Hamburg. 16 Prozent mehr Tatverdächtige unter 21 Jahren, aber 20 Prozent weniger Verfahren. Justizsenator Till Steffen über die Gründe.

Immer mehr Jugendliche und Heranwachsende geraten mit den Gesetzen in Konflikt. Die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren steigt seit Jahren an: Wurden im Jahr 2012 laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) noch 13.989 junge Menschen registriert, so stieg deren Zahl auf 16.221 im Jahr 2015. Das bedeutet einen Zuwachs der Tatverdächtigen dieser Altersgruppe um knapp 16 Prozent in nur vier Jahren. Auch der Anteil der unter 21-Jährigen an der Gesamtkriminalität ist gestiegen: von 20,7 Prozent (2012) auf 22 Prozent im vergangenen Jahr.

Überraschenderweise ist der Trend bei den Gerichten genau umgekehrt: Die Zahl der neu eingegangenen Jugendstrafverfahren, also der Anklageerhebungen durch die Staatsanwaltschaft, ist im gleichen Zeitraum um gut 20 Prozent gesunken: Genau 4783 Verfahren erreichten die ordentlichen Gerichte 2012. Im vergangenen Jahr sank die Zahl auf 3820. Das hat der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker mitgeteilt.

Auch bei den Verurteilungen bestätigt sich diese Tendenz: Wurden 2012 noch 1931 junge Menschen unter 21 Jahren verurteilt, so waren es 2014 nur noch 1583 (minus 18 Prozent). Auch der Anteil der Jugendlichen