Teil 10: Frei verkäufliche Arzneien füllen in Drogeriemärkten lange Regale. Was ist bei der Selbstmedikation zu beachten?

Wer sich krank fühlt und dann kurzfristig zum Arzt geht, muss in der Regel Zeit und Geduld mitbringen. Im Wartezimmer hockend, mag sich der Leidgeprüfte fragen: War das wirklich nötig? Kann ich mich nicht selbst behandeln? Schließlich gibt es eine Armada von frei verkäuflichen Arzneien, die in Drogeriemärkten und Apotheken lange Regale füllen. Was davon hilft, was kann ich mir sparen?

„Ob bei Alltagsbeschwerden ein Besuch beim Arzt ratsam ist, sollte man von der Schwere des Krankheitsgefühls abhängig machen“, sagt Prof. Martin Scherer, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).

„Wenn man zum Beispiel bei Erkältungen anhaltend Fieber hat und eigentlich gar nicht mehr raus aus dem Bett möchte, sollte man zur Sicherheit zum Hausarzt gehen“, empfiehlt Scherer. Das gelte insbesondere für ältere Menschen und wenn kleine Kinder betroffen sein. „Viele Patienten machen das aber intuitiv richtig“, sagt Scherer.

Erkältung aushalten oder zum Arzt?

Bei gewöhnlichen Infekten werde das Immunsystem meist allein mit den Krankheitserregern fertig. „Deshalb ist es oft eher eine Frage der persönlichen Leidensfähigkeit und des Geldbeutels, ob man zum Beispiel eine Erkältung ohne jede Behandlung aushalten kann und will oder ob man seine Beschwerden möglichst schnell lindern möchte und dies mit frei verkäuflichen Arzneien unterstützt“, sagt Scherer.

Scherer ist auch Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und Vorsitzender einer Kommission, die jene Behandlungsleitlinien erarbeitet, an denen sich die deutschen Hausärzte orientieren.

Deshalb hat der Arzt einen guten Überblick über die verschiedenen Medikamente, die etwa zur Behandlung von Husten, Halsschmerzen, Magen-Darm-Infektionen und Muskel- und Gelenkschmerzen angeboten werden.

Schnupfen, Husten: Wann hilft der Wirkstoff ASS?

Einer der vielseitigsten Wirkstoffe ist Scherer zufolge die Acetylsalicylsäure (ASS), eingenommen als Dosis von drei bis sechs 500-Milligramm-Tabletten pro Tag bei Erwachsenen. Dieses Arzneimittel wirkt unter anderem fiebersenkend und schmerzlindernd, deshalb hilft es gegen Kopf- und Gliederschmerzen und teilweise auch gegen Halsschmerzen. „Damit lassen sich einige Erkältungssymptome deutlich lindern“, sagt Scherer.

Eine mögliche Nebenwirkung von ASS sei, dass die Substanz auf den Magen gehen könne. Auch Asthmatiker sollten mit ASS vorsichtig sein und es möglichst nur nach Absprache mit einem Arzt nutzen, rät Scherer.

Nicht geeignet sei ASS zur Behandlung von Kindern, weil es zu gefährlichen Unverträglichkeits- und Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen könne. Empfehlenswert bei einer Erkältung ist Scherer zufolge auch Paracetamol, das ebenfalls gegen Fieber und Schmerzen wirkt. Für beide Wirkstoffe, ASS und Paracetamol, gelte allerdings: „Nichts davon ist bei einer Erkältung für die Heilung notwendig.“

Nasennebenhöhlenentzündung: Wirkt Sinupret?

Schnupfen bekommt man mit diesen Wirkstoffen ohnehin nicht so gut in den Griff. Hier seien Nasensprays oder Nasentropfen geeignet, die die gereizten Nasenschleimhäute abschwellen lassen, sagt Scherer. Solche Sprays sollte man allerdings nicht länger als eine Woche nutzen, weil sie sonst die Schleimhäute schädigen können.

Ein populäres Medikament gegen Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis) ist Sinupret, eine pflanzliche Arznei, die aus Eisenkraut, Enzianwurzel, Gartensauerampferkraut, Holunderblüten und Schlüsselblumenblüten besteht. Studien zufolge könnte Sinupret eine therapeutische Wirkung bei Nasennebenhöhlenentzündungen haben, überzeugend nachgewiesen sei dies aber nicht.

Wie gut erforscht ist das Medikament Gelomyrtol?

Das gelte auch für das Medikament Gelomyrtol, eine Mischung aus Eukalyptusöl, Süßorangenöl, Myrtenöl und Zitronenöl. In den DEGAM-Leitlinien wird das Präparat als Option zur Behandlung von Husten und als Schleimlöser in den Bronchien genannt.

„Die Ergebnisse aus Studien sind vielversprechend – aber nicht mehr“, sagt Scherer. Für Sinupret und Gelomyrtol müsse man deshalb feststellen: „Man kann diese Medikamente gegen eine Erkältung nutzen – medizinisch notwendig ist das aber eher nicht.“

Ähnlich sieht es bei Präparaten aus, die Isländisches Moos enthalten und bei Halsschmerzen als Alternative zu frei verkäuflichen Mitteln wie Lemocin und Neoangin angeboten werden. Es gebe zwar bei Isländisch Moos eine „tendenziell vielversprechende Studienlage“. Doch Halsschmerzen verschwänden in der Regel auch ohne die Behandlung mit solchen Mitteln.

Magen-Darm-Infekte

In Supermärkten, Drogerien und Apotheken werden etliche Tees angeboten, die eine positive Wirkung auf Magen und Darm haben sollen. Heilen sie auch Infekte durch Bakterien und Viren? „Das kann man wohl ausschließen“, sagt Scherer. „Trotzdem sagt einem schon der gesunde Menschenverstand, dass Tees, die etwa Anis, Kümmel, Fenchel oder Kamille enthalten, den Darm beruhigen können. Wenn man Durchfall hat, trinkt man besser einen warmen Kräutertee als eine kalte Limonade“, sagt Scherer. „Ich würde aber nicht darauf schwören, dass pflanzlicher Tee besser ist als warmes Wasser.“

Muskel- und Gliederschmerzen

Etliche positive Erfahrungsberichte von Patienten gebe es auch zu Pferdesalbe, die gegen Muskel- und Gelenk­beschwerden helfen soll. Unter dieser Bezeichnung angebotene Präparate enthalten meist Extrakte aus Rosmarin, Kampfer und Arnika. „Ich werde auch immer wieder von Patienten gefragt, ob Pferdesalbe etwas bringt“, sagt Scherer. „Mag sein, dass es hilft, zumindest bei hautnahen Gelenken wie Schulter-, Ellbogen- und Kniegelenk. Aber es gibt keine handlungsleitende Studienlage dazu.“

Einige Untersuchungen gebe es dagegen zu Kytta-Salbe, die zur Behandlung von Schmerzen in Knie- und Fußgelenken genutzt wird. Sie enthält als Wirkstoff Beinwellwurzelextrakt. Die Studienergebnisse seien „durchaus vielversprechend“, sagt Scherer – eine klare Empfehlung lasse sich aber nicht aussprechen.

Helfen zusätzliche Vitamine?

Insbesondere Drogerien bieten diverse Präparate an, die künstliche Vitamine enthalten. Hilft es zum Beispiel bei einer Erkältung, zusätzlich Vitamin C einzunehmen, kann man damit einer Erkältung vorbeugen? Zweimal nein, sagt Scherer. „Es hat viele Studien gegeben, um zu untersuchen, ob eine zusätzliche Gabe von Vitamin C über das normale Maß hinaus das Immunsystem nennenswert unterstützt. Es ließ sich nicht beweisen.“ Das Gleiche gelte für Zink.

„In einer ausgewogenen Ernährung steckt alles drin, was der Körper braucht“, sagt Scherer. Die meisten Menschen müssten keine Nahrungsergänzungsmittel einnehmen – weder zur Vorbeugung von Krankheiten noch zur Behandlung. Nur bei bestimmten chronischen Krankheiten, etwa Magen-Darm-Erkrankungen, durch die bestimmte Vitamine nicht mehr aufgenommen werden können, müssten Vitamine zugeführt werden, sagt Scherer.

Eine Ausnahme sei Vitamin D, das wir brauchen, damit genügend Kalzium in unsere Knochen eingelagert wird und diese stark bleiben. Hier müsse mitunter Vitamin D ergänzend zur Nahrung zugeführt werden, da nicht überall in Deutschland die Sonneneinstrahlung ausreichend ist, um eine ausreichende Vitamin-D-Bildung in der Haut zu gewährleisten.

Was ist von Homöopathie zu halten?

Es gibt inzwischen mehr als 2000 verschiedene homöopathische Arzneien. Jeder dieser Stoffe wird in winzigen Dosen verabreicht, die bei bestimmten Beschwerden helfen sollen. Wissenschaftlich nachgewiesen ist eine therapeutische Wirkung bisher nicht. Dennoch bezahlen inzwischen etliche Krankenkassen homöopathische Therapien. Wie ist das zu erklären? „Gute Lobbyarbeit“, sagt Martin Scherer trocken. Mit der Homöopathie sei es wie mit der Religion: „Man kann daran glauben oder nicht“, sagt der Allgemeinmediziner.

Ähnlich verhalte es sich mit sogenannten Schüßlersalzen. Dabei handelt es sich um Mineralsalze, die in homöopathischer Dosierung eingenommen werden sollen, um dadurch Krank­heiten zu beseitigen, die durch eine Störung des Mineralhaushalts der Körperzellen entstanden sein sollen. Wissenschaftlich anerkannt sind diese Annahmen nicht, eine Wirksamkeit ist nicht nachgewiesen. Martin Scherer mag deshalb nicht viel mehr dazu sagen. Nur dies: „Schonen Sie Ihren Geldbeutel.“