Hamburg. Trauerfeier für 17-Jährigen, der nach Syrien zum IS ging, sich dort aber von den Kämpfern abkehrte. Wie er starb, ist unbekannt.

Der Schmerz sitzt noch immer tief. Florence K. hat Tränen in den Augen, als sie ein Bild ihres verstorbenen Sohnes Florent in die Hände nimmt. Noch immer kann sie nicht verstehen, warum ihr Junge im Alter von 17 Jahren im Juli vergangenen Jahres sterben musste. Im Kampfgebiet der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Für die sich der junge Hamburger entschlossen hatte, in den Krieg zu ziehen. Ein Krieg, aus dem er nicht zurückkam.

Erst jetzt, knapp ein Jahr nach dem Tod des Jungen, der in der salafistischen Szene unter dem Namen Bilal bekannt war, fühlt sich die 43 Jahre alte Mutter stark genug, öffentlich um ihren Sohn zu trauern. Stark genug, über ihn zu sprechen. Und sich von ihm mit einer Zeremonie zu verabschieden. Mit einer christlich-muslimischen Trauerfeier soll am 27. Mai in der St. Pauli Kirche an den jungen Mann erinnert werden. Dabei sind sowohl Predigten des evangelischen Pastors Sieghard Wilm von der St. Pauli Kirche als auch des Imams Abu Ahmed Jakobi, Vorstandsmitglied des Rats der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura), geplant.

Die offizielle Gedenkfeier ist für die Mutter ein wichtiger Schritt bei der Bewältigung ihrer Trauer. Sie wünsche sich, dass Christen und Muslime gemeinsam Abschied nehmen, sagt die gläubige Christin Florence K., die die Gedenkfeier für ihren Sohn mitorganisiert. Eine solche Feier sei auch für seine Hamburger Freunde wichtig. Ihr Sohn Florent sei als Christ getauft worden und später zum Islam konvertiert. Nun solle er seinen Frieden finden, „als Christ und Muslim“, sagt Florence K. Der Mutter sei es wichtig, ein Grab zu haben, an dem sie Blumen ablegen könne. Denn bestatten kann sie ihren Sohn nicht. Florents Körper ist aus dem IS-Gebiet nicht zurückgekommen.

Florent Prince N., der ursprüngliche Name ihres Sohnes, wird im Oktober 1997 in Kamerun geboren. Als Kleinkind kommt er mit Mutter Florence und zwei Geschwistern nach Deutschland. Sein Vater bleibt in Kamerun. In Hamburg wächst Florent unweit der Reeperbahn auf. Mit 14 Jahren kommt er in Kontakt mit der radikalen Salafistenszene und konvertiert zum Islam. Er verschlingt IS-Gewaltvideos und beteiligt sich an Koranverteilungsaktionen.

In der Salafistenszene vermutet man, dass der IS selbst Florent tötete

Im Mai vergangenen Jahres reist er mit einem gefälschten Pass nach Syrien aus, um sich dem IS anzuschließen. Er fühlt sich reif für die Teilnahme am bewaffneten Dschihad, die ihm mit der Aussicht auf eine Frau, ein Haus und ein geregeltes Einkommen in Syrien versüßt wird. So verheißen es ihm seine „salafistischen Freunde“. Etwa zwei Monate später stirbt er. Wann genau, weiß niemand. Vermutlich im Juli 2015. Auf der Einladung zur Trauerfeier in der St. Pauli Kirche steht der 1. Juli als Todesdatum. Denn ein Datum musste festgelegt werden. Doch sind die genauen Umstände von Florents Tod nicht bekannt. In der Hamburger Salafistenszene wird nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gemunkelt, der IS selbst habe Florent alias Bilal umgebracht.

Grund dafür könnte eine Audio­botschaft gewesen sein, die Florent kurz vor seinem Tod per Internet an seine Glaubensbrüder in Hamburg verschickte – als Warnung vor dem IS, der alles verspreche, aber nichts halte, der die eigenen Leute als Kanonenfutter missbrauche. Als Lügen bezeichnet der damals 17-Jährige darin die falschen Versprechen der Terroristen. Der Mitschnitt, der in der salafistischen Szene kursierte und den der Hamburger Verfassungsschutz (LfV) im März auf seiner Homepage veröffentlichte, ist eine Abrechnung mit dem IS – und räumt auf mit der romantisierenden Vorstellung vom brüderlich-heroischen Kampf im Namen Gottes. Das hatte Florent kurz vor seinem Tod erkannt.

Kurz vor seinem Tod telefonierte Florent noch mit seiner Mutter

Für Florents Mutter Florence ist die Botschaft ihres Sohnes vor allem ein Trost. Sie wisse, dass er mit seiner Botschaft junge Männer vor dem Weg in den Dschihad habe warnen wollen, sagt die 43-Jährige. Sie kann nicht verstehen, warum sich ihr Sohn für den Weg, sich dem IS anzuschließen, entschieden habe. Doch habe er durch seine Botschaft andere vor dem Tod durch die Terroristen bewahrt. „Er hat am Ende anderen geholfen“, sagt Florence K. In ihrer Erinnerung ist Florent ein „lieber Junge mit einem großen Herzen“. Von seiner Radikalisierung habe die Mutter nichts mitbekommen. „Ich habe nicht gemerkt, dass er sich verändert“, sagt Florence K. Auch habe sie nicht gewusst, dass ihr Sohn offenbar plante, nach Syrien zu reisen. „Er hat nie etwas erzählt.“ Kurz vor dem Tod des 17-Jährigen habe es noch ein Telefonat zwischen Mutter und Sohn gegeben, sagt Florence K. Um Politisches sei es dabei jedoch nicht gegangen. Es war ein Gespräch „zwischen Mutter und Sohn“.

Florent – hier beim Kletterspaß an der St. Pauli Kirche im
Sommer 2008
Florent – hier beim Kletterspaß an der St. Pauli Kirche im Sommer 2008 © privat

Unterstützung bei der Verarbeitung ihrer Trauer bekommt Florence K. unter anderem von Pastor Sieghard Wilm. Er bewundere den Mut und die Stärke der 43-Jährigen. Auch er kannte Florent. 2008 lernte er den Jungen als besten Freund seines Pflegesohnes kennen. Vor seiner Radikalisierung sei Florent häufig bei ihm zu Gast gewesen und auch im Jugendhaus der St. Pauli Kirche ein- und ausgegangen. Auch ihm sei das Miteinander der Religionen bei der Trauerfeier für Florent wichtig, um deutlich zu machen, dass es einen „Gott des Friedens“ gebe. „Gewalt hat mit Glauben nichts zu tun“, so Wilm.

Der Weg an die Öffentlichkeit ist für Florents Mutter kein leichter. „Ich weine immer noch“, sagt Florence K. Und doch will sie sich bei der Trauerfeier in der St. Pauli Kirche mit eigenem Text an die Trauergäste wenden. Durch die Möglichkeit, ihrem Sohn öffentlich gedenken zu können, falle ihr „eine Last vom Herzen“. Denn das gemeinsame Trauern ist für sie ein großer Schritt auf dem Weg, den Schmerz um ihren verlorenen Sohn zu überwinden.