Hamburg. Warum schien in der Innenstadt die Sonne, während im Nordosten Hamburgs der Tornado fegte? Und warum irrten die Meteorologen?

Nachdem am Dienstag ein Tornado über den Nordosten Hamburgs wütete und Schäden im Millionen-Bereich anrichtete, warnt der renommierte in Hamburg geborene Klimaforscher Prof. Dr. Mojib Latif vor dem bereits stattfindenden Klimawandel. „In Zukunft werden wir mit mehr heftigen Gewittern und infolgedessen auch mit mehr Tornados im gesamten Bundesgebiet und auch in Hamburg rechnen müssen", sagt der Meteorologe, der 2015 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde. Daher sei die Umsetzung der seit Januar für alle Länder geltenden Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen "dringender denn je" nötig.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnte bereits am Dienstagmittag vor einem Tornadopotenzial in der Region Hamburg. Seit fast einer Woche gibt es immer wieder Unwetterwarnungen für die Hansestadt, die umliegenden Regionen und den Rest von Deutschland. Doch nicht immer kommt es dann auch zu einem „schweren Gewitter mit Starkregen“, wie vom DWD gewarnt.

„Gewitter sind eine tückische Gefahrenlage. Sie treten punktuell auf und betreffen nur einzelne Stadtteile“, erklärt Meteorologe Rüdiger Hartig vom Seewetterdienst Hamburg. Während also im Hamburger Nordosten das Unwetter niedergeht, so wie am Dienstag sogar mit einem Tornado, kann in der Innenstadt weiter die Sonne scheinen. „Die Lebensdauer eines Gewitters beträgt 15 bis 30 Minuten. Es kann zwar zehn Kilometer hoch sein, hat aber meist nur einen Durchmesser von zwei bis drei Kilometern.“ Das mache eine ganz genaue Vorhersage so schwierig. Hartig erklärt es mit einem Vergleich.

Warnungen sollen genauer werden

„Wir nennen es den Kochtopfeffekt“, vereinfacht der Wissenschaftler. So wie in einem Kochtopf, der mit Wasser auf einer eingeschalteten Herdplatte steht, sei es mit dem Gewitter. „Wir haben alle nötigen Zutaten, die zum Blubbern des Wassers führen, oder eben dem Gewitter, aber im Topf vorherzusagen, wo die Blasen auftreten, das können wir nicht.“

Dabei versuche der Deutsche Wetterdienst so gut es gehe, seinem Auftrag nachzukommen. Der von Steuergeldern finanzierte DWD ist per Gesetz unter anderem dazu verpflichtet, „amtliche Warnungen über Wettererscheinungen, die zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen können“, herauszugeben. Und dies geschehe immer genauer, so Hartig weiter.

Derzeit informiert und warnt der Wetterdienst in mehreren Schritten. Zunächst gibt es mehrere Stunden vor einem möglichen Unwetter erste Vorwarninformationen für bestimmte Gebiete wie etwa Hamburg und Schleswig-Holstein. Eine genauere Vorhersage, für die Landkreise etwa, kann dann rund eine Stunde vor dem Gewitter herausgegeben werden. In den kommenden Monaten soll dies noch präzisiert werden. Dann sollen Vorhersagen für einzelne Bereiche auf Größe von Gemeinden möglich sein, so Hartig.

Tornados in Norddeutschland

Bützow, 5. Juni 2015: Ein Tornado rast durch die mecklenburgische Kleinstadt Bützow. Eine Radfahrerin wird schwer verletzt, es gibt 30 Leichtverletzte. In nur zehn Minuten werden in der Altstadt unzählige Dächer abgedeckt, am Morgen danach sind die Straßen bedeckt von zerstörten Dachziegeln und Schutt. Tausende Bäume werden gefällt. Alleine die Gebäudeschäden betragen etwa 40 Millionen Euro. Ein Jahr danach sind die Häuser repariert, nur der vernichtete Baumbestand ist nicht zu ersetzen, sagt Bürgermeister Christian Grüschow (parteilos).

