Hamburg. Weil ihr Kinderwunsch unerfüllt blieb, entschieden sich die Cans, ein Pflegekind aufzunehmen. Besuch bei einer glücklichen Familie.

Es war wie ein positiver Schwangerschaftstest“, sagt Lisa Can über den Moment, als das Telefon im April 2013 klingelte. „Nur, dass das Baby dann nach zwei Wochen da war und nicht nach neun Monaten“, erinnert sich die 37-Jährige.

Der Anruf erreichte die Hamburgerin bei der Arbeit in einer Vorschule, wo sie damals als Sozialpädagogin tätig war. In dem Telefonat erfuhr sie, dass es da einen Säugling mit Namen David geben würde, den die Cans als Pflegekind aufnehmen könnten. „Der Moment war unfassbar“, sagt Lisa Can. „Da wird man plötzlich mit einem Anruf Mutter.“ Wenige Tage später bekamen sie das erste Bild von David zugeschickt. Da war er erst ein paar Wochen alt. Das Bild war klein und die Aufnahme etwas verwackelt. „Trotzdem hat es sofort gefunkt“, sagt sie.

Hinter den Cans aus Farmsen lagen schwierige Jahre. Für das Paar war immer klar, dass es in einer Großfamilie leben möchte. Am liebsten mit sechs Kindern. Doch auf natürlichem Wege wollte es nicht klappen. Lisa Can wurde einfach nicht schwanger. Und auch die Ärzte wussten keinen Rat. Es folgten Versuche mit künstlicher Befruchtung bei einer Hamburger Kinderwunschpraxis. Doch auch das blieb ohne Erfolg.

Und so wandten sich die Cans an die Pfiff gGmbH, die Pflegekinder in Hamburg vermittelt. Der Gedanke lag für Lisa Can nah. „Schon meine Mutter hatte früher Kinder in Langzeit- und Kurzzeitpflege aufgenommen. Damit bin ich aufgewachsen. Das war für mich ganz normal.“ Vom Erstkontakt mit Pfiff bis zu dem besagten Anruf, in dem sie von David erfuhren, vergingen dann noch ein paar Monate. Gesundheitschecks waren nötig und etliche Vorbereitungsseminare. Außerdem mussten Lisa und Soner noch ausführliche Berichte zu ihren Biografien verfassen.

In dieser Zeit meldeten sich die ersten Zweifler aus dem Umfeld: Warum wollt ihr denn ein Pflegekind? Muss man das dann nicht später wieder zurückgeben, fragten sie. Im Fall der Cans lautet die Antwort: nein. Sie hatten bei Pfiff angegeben, dass sie sich nur für eine Langzeitpflege interessieren, die in der Regel erst dann ausläuft, wenn das Kind mindestens 18 Jahre alt ist. „Bei David ist eine Rückführung aus verschiedenen Gründen sehr unwahrscheinlich“, erzählt Lisa Can.

David und seine leibliche Mutter sehen sich dennoch regelmäßig und verbringen Zeit miteinander. Auch das gehört zum Konzept der Langzeitpflege. „David weiß, dass er zwei Mamas hat“, sagt Lisa Can. Für sie ist das entlastend. „Bei einer Adoption hätte ich immer Angst davor gehabt, dass die Frage nach den leiblichen Eltern kommen würde. In unserem Fall gibt es keine Geheimnisse.“ Außerdem bekommen die Cans während der gesamten Pflegedauer weiter Unterstützung von Pfiff. Eine Pflegebetreuerin kommt alle paar Monate vorbei. Und außerdem gibt es da auch noch den gesetzlichen Vormund vom Jugendamt, der sich um alle behördlichen Angelegenheiten kümmert. „Ich könnte die Vormundschaft zwar auch für mich beantragen, aber wir empfinden die Unterstützung vom Jugendamt als Entlastung.“

Lisa Can erinnert sich noch gut an den Moment, als sie David das erste Mal sah. „Er lag da in seinem Body in dem Kinderwagen und sah so süß aus. Bei uns dreien war es sofort Liebe“, sagt Lisa. Dabei ist die erste Begegnung oft auch mit Ängsten verbunden. Was, wenn es nicht „funkt“? Auch dieses Thema hatte die Familie vorher besprochen. „Wenn man spürt, dass es nicht richtig passt, muss man es auf jeden Fall sagen.“

Mit David war der ganz dringende Kinderwunsch für Lisa erst einmal erfüllt. Doch dann passierte das, womit eigentlich niemand mehr gerechnet hatte: Lisa wurde schwanger. Auf natürlichem Wege. Einfach so. „Die Freude war riesig“, sagt sie.

Und so bekam David wenig später noch einen Bruder. Niyazi ist heute ein Jahr alt, David ist drei. „Die beiden Geschwister sind ganz süß miteinander“, sagt Lisa Can. Nur am Anfang sei David ganz schön eifersüchtig gewesen.

Überhaupt brauche David etwas mehr Aufmerksamkeit als andere Kinder in seinem Alter. „Vielleicht, weil er in den ersten Wochen seines Lebens keine feste Bezugsperson hatte“, vermutet Lisa Can. Wer es nicht weiß, der merkt und sieht nicht, dass David nicht das leibliche Kind der Cans ist. Mit seinen dunklen Augen und Haaren meinen viele sogar, eine Ähnlichkeit zu dem aus der Türkei stammenden Vater zu erkennen. Und auch die Eltern machen keinen Unterschied zwischen Niyazi und David. „Auch, wenn es sich viele vielleicht nicht vorstellen können, liebe ich beide genau gleich“, sagt Mama Lisa.

Von dem Wunsch nach sechs Kindern sind die Cans inzwischen abgekommen. „Wenn man allen gerecht werden möchte, ist das vielleicht etwas viel“, sagt Lisa Can. Aber noch ein leibliches und ein Pflegekind könnten sie sich schon ganz gut vorstellen.

Aber Eile haben sie erstmal keine. Außerdem ist meist eh schon jede Menge los im Haus der Cans. Am Abendessenstisch sitzen neben Mama Lisa, Papa Soner, David, Niyazi und Großmutter Claudia nämlich häufig auch noch die 34-jährige Cornelia und der 23-jährige Christian. Beide sind aus unterschiedlichen Gründen auf Unterstützung angewiesen und haben bei den Cans ein warmes Heim gefunden. „Und so sind wir heute schon eine richtige Großfamilie“, sagt Lisa.