Rotenburg/Wümme. Mahlzeiten vom Food-Truck, mobile Fleischereien oder Bankfilialen – Besuch beim größten deutschen Hersteller von Verkaufsfahrzeugen.

Dicht an dicht stehen die Marktwagen, viel dichter als auf jedem Wochenmarkt: Qualitätsfleisch frisch vom Metzger, Fisch in allen Varianten, Feinschmecker-Spezialitäten, ein Backshop – doch die Auslagen sind noch leer. Denn die Fahrzeuge stehen in der Auslieferungshalle von Deutschlands Marktführer von Verkaufsmobilen, bei Borco-Höhns in Rotenburg/Wümme. Mit einem Marktanteil von gut 50 Prozent liegt das mittelständische Unternehmen mit deutlichem Abstand vor einer guten Handvoll Konkurrenten – und steigert kontinuierlich den Umsatz.

In den 1950er-Jahren baute Borco-Höhns erste Verkaufswagen. Heute hat es 250 Mitarbeiter, die vor allem eines wollen: dass die Kunden, also die Standbetreiber, erfolgreich sind. Deshalb bietet das Unternehmen eine große Bandbreite von neuen und gebrauchten Fahrzeugen an, die meist individuell ausgestattet werden – vom einfachen Obst-und-Gemüse-Wagen für gut 20.000 Euro bis hin zur mobilen Fleischerei mit allen Schikanen: begehbare Kühlkammer für die Hackfleisch-Produktion, getrennte Waschbecken für die Ware und die Hände, beheizte Handläufe und Fußbodenheizung, Kühlregale und -schubladen, Bildschirme zur digitalen Präsentation von Angeboten oder Bildern etwa von der Tierhaltung. Für ein solches Verkaufsmobil, das als Sattelauflieger mehr als zehn Meter lang sein kann, muss der Kunde bis zu einer Viertelmillion Euro hinblättern.

Etwa 1000 Fahrzeuge stellt die Firma in Rotenburg jedes Jahr her

„Ein schönes Fahrzeug reicht nicht. Die Händler müssen verstehen, sich zu präsentieren. Das gilt für die Auslage, aber auch für das Personal“, sagt Lothar Geißler, geschäftsführender Gesellschafter vom Fahrzeugwerk Borco-Höhns. Sein Unternehmen bietet deshalb Schulungen an, vom Verkaufstraining bis zu Seminaren über Servicequalität, Hygiene oder Körpersprache. Geißler: „Neueinsteiger oder Kunden, die sich mit dem Gedanken tragen, ihr Geschäft zu erweitern, können mit einem Testjahr-Modell Erfahrungen sammeln. Sie mieten das Fahrzeug für ein Jahr oder kürzer und entscheiden danach, ob sie es kaufen, leasen oder weiterhin mieten wollen.“

Etwa 1000 Fahrzeuge pro Jahr rollen von dem 38.000 Quadratmeter großen Betriebsgelände am Ortsrand von Rotenburg. Rund die Hälfte davon sind Neubauten. Sie basieren meist auf Fiat- oder Renault-Fahrgestellen. Ein gutes Viertel sind gebrauchte, der Rest vermietete Fahrzeuge. Die weit überwiegende Zahl dient als Verkaufswagen auf Wochenmärkten. Selbst schlichte Modelle mit wenig Technik seien stationären Marktständen deutlich überlegen, sagt Geißler. Er nennt vor allem die Zeitersparnis: „Sie können die Auslage bereits im eigenen Betrieb bestücken und müssen nicht am Standplatz stundenlang aufbauen.“

Rund 25.000 mobile Geschäfte sind deutschlandweit auf Wochenmärkten aktiv, sagt Geißler und singt ein Loblied auf die Märkte. Sie lieferten nicht nur frische, oft regionale Lebensmittel, sondern seien auch ein Gewinn für umliegende Einzelhändler und für das Stadtmarketing. Zusammen mit Wirtschaftsvertretern aus den Regionen führte Borco-Höhns in den vergangenen Jahren in Deutschland den Veranstaltungsreigen „Erfolgreiche Wochenmärkte“ durch – auch um, wie Lothar Geißler es sagt, „die Kommunen für das Thema zu sensibilisieren“.

Zu den klassischen Verkaufswagen gesellt sich seit einigen Jahren eine neue bunte Spezies, die Food-Trucks. Sie bereichern die traditionelle Imbiss-Kultur aus Bratwurst und Broiler, Frikadellen und Pommes. Food-Trucks sind schrille, witzige, oft fantasievoll umgebaute Versorgungspunkte – nicht selten Fahrzeuge, die Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Aber natürlich sind auch moderne Wagen unterwegs. Sie verkaufen kleine Mahlzeiten unterschiedlichster Couleur: Nudelgerichte, Burger, mexikanische oder asiatische Gerichte, Süßspeisen und vieles mehr. „Die mobile Gastronomie nimmt deutlich zu“, sagt Geißler. „Sie profitiert davon, dass mehr Menschen sich außer Haus ernähren.“

Die bunte Schar der Food-Trucks sei eine „ganz wilde Szene“, sagt Geißler und meint dies positiv. Die neuen Anbieter wollten kein stationäres Geschäft eröffnen, „sie wollen sich bewegen, wollen dort sein, wo etwas los ist“. Und so stehen die aufgepeppten Imbisswagen vor Super- oder Baumärkten, nahe Fußgängerzonen oder an anderen Orten, wo viele potenziell hungrige Passanten vorbeikommen.

Viele Bewohner ländlicher Regionen sind auf fahrende Händler angewiesen

Ein weiterer Kundenkreis der Rotenburger Spezialfahrzeugbauer sind die rollenden Lebensmittelhändler. Sie bieten, oft in begehbaren Innenräumen, ein Sortiment von Lebensmitteln des täglichen Bedarfs an oder spezielle Produkte wie Backwaren oder Fleisch. Damit touren sie durch ländliche Räume. Denn in vielen Dörfern machte der letzte Kaufmannsladen längst dicht. „Im Elbe-Weser-Raum haben Sie zum Teil Einkaufswege von mehr als 20 Kilometern“, sagt Geißler. Gut ein Drittel der Bevölkerung lebe dort heute in Orten ohne Lebensmittelversorgung.

In den 1970er-Jahren waren es nur drei Prozent. Die Landbewohner müssen sich in ihre Autos setzen und Mittelzentren wie Stade, Cuxhaven, Bremervörde oder eben Rotenburg ansteuern. Wer nicht (mehr) Auto fahren kann oder will, ist in vielen Regionen Deutschlands weitgehend auf fahrende Händler angewiesen. Deutschlandweit seien einige Tausend Fahrzeuge in der mobilen Nahversorgung unterwegs, sagt Geißler und nennt ein besonders prägnantes Beispiel aus dem Westen der Republik: „Einer unserer größten Kunden, die Firma Heiko, versorgt mit 50 Fahrzeugen sämtliche Eifel-Dörfer.“

Geißler, der bis Februar sechs Jahre lang Präsident der Industrie- und Handelskammer Stade war, geht davon aus, dass die rollende Nahversorgung eher noch zunehmen wird. Selbst in Innenstädten würden Lebensmittelläden aufgeben, weil die Konkurrenz am Stadtrand die Kundschaft abziehe.

Inzwischen baut Borco-Höhns auch „GS-Mobile“, rollende Geschäftsstellen von Banken und Sparkassen. Auch sie dünnen ihre Infrastruktur aus und nutzen zunehmend Verkaufswagen, um zumindest im Wochenabstand ihren Kunden nah zu sein. Die Nahversorgung auf dem Lande gerät also mehr und mehr auf die Räder. Der Rotenburger Fahrzeughersteller liefert passende Mobile und dazu noch Seminare und Schulungen.