Heldoländer Düne und Sylt, 12. Juni 2010: Windhosen verwüsten auf der Helgoländer Düne einen Campingplatz und auf der Nordseeinsel Sylt ein Zeltlager. Auf der Düne vor Deutschlands einziger Hochseeinsel Helgoland werden elf Menschen verletzt, sie erleiden überwiegend Knochenbrüche, vor allem durch Strandkörbe. Lutz Hardersen, Wirt des Dünenrestaurants, berichtete damals von Strandkörben, die 100 Meter weit durch die Luft gewirbelt und völlig zerstört wurden: „Es sieht aus wie nach einem Bombenangriff“. Auf Sylt gibt es keine Verletzten, als ein Tornado in Hörnum über ein Zeltlager hinwegfegt.

Bad Bramstedt, 11. November 2007: Einigermaßen glimpflich übersteht Bad Bramstedt (Kreis Segeberg) einen Tornado, der nach heftigem Hagel auf rund 1300 Metern Länge über den Nordrand des Kurortes zieht. Niemand wird verletzt, auch die Schäden halten sich in Grenzen. Ein entwurzelter Baum kippt auf ein Auto, Dächern werden bis zu 20 Quadratmeter abgedeckt.

Hamburg, 27. März 2006: Zwei Tote, 300.000 Hamburger ohne Strom, Chaos im Nahverkehr und Schäden in Millionenhöhe: Das ist die verheerende Bilanz eines Unwetters mit einem Tornado, der am Abend um 19.00 Uhr über den Stadtteil Harburg mit 150 Stundenkilometern fegt. Zwei Bauarbeiter im Alter von 43 und 45 Jahren sterben in ihren Führerhäuschen, als ihre Kräne auf einer Baustelle „wie in Zeitlupe“ umkippen, zwei weitere Arbeiter werden verletzt. Abgedeckte Dächer, umgeknickte Bäumen, abgerissene Stromleitungen - doch der damalige Innensenator Udo Nagel (parteilos) betont: „Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können, (...) nicht auszumalen, wenn das ganze einige Stunden früher auf belebten Straßen passiert wäre.“

Norderstedt, 23. Juni 2006: In der schleswig-holsteinischen Stadt am nördlichen Speckgürtel Hamburg richtet ein Tornado schwere Schäden an. Besonders heftig wütet die Windhose auf einem Reiterhof: Eternit-Platten fliegen wie Geschosse durch die Luft. Zehn Kinder werden noch rechtzeitig in einer Reithalle in Sicherheit gebracht. Eine Joggerin wird leicht verletzt. Zahlreiche Bäume stürzen um, die Dächer einiger Häusern abgedeckt, aber es wird niemand verletzt.

Basedow, 15. Juli 2005: Die Die Menschen auf dem Campingplatz „Lanzer See“ in Basedow (Kreis Herzogtum Lauenburg) werden gegen 14.00 überrascht: Ein Sturm mit Hagel und Regen fegt über den Platz am Ufer des Elbe-Lübeck-Kanals hinweg. Der Tornado fällt Bäume, deckt Dächer ab und zerfetzt Vorzelte. Äste stürzen in Stromleitungen und fangen Feuer. Umgekippte Bäume zerdrücken Autos. Menschen werden nicht verletzt. „Der Spuk dauerte keine 30 Sekunden“, berichtet Platzwart Jürgen Heine damals. Auf fast allen der 200 Plätze des Campingplatzes sind anschließend Schäden zu beklagen.

Kiel, 5. Mai 1973: An einem verkaufsoffenen Samstag tobt nachmittags ein Tornado durch die Kieler Innenstadt. Ein Mensch stirbt, es gibt mehr als 100 Verletzte. Der Sturm richtet Schäden von etwa 15 Millionen Euro an, betroffen sind auch der Kieler Hauptbahnhof und das Werftgelände von HDW (heute TKMS). Schon bevor das Unwetter Kiel erreicht, zerstört es mehrere Bauernhöfe und knickt Hochspannungsmasten. HA/dpa

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Eine genaue Gewitterwarnung, die beispielsweise an die Feuerwehren und die Polizei gesendet wird, hängt dann von den Radarbildern ab. Dort können die Experten sehen, wo sich das Gewitter bildet.

