Hamburg . Das Kieler Jungunternehmen My Boo setzt auf Kunden in Hamburg. Ihr neues Modell für rund 4000 Euro soll einen Motor bekommen.
„Der erste Satz der Kunden ist immer gleich“, sagt Razak Steinbrich lachend. „Hält das denn?“, fragen sie und zeigen auf den Rahmen des Fahrrads. Er sieht in seiner Klobigkeit zwar irgendwie massiv aus, ist aber weder aus Stahl, Alu, Carbon oder anderen Hightech-Materialien zusammengebaut, sondern aus Bambus. Razak Steinbrich ist Hamburgs erster Premiumhändler für die My-Boo-Räder, Bikes aus einem nachwachsenden Rohstoff, mit denen drei junge Männer aus Kiel eine beeindruckende Erfolgsstory schreiben.
„Das Fahrradcafé ist unser vierter Händler in Hamburg, insgesamt sind es 60 bundesweit“, sagt Maximilian Schay, einer der Gründer von My Boo. Der Laden auf St. Pauli führt die gesamte Kollektion des Start-ups mit rund sechs verschiedenen Bauarten und trägt die Idee der Bambusräder erstmals in einen Szene-Stadtteil, der den Trend der Nachhaltigkeit aufsaugt wie ein Schwamm. Im Haus neben dem Radhändler an der Detlef-Bremer-Straße werden Shirts aus Bambus und recycelten Plastikflaschen verkauft, ein paar Schritte weiter möbelt ein Bastler Schränke auf, und vor den Bars auf dem Kiez stehen Bänke aus alten Paletten.
My Boo passt zu dem Trend, der die Konsumgesellschaft infrage stellt, der Kooperation statt Ausbeutung propagiert. Denn die My-Boo-Produkte entstehen nicht nur aus natürlichen Materialien, sondern die Rahmen werden auch in Ghana gefertigt, einem der ärmsten Länder der Welt, wo sich die Kieler als faire Arbeitgeber und soziale Förderer etabliert haben. Die Endmontage erfolgt dann am Firmensitz in Kiel, wo Mechaniker auf individuelle Wünsche der Käufer eingehen und verschiedene Schaltungen, Anbauten oder Sättel installieren. Die Firma sucht hier derzeit nach einer größeren Immobilie mit rund 400 Quadratmetern, um Büro und Fertigung endlich unter einem Dach vereinen zu können.
„Viele Kunden sind anfangs skeptisch“
In Ghana besteht das Team in der Produktion aus handwerklich begabten Leuten, die in dem von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Land ansonsten kaum Chancen auf eine Beschäftigung hätten. 20 Mitarbeiter zählt die Manufaktur in dem Küstenland inzwischen, und in Deutschland wächst ihre Fangemeinde. Im ersten vollen Geschäftsjahr nach der Gründung, also 2015, haben die Unternehmer 150 Exemplare der mit rund 2000 Euro nicht gerade billigen Räder verkauft. Für 2016 rechnen sie mit 350. „Im nächsten Jahr wollen wir den Absatz dann auf 700 verdoppeln“, sagt Mitgründer Jonas Stolzke. Die Gründer, die von Business Angel Hans Helmut Schramm aus Brunsbüttel unterstützt werden, sehen selbstbewusst in die Zukunft, weil ihre Idee mit zunehmender Bekanntheit eine Art Eigendynamik entwickeln kann.
„Viele Kunden sind anfangs skeptisch“, sagt Händler Razak Steinbrich und kommt auf die Frage nach der Haltbarkeit der Bambusrohre zurück. „Aber wer einmal eine Probefahrt gemacht hat, ist von dem Fahrgefühl begeistert“. Der Rahmen aus dem leicht federnden Material ermögliche ein komfortableres Fahren als auf einem Stahlrad. „Außerdem bauen die Asiaten ihre Gerüste aus Bambus, das sagt doch schon alles“, fügt der Radexperte hinzu. Zugleich wurde die Sicherheit der Bauteile von einem unabhängigen Prüfinstitut bestätigt.
Doch bis zur Marktreife des ungewöhnlichen Gefährts war es ein langer Weg. Alles begann vor etwa vier Jahren, als sich Schay und Stolzke bei der Wohnungssuche in Kiel zufällig kennenlernten. Beide studierten in der norddeutschen Landeshauptstadt BWL und wussten von Anfang an, dass sie sich einmal selbstständig machen wollten.
Motorisierte Räder immer mehr nachgefragt
Dann kam Ghana ins Spiel: Ein Freund lebte damals dort und erzählte von Fahrrädern mit Rahmen aus Bambus, die in einem sozialen Projekt gefertigt wurden. Das war die Initialzündung der jungen Männer für die Gründung. Sie experimentierten mit der Stabilität der Konstruktion, erfanden die Verbindungsstücke aus einem Hanfgeflecht und brachten die Modelle auf das Niveau europäischer Fahrradfertigung.
Die Unternehmer setzten dabei nicht nur auf eine gute Idee, sondern auch auf einen wachsenden Markt. Rund 4,35 Millionen Fahrräder wurden 2015 bundesweit verkauft, nach 4,1 Millionen Stück im Jahr zuvor. Besonders rasant wächst die Nachfrage nach motorisierten Produkten.
„Das stärkste Absatzplus verzeichneten wir 2015 mit 35 Prozent bei den E-Bikes“, sagt eine Sprecherin der Fahrradhandelskette B.O.C. Laut Herstellerverband wurden im vergangenen Jahr gut 530.000 Elektrofahrräder in Deutschland verkauft. Damit sind aktuell rund 2,5 Millionen E-Räder unterwegs. „Wir schätzen, dass deren Anteil von heute etwa zwölf Prozent am Markt bis 2018 auf 15 Prozent wächst“, sagt David Eisenberger, Sprecher des Verbands der Zweiradindustrie ZIV. Auch auf diesen Zug der Branche wollen die Kieler aufspringen. Jonas Stolzke hat sich gerade den Protyp in Ghana angeschaut, der mit einem Mittelmotor ausgestattet sein soll. Gut 4000 Euro wird das Gerät kosten. Razak Steinbrich freut sich schon, denn bald kann er nicht nur Renn- und Tourenräder anbieten, sondern auch das erste E-Bike aus Bambus.