Hamburg. Entwurf: Rot-Grün und Initiative Neugraben-Fischbek einigen sich auf Zahl der Flüchtlinge. Kritik kommt von der CDU.
Die Verhandlungen laufen unter strikter Geheimhaltung, aber jetzt stehen sie offensichtlich kurz vor dem Abschluss: Die Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek „Nein zur Politik – Ja zur Hilfe“ und die Bürgerschafts-Fraktionschefs Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) wollen einen „Bürgervertrag“ abschließen, der Zahl, Ort und Dauer der Unterbringung von Flüchtlingen in Neugraben-Fischbek verbindlich regeln sowie die Entwicklung des Quartiers voranbringen soll. Dem Abendblatt liegt ein siebenseitiger Entwurf vor.
Die Bürgerinitiative hatte sich im September 2015 gegründet, nachdem bekannt geworden war, dass der rot-grüne Senat eine Großunterkunft für 3000 Flüchtlinge in dem Neubaugebiet Am Aschenland II plante. Die Initiative forderte eine Begrenzung auf maximal 1500 Flüchtlinge. Der Bürgervertrag für Neugraben-Fischbek, sollte er denn zustande kommen, dürfte Pilotcharakter haben, denn das gleiche Modell soll nach dem Willen des Senats auch für andere Initiativen angewandt werden.
Die Idee geht auf einen Vorschlag von Klaus Schomacker zurück, Sprecher der Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“, die sich gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge richtet. Die Bürgerverträge können also ein wesentlicher Baustein auf dem Weg zu einer Einigung zwischen Rot-Grün und der Schomacker-Volksinitiative sein. Das Ziel der Gespräche aus Sicht der Rathaus-Koalition ist die Vermeidung eines Volksentscheids.
Senat will Zentrale Erstaufnahme schrittweise aufgeben
„Alle Parteien sind sich einig, dass im Rahmen von öffentlicher Unterbringung maximal 1500 Flüchtlinge in dem Stadtteil Neugraben-Fischbek unterzubringen sind“, heißt es nun in dem Entwurfstext, womit die Forderung der Bürgerinitiative erfüllt wird. Detailliert wird festgelegt, was mit den aktuellen Flüchtlingsunterkünften geschehen soll: Der Senat will die Zentrale Erstaufnahme im ehemaligen Obi-Baumarkt am Geutensweg (bis zu 720 Plätze) schrittweise aufgeben und spätestens bis zum 30. Juni 2017 auflösen. Die Nutzung der beiden anderen Quartiere – die Folgeunterkünfte Cuxhavener Straße (190 Plätze) und Am Aschenland I (450 Plätze) – soll auf insgesamt fünf Jahre befristet werden.
Im Gegenzug wird die Unterkunft Am Aschenland II eingerichtet, aber auf eine Kapazität von höchstens 1000 Plätze begrenzt. Der größere Teil – 700 Plätze – sollen in Pavillonbauweise errichtet werden. Für den kleineren Teil sind Reihenhäuser vorgesehen, die „bevorzugt Familien mit Kindern als Unterkunft dienen“ sollen. Hier ist eine Nutzungsdauer von höchstens zehn Jahren geplant, wobei vorgesehen ist, dass dieses Quartier von Beginn an „in gemischter Struktur“ entwickelt und Schritt für Schritt in den normalen Wohnungsmarkt überführt wird.
Welche Bedeutung das Vertragswerk für das rot-grüne Bündnis hat, zeigt die Tatsache, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) laut Entwurf neben Dressel und Tjarks zu den Unterzeichnern zählt. Außer den Mitgliedern der Initiative sollen auch der Harburger Bezirksamtsleiter Thomas Völsch und die Fraktionsvorsitzenden des schwarz-grünen Bündnisses in der Bezirksversammlung, Jürgen Heimat (SPD) und Ralf-Dieter Fischer (CDU), den Bürgervertrag unterschreiben.
Posten eines Quartiersmanagers soll geschaffen werden
Die Festlegungen gehen über die Verabredung von Größe und Art der Unterkünfte für Flüchtlinge weit hinaus. So soll ein Quartiersmanagement für den gesamten Stadtteil Neugraben-Fischbek eingeführt, der Posten eines Quartiersmanagers geschaffen und ein Quartiersbeirat gegründet werden, an dem die Bürgerinitiative „mit Sitz und Stimme beteiligt“ wird. Der Quartiersbeirat soll nach aktuellem Stand eine zentrale Stellung im Stadtteil erhalten.
Der Senat verpflichtet sich laut Entwurf, die ambulante medizinische Versorgung zu verbessern. Ein oder zwei Straßensozialarbeiter sollen für die Dauer von zehn Jahren für die standortnahe Jugendarbeit eingestellt werden. Die Polizeipräsenz soll erhöht und der Quartiersbeirat einen Polizeibeamten als dauerhaften Ansprechpartner erhalten.
Der Senat ist außerdem bereit, der Initiative einen Ausbau der Kapazitäten des öffentlichen Personennahverkehrs – vor allem der S-Bahn – zuzusichern. Hintergrund: Bei Realisierung aller Wohnungsbauvorhaben in Neugraben-Fischbek wird mit einem Zuwachs von rund 10.000 Einwohnern, Flüchtlinge eingeschlossen, gerechnet. Außerdem ist die Ansiedlung von Gewerbe geplant, was die Zahl der Pendler erhöhen dürfte.
Gerade auch diese zusätzlichen Festlegungen bergen erheblichen politischen Sprengstoff. Nach Informationen des Abendblatts gibt es vor allem in der CDU erhebliche Kritik. So sei unklar, in welchem Verhältnis der Beirat zu den schon existierenden bezirklichen Gremien stehe. Außerdem wird die allgemeinpolitische Legitimation der Bürgerinitiative infrage gestellt. Schließlich wird moniert, dass die Festlegung auf maximal 1500 Flüchtlinge für den Stadtteil Neugraben-Fischbek im Widerspruch zu einem Beschluss der Bezirksversammlung Harburg stehe, wonach eine Obergrenze von 1400 gelten solle. „Wenn mir ein solcher Vertrag angeboten werden würde, würde ich den aus staats- und verfassungsrechtlichen Gründen nicht unterschreiben“, sagte der Harburger CDU-Chef Fischer dem Abendblatt.