Kritik, dass die Warnungen zu spät oder nicht ausreichend kommuniziert wurden, weist Hartig zurück. „Das ist hinterher immer leicht zu sagen“, so Hartig. Es werde immer abgewogen. Zu viel Warnungen könnten auch dazu führen, dass es einen „Katastrophentourismus gibt oder sich die Menschen selbst evakuieren“. Dann sei der Einsatz für die Rettungskräfte schwierig. Dennoch werde versucht, so wissenschaftlich genau wie möglich zu arbeiten und Schäden zu verhindern. Das Ziel sei, nicht zu viel und nicht zu wenig zu warnen.

Wie sieht es bei Tornados aus?

Warnungen vor einem Tornado sind sogar noch schwieriger, da sie noch kleinräumiger sind. Zwar kann mehrere Stunden vor einer möglichen Bildung eines Tornados vor einem Tornadopotenzial gewarnt werden. Dann sind aber auch die Experten meist von Augenzeugenbeobachtungen abhängig, da sich die Stürme innerhalb von wenigen Minuten bis Sekunden bilden und nicht mit Wetterradargeräten oder Wettersatelliten zu messen sind, wie der Tornado-Experte des DWD, Andreas Friedrich, erklärt. Dann sind die Vorwarnzeiten sehr gering, etwa 10 bis 60 Minuten vor dem Tornado. Diese Zeit sei auch in den USA nicht anders, wo Tornados häufiger auftreten.

Nach Informationen des DWD treten pro Jahr etwa 20 bis 60 Tornados in Deutschland auf, je nach Wetterlage. Eine Tornadoallee wie in den USA gebe es aber nicht, so der Experte in einem Video.

Wie kann man sich informieren?

Der Deutsche Wetterdienst hat verschiedene Kanäle, auf denen sich Bürger informieren können. Unter anderem gibt es die App für Smartphones und Tablets, die alle zwei Minuten aktualisiert werde. Auch in den sozialen Medien informiert der DWD, zum Beispiel auf Facebook und auf Twitter. Bei Unwetterwarnungen bekommen auch die öffentlich-rechtlichen Radiosender eine Meldung, die in den Nachrichten verlesen wird.

Wie schützt man sich bei einem akuten Tornado?

Der Deutsche Wetterdienst rät, sollte man sich in einem Auto befinden, möglichst weit, etwa 500 bis 1000 Meter, vor dem Wirbelsturm zu flüchten. Anders als bei einem Gewitter könne das Auto schnell zu einer Gefahr werden. Bäume könnten beispielsweise auf das Auto fallen. „Bei starken Tornados können diese sogar angehoben werden“, so Friedrich. Ein Tornado bewege sich mit 20 bis 50 km/h vorwärts. Daher sei es ratsam, mit dem Auto auszuweichen. In einem Haus sollten die Betroffenen den Keller aufsuchen. Räume mit Fenstern sollten gemieden werden.

Wann zahlt eine Versicherung?

Zu den Elementarschäden an Wohnungen und Häusern zählen die Folgen der meisten Naturgewalten - etwa Hochwasser, Erdbeben oder Lawinen. Anders als bei Hagel und Sturm sind diese Gefahren nicht über die klassischen Gebäudeversicherungen abgedeckt. Das Gleiche gilt für Schneemassen, die ein Dach beschädigen, und Starkregen, der das Haus überschwemmt. Auch wenn Wasser sich aus den Ableitungsrohren zurückstaut und einen Keller überflutet, bleiben die Betroffenen auf ihren Kosten sitzen. Geld erhält in diesen Fällen nur, wer eine Zusatzpolice gegen Elementarschäden abschließt.

Mit Material von dpa