Hamburg. Zoff bei Kleingärtnern: Landesverband will mit einer neuen Satzung erzwingen, dass Kiefern und andere Koniferen gefällt werden.

Das muss weg! Das muss weg! Und das da, das muss auch weg! Roland Spahr geht alle Bäume durch – Kiefern, Koniferen, Schmucktannen. Am Ende zählt er sieben Nadelbäume allein auf dieser Parzelle, alle reif für die Axt. Dabei hat sich der Kleingärtner wenig vorzuwerfen: Die Laube ist blau-weiß gestrichen, der Rasen penibel gemäht, der Bewuchs fein komponiert. „Aber Nadelbäume sind demnächst verboten“, sagt Spahr und quittiert seine Feststellung mit einem ausgedehnten Kopfschütteln. Denn auf den 42 Parzellen seines Vereinsidylls sind mehr als 70 Bäume von der Kettensäge bedroht, sagt der Vorsitzende des Kleingartenvereins Westende in Tonndorf. „Das ist eine Katastrophe!“

Was Spahr aufregt, ist die geplante Satzungsänderung für alle Kleingärtner. Demnach will der Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg (LGH), unter dessen Dach 311 Vereine organisiert sind, sämtliche Nadelbäume aus den Schrebergärten verbannen. Die neue Satzung soll am heutigen Montag den Delegierten der Landesbundversammlung in Wilhelmsburg zur Abstimmung vorgelegt werden.

Vorsitzender spricht von "enormer Unruhe"

Der Beschluss würde etwa 60.000 Bäume in der Stadt den Stamm kosten. „Unfassbar“, sagt Spahr. „Dass wir uns über Umweltschutz unterhalten und dann erst mal Tausende Nadelbäume fällen.“ Spahr nennt das Verfahren, das zu den Änderungsvorschlägen geführt habe, intransparent. Deshalb hat er beantragt, den Beschluss zu vertagen. Er wünsche sich mehr Mitbestimmung und Gestaltungsspielraum.

Dabei sieht Roland Spahr nicht aus wie ein Konterrevolutionär. Als Marineoffizier ist er sogar das Gegenteil gewohnt – Befehl und Gehorsam. Aber in seiner Funktion als Vorsitzender eines Kleingartenvereins begehrt er auf. Über ihm brennt die Hamburger Maisonne, unter ihm knirscht der Sand der Sparte. Und wenn man Spahr Glauben schenkt, ist der Sand nicht das Einzige, was knirscht. Im Hamburger Kleingartenwesen gebe es enorme Unruhe.

Kleingärtner befürchten Wohnungsbau

Denn in der neuen Satzung soll auch festgeschrieben werden, dass Mitglieder aus Kleingartenvereinen ausgeschlossen werden können, sobald sie „durch ihr Verhalten das Ansehen oder die Interessen des LGH, seiner Organe sowie der Bezirksgruppen schädigen“. Spahr sieht darin einen Versuch, kritische Kleingärtner mundtot zu machen, sie leichter loswerden zu können. Im Zweifel, so Spahr, müssten die frei werdenden Parzellen wohl Neubauten weichen. Spahr wittert Begehrlichkeiten der Wohnungswirtschaft.

Dazu passt, dass ein „Ideenpapier“ des Senats kursieren soll, in dem es heißt, bei Kleingärten sei mittelfristig „eine Verkleinerung“ anzustreben, und zwar zugunsten neuer Wohnungen. Die Flächen für den Wohnungsbau reichten nur noch bis zum Jahr 2019. Schon im vergangenen Jahr hat Spahr moniert, dass es die Möglichkeit der Kündigung wegen Bebauungsplänen gibt. Kleingärten wurden vermehrt vom Umweltamt auf Verstöße, etwa verbotene Spültoiletten, untersucht. Und wer daraufhin aus dem Landesbund ausgeschlossen werde, mache den Weg für Neubauten frei.

Landesbund strebt Teilung von Gärten an

Alles Quatsch, meint Dirk Sielmann, Vorsitzender des Landesbunds der Gartenfreunde: „Eine einseitige Hauruck-Aktion wird es nicht geben.“ Gleichwohl strebt Sielmann die Teilung aus seiner Sicht überdimensionierter Kleingärten an, sie seien nicht mehr zeitgemäß, zumal es mancherorts lange Wartelisten gebe. Grundsätzlich erwarte Sielmann, Vorsitzender von Hamburgs größtem Grundstücksnutzer, dass die Stadt mit dem Landesbund zusammenarbeite und Ersatzkleingärten bei Neubauprojekten mit einplane. Etwa wie bei einem aktuellen Flächentausch in Eimsbüttel, wo Kleingärten zugunsten eines Neubauprojekts vom Lenzweg an die Hagenbeckstraße umziehen sollen.

Dass sämtliche Nadelgehölze aus den 33.000 Parzellen der Stadt verschwinden sollen, verteidigt LGH-Geschäftsführer Dirk Sielmann dagegen. Dabei hält nicht nur Roland Spahr diesen Plan für Irrsinn. Auch Angelika Traversin vom Kleingartenverein Grode Wisch nennt die Absicht „katastrophal“. Hamburgs Schrebergärten seien mit einer Gesamtfläche von 1400 Hektar die größte Grünanlage der Stadt. „Wenn dort alle Nadelbäume gerodet werden, verlieren wir wertvolle Naherholungsgebiete“, sagt sie. Den ökologischen Nutzen des gewachsenen Baumbestands könnten Neupflanzungen erst in Jahrzehnten erreichen. Sie fordert eine Satzungsanpassung.

Artenvielfalt durch Baumschatten eineschränkt

Grund für den Passus sei laut LGH-Geschäftsführer Dirk Sielmann, dass man sich in vielen Kleingärten „wie auf dem Friedhof“ fühle. Viele der 43.000 Mitglieder des LGH hätten auf eine Änderung gedrängt, denn der Schattenwurf schränke die Artenvielfalt ein. Kurzum: Nadelgehölze müssten auch aus ökologischen Gründen fallen. Laut Bundesgesetz dürfe „die kleingärtnerische Nutzung“ nicht durch Nadelbäume beeinträchtigt werden. Zudem empfehle sogar der BUND, Kleingartenflächen vom Baumschutz auszunehmen. Vor allem Neupflanzungen von Nadelbäumen, so Sielmann, sollen mit der Bestimmung verhindert werden.

Manfred Krauss, Pächter von Parzelle 16 im Kleingartenverein West­ende, müsste demnach nur einen Baum auf seinem Grundstück fällen, eine Eibe. „Ich frage mich aber schon, wer sich solche Sachen ausdenkt.“ Dem 80-Jährigen würden Kosten aufgezwungen – sowie bald eine kahle Stelle auf der Parzelle. Gut findet er das nicht. „Die da drüben müssten für ihre drei großen Tannen etwa 1000 Euro pro Baum berappen“, sagt er. Kein Pappenstiel. Und auch die Bezirksämter haben ein Wörtchen mitzureden: Laut Baumschutzordnung müssen Fällungen ab einem Stammdurchmesser von 25 Zentimetern genehmigt werden.

Steuerlichen Gründen sollen Ursache sein

Bleibt die Frage, warum die Satzung überhaupt geändert werden muss? Wegen einer veränderten Ge­setzeslage, sagt Landesbundchef Sielmann: „Um die steuerliche Gemein­nützigkeit auch in Zukunft erteilt zu bekommen, erfordert die Abgabenordnung Änderungen beim Zweck und der Auflösung eines Vereins, damit das Vereinsvermögen weiterhin gemeinnützigen Zwecken, der Kleingärtnerei, zugeführt wird.“

Im Übrigen entsprächen die Vorwürfe einiger Kleingärtner nicht den Fakten. Das Verfahren sei weder intransparent noch gegen unbequeme Stimmen gerichtet. Sielmann: „Den Kritikern geht es mutmaßlich gar nicht um die Satzungsänderungen, sondern darum, aus ihren Kleingärten Wochenendgrundstücke mit Sielanschluss zu Schreberpreisen zu machen.“

„Wir wollen nur vor Satzungsänderungen gehört werden und nicht danach“, entgegnet Roland Spahr. Die neuen Bestimmungen verhinderten aber einen Meinungsaustausch im LGH und reglementierten zu stark. Die vorgeschlagenen Satzungsänderungen wie der Verkauf von Flächen, die Verkleinerung von Parzellen und Regelungen zum möglichen Ausschluss von Vereinen seien so tiefgreifend, dass sie zunächst beraten werden müssten. Stattdessen werde eine Drohkulisse erzeugt, die Konflikte fördere. Spahr: „Mitbestimmung wird so jedenfalls nicht gefördert.“