit im Team, der Kontakt zu den Kunden. Das wird sie zwar vermissen, dem aber nicht nachtrauern, sondern nach vorne gucken. Sich freuen, was das Leben sonst noch zu bieten hat. „Ich bin fest davon überzeugt, dass alles im Leben einen Sinn hat. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich irgendwo eine neue.“ Es ist eine dieser Phrasen, zu oft gehört, zu abgelutscht. Das findet sie selbst. Trotzdem glaubt sie daran. „Hey, so bin ich eben. Und das ist gut so.“

Was sie anders machen würde? „Viel“, sagt sie und lacht. Doch es geht nicht mehr um sie, sondern um ihren Nachfolger. Sie hat sich ein paar Sachen aufgeschrieben, die sie den Käufern mit auf den Weg geben will. Jennifer ist sich sicher, dass sie jemanden für das Geschäft finden wird. Dass der Standort gut ist, funktionieren kann. Mit einem anderen Konzept, einem anderen Inhaber. „Jemandem, der mehr Gastro-Erfahrung hat. Der das meiste selbst machen kann und weniger Personal braucht. Und der dadurch einfach weniger Ausgaben und mehr Gewinn hat“, fasst Unternehmensberater Björn Grimm zusammen, der Jennifer weiter berät.

Zwei Wochen noch, 14 Tage nur. Schluss! Aus! Ende! Zumindest mit dem Laden. Doch für Jennifer selbst ist es ein Neuanfang. Sie trägt heute mal wieder ein Grete-T-Shirt. Trotz der baldigen Schließung. Oder gerade deswegen.

Wer sich für eine Übernahme des Ladens interessiert, kann an einer offenen Besichtigung am Donnerstag, 23. Juni, ab 20 Uhr teilnehmen. Weitere Infos erteilt Grimm Consulting per E-Mail info@grimm-consulting.com