Hamburg . Nur noch gut zwei Dutzend Eiswagen sind auf Straßen in und um Hamburg unterwegs. Behördliche Auflagen machen ihnen das Leben schwer.

Kurz vor 11 Uhr müssen alle Wagen vom Hof sein. Wenn der Gewinn sich in Eiskugeln misst, ist jede Minute wichtig – vor allem, weil in Hamburg endlich mal die Sonne scheint.

„Avanti, avanti“, ruft Gian-Carlo Livotto. Einmal noch über die glänzenden Edelstahlflächen gewienert, ein letzter Kontrollblick auf die Eisbehälter im Heck, dann werden die Schiebefenster dicht gemacht und die Eiswagen von Livotto Junior rollen Richtung Hamburg.

Wenn ein Eismann aufgibt, kommt kein neuer

Erdbeer, Vanille, Schokolade oder Cookie – wenn der Eismann an der Straßenecke bimmelt, bekommen nicht nur Kinder Lust auf den erfrischenden Schleckspaß. Gut zwei Dutzend rollende Eisdielen sind derzeit noch in den Straßen in und um Hamburg unterwegs.

Livotto Junior, mit Sitz in Ahrensburg, ist mit zehn Wagen einer der Großen auf Tour. Auch der andere Familienzweig mit Produktionsstandort in Barmbek-Süd ist unter dem Namen Eis Livotto mit neun Wagen im Geschäft. Dazu kommen einige kleinere Anbieter.

Doch die guten Zeiten sind lange passé. Das Geschäft wird immer härter. Die motorisierten Eiswagen könnten in den nächsten Jahren sogar ganz aus dem Hamburger Straßenbild verschwinden. Denn neue Genehmigungen nach dem Hamburgischen Wegerecht sprechen die Bezirke nicht mehr aus, nur bereits bestehende Lizenzen für den Straßeneisverkauf werden jährlich erneuert. Im Klartext: Wenn ein Eismann aufgibt, kommt kein neuer in der Stadt nach.

Livotto Junior stemmt sich gegen den Trend

Romeu Vicente hat mit seinem Eisauto mit der farbenprächtigen Venedig-Ansicht von Livotto Junior in der HafenCity halt gemacht. „Heute wollen alle Schokolade“, sagt der 29-Jährige Portugiese und lacht. Vor allem Touristen und einige Büroarbeiter haben sich ein Eis geholt.

Die Kugel für 90 Cent ist deutlich günstiger als bei vielen anderen Anbietern. Gut 300 Kugeln wird der mobile Eismann am Ende seiner Zehn-Stunden-Schicht an diesem strahlenden Maitag verkauft haben. Dafür hat er im Akkord gearbeitet. Etwa 80 Stopps liegen auf der Tour, die an diesem Tag auf mehr als 50 Kilometern auch in ein Industriegebiet in Billbrook führte und nach der HafenCity weiter nach Wilhelmsburg. Haltezeit im Schnitt fünf Minuten.

„Wir haben viele Stammkunden“, gibt Livotto-Junior-Chef Gian-Carlo Livotto sich zuversichtlich. Der Unternehmer stemmt sich gegen den Trend. „Wir machen noch echtes Milchspeiseeis, mit frischer Vollmilch, Sahne, Eiern und Zucker. Das wissen die Leute zu schätzen“, sagt der 48-Jährige. Aber auch der günstige Preis spielt wohl eine nicht ganz unerhebliche Rolle.

Sommerwetter bedeutet Sonderschichten

Umsatzzahlen will der Eismacher, der das Unternehmen seit der Spaltung des Familienbetriebs vor fünf Jahren mit seinem Vater Luigi betreibt, der die Hamburger Livotto-Eis-Dynastie vor mehr als 50 Jahren begründete, nicht nennen. Nur so viel: Im Durchschnitt produziert der Betrieb, zu dem auch drei Kioske rund um den Dammtor-Bahnhof gehören, 300 bis 1000 Liter Eiscreme am Tag.

Standort ist ein ehemaliger Reiterhof am Stadtrand von Ahrensburg im schleswig-holsteinischen Kreis Stormarn. Livotto junior hat den Komplex umgebaut: mit Eisproduktion, Lager, Garage und Wohngebäude für die Saisonarbeiter. In der Produktionshalle stehen sechs Eismaschinen. Fünf Mitarbeiter machen frisches Eis für den nächsten Tag. Gerade werden die Sorten Erdbeer und Vanille in die Sechs-Liter-Container aus Aluminium gefüllt und sorgfältig mit Papier abgedeckt.

„Wenn richtig gutes Wetter ist, sind auch mal Sonderschichten am Sonntag fällig“, sagt Geschäftsführer Miguel Freitas. In der Saison von März bis Oktober beschäftigt das Unternehmen etwa 30 Mitarbeiter, die meisten kommen nicht mehr aus Italien sondern aus Portugal. „Sie verdienen knapp über dem Mindestlohn, und haben Kost und Logis frei“, sagt der Livotto-Junior-Chef.

Zahl der Eisdielen in Hamburg wächst

Die Deutschen lieben Eis. Im Durchschnitt 7,9 Liter Speiseeis aß jeder Bundesbürger im vergangenen Jahr, Tendenz steigend. 9000 Eiscafés gibt es zwischen Flensburg und München, etwa ein Drittel hat eine eigene Produktion. Auch in Hamburg wächst die Zahl der Eisdielen.

Nach Angaben der Handelskammer gibt es derzeit 214, statistisch sind das zwei Eisläden pro Stadtteil. Bei der Handwerkskammer sind derzeit zudem 22 Speiseeishersteller registriert. Nachdem die Ausbildung zur Fachkraft für Speiseeis vor acht Jahren eingeführt wurde, haben sechs Betriebe diese ausgebildet. Derzeit gibt es einen Eis-Azubi.

Mit den Eiswagen Geld zu verdienen wird dagegen immer schwieriger, nicht nur wegen der Wetterabhängigkeit. „Früher hatte ich das Doppelte“, sagt Wolfgang Sachse, der als Eis-Charlie seit 30 Jahren in Eppendorf, Groß Borstel, Fuhlsbüttel und Alsterdorf unterwegs ist.

„Durch die Lockerung der Ladenöffnungszeiten ist fast alles immer erhältlich“, so der 68-Jährige. Da warte niemand mehr auf den Eiswagen. Ähnlich wie der rollende Eismann Salvatore Tomarchio aus Barmbek-Süd mag er aber nicht aufhören. Ein Eismann ist eben mehr als ein Verkäufer von Eis. „Es geht um Eis mit Herz und Liebe“, sagt der Sizilianer, der die Hamburger seit mehr als vier Jahrzehnten mit seinem handwerklichen Eis versorgt.

Eiswagen – Ende einer Institution?

Das langsame Verschwinden der rollenden Eisdielen mit dem Retro-Charme ist eben auch das Ende einer Institution des Deutschlands der Nachkriegszeit. Und das nicht nur in Hamburg. „Die hygienischen Vorschriften sind strenger geworden, das können viele Kleinunternehmer nicht leisten“, sagt Annalisa Carino vom Verband der italienischen Eishersteller Uniteis.

Aber auch unter den größeren Anbietern, wie dem Barmbeker Eis-Livotto, ist die Stimmung gedrückt. „Es lohnt sich kaum noch“, sagt Geschäftsführer Carlos Olivera. Auch der zunehmende Verkehr spielt dabei eine Rolle, sagt er. Und die Beschränkungen durch das Hamburger Wegerecht. Expansion ist nicht möglich. Das wurde bereits vor Jahren in einem Verwaltungsgerichtsurteil bestätigt.

Im Bezirk Wandsbek etwa gibt es in diesem Jahr acht Sondergenehmigungen für Eiswagen, in Bergedorf vier, im Bezirk Mitte fünf. „Wir sehen den Bedarf nicht“, sagt Mitte-Sprecherin Sorina Weiland. Der einzige Eiswagen der Eis-Kette Giovanni L. in Hamburg ist deshalb hauptsächlich für Vermietungen im Einsatz oder verkauft das Eis auf privatem Grund.

Manche weichen ins Umland aus

Inzwischen sind die Eiswagen deshalb immer mehr im Umland – in Pinneberg, Wedel, Quickborn oder Ahrensburg – zu sehen. In den ländlichen Regionen läuft das Geschäft mit dem Eis aus dem Wagen noch. Livotto Junior hat so die Marktposition gegen den Trend sogar ausgebaut. Dazu kommen auch in diesem Fall die Einnahmen aus Vermietungen bei Firmenveranstaltungen, die immer wichtiger werden.

Eismann Romeu Vincente ist es egal, wo und wann er seine Tour macht. Für ihn hat Eisverkaufen auch etwas Sentimentales: „Das Schönste ist, wenn die Kinder in den Wohngebieten die Eisglocke hören und angelaufen kommen.“