Hamburg. Die Trauerfeier für den 17-Jährigen findet in der St. Pauli Kirche statt. Der Verfassungsschutz geht von 460 Salafisten in Hamburg aus.

Die Vorstellung von einem vermeintlich heroischen Kampf im Namen Gottes lockt den jungen Hamburger Florent im Mai 2015 zur Terrormiliz Islamischer Staat nach Syrien, auch im Nordirak soll er gewesen sein. Doch schnell muss er erkennen, dass die Realität im Kampfgebiet ganz anders aussieht. Er warnt seine Glaubensbrüder in Deutschland vor dem IS und seinem Umgang mit westlichen Rekruten. „Die schicken die Brüder einfach in den Tod“, sagt der 17-Jährige in einer Audiobotschaft. Im Juli stirbt Florent, die Umstände sind unklar. Knapp ein Jahr später soll an diesem Freitag bei einer christlich-muslimischen Trauerfeier in der evangelischen St. Pauli Kirche an ihn erinnert werden.

460 Salafisten in Hamburg

Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz geht derzeit in seinem Gebiet von 460 Anhängern der salafistischen Szene aus, etwa 270 von ihnen sollen Dschihadisten sein, die die Ideologie der islamistischen Terrororganisation Al-Kaida oder des „Islamischen Staates“ unterstützen. Bundesweit reisten nach Erkenntnissen der Behörden 820 Personen aus, um in die Bürgerkriegsgebiete in Syrien und Nord-Irak zu gelangen (Hamburg: 65). Etwa ein Drittel davon kehrte zurück. Bei 140 Ausgereisten gibt es Hinweise, dass sie tot sind. Darunter sollen nach Behördenangaben 15 aus der Hamburger Szene sein.

Die Meinungen darüber, dass eine Trauerfeier für den IS-Kämpfer Florent in einer evangelischen Kirche ausgerichtet wird, gehen auseinander, auch in den sozialen Netzwerken sorgt die Ankündigung für Diskussionsstoff. „Ich bin schon öfter kritisch angegangen worden, wie ein Pastor eine Trauerfeier für einen Terroristen machen könne“, berichtet Pastor Sieghard Wilm. Er habe aber auch Zuspruch erhalten.

Florent soll nicht idealisiert werden

„Wir verweigern uns nicht dieser schwierigen Situation“, erklärt der 50-Jährige, der Florent seit Jahren kannte. „Uns stehen als Menschen nicht die letzten Urteile zu, die stehen Gott alleine zu.“ Bei dem Gottesdienst solle zudem aller Opfer von Terror und Gewalt gedacht werden. „Für mich ist es das erste Mal, dass ich so einen christlich-muslimischen Gottesdienst für einen IS-Anhänger mache“, sagt Wilm. Florent werde bei dem Totengedenken nicht idealisiert. „Die ganze Gebrochenheit seines Lebens wird auch benannt."

Florent alias Bilal beim Klettern an der St. Pauli Kirche im Sommer 2008
Florent alias Bilal beim Klettern an der St. Pauli Kirche im Sommer 2008 © privat

Rückblende: Der in Kamerun geborene Florent kommt als Kleinkind nach Deutschland. Er stammte nach Angaben des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) aus einer christlichen Familie, konvertiert aber mit 14 Jahren zum Islam. Er radikalisiert sich zunehmend, schaut IS-Gewaltvideos und kleidet sich anders. Der Jugendliche möchte nun nicht mehr Florent genannt werden, sondern „Bilal“. In der Schule hätten er und einige andere Jungen Mädchen, die kein Kopftuch trugen, beschimpft, erinnert sich Pastor Wilm.

Der Zeitpunkt seines Todes ist unklar

Schließlich verlässt Florent Hamburg, um sich dem IS anzuschließen. „Wir wissen nicht, wann er gestorben ist, nicht durch wen und wo“, sagt Wilm, der die Trauerfeier zusammen mit einem Imam hält. Bis heute wurde keine Leiche gefunden. Nach Angaben des Verfassungsschutzes mutmaßt ein Teil der salafistischen Szene, dass der IS selbst „Bilal“ umbrachte. Der Inhalt seiner Audiodatei werde in der islamistischen Szene diskutiert und zwar in alle Richtungen, erklärt Verfassungsschutz-Sprecher Marco Haase. „Bei der Analyse bestimmter Postings gibt es schon Anhaltspunkte dafür, dass sich manche Ausreisewillige die Sache noch einmal überlegen könnten.“

Florent war im Stadtteil St. Pauli sehr bekannt, in der Kirche werden deshalb am Freitag viele junge Menschen erwartet. „Die wollen trauern, die sitzen auf ihrer Trauer fest seit fast einem Jahr“, sagt Wilm. Auch Florents Mutter werde zu der Gemeinde sprechen. „Das halte ich für sehr mutig und einen wichtigen Schritt in ihrer eigenen Trauerarbeit.“ In seiner Rede will der Theologe an den Jungen erinnern. „Ich möchte natürlich den Menschen Florent, den ich kennengelernt habe, vor Augen führen“, erklärt er. „Ich möchte sprechen über das Verführtwerden, darüber dass man im Leben Fehler machen kann und trotzdem Mensch bleibt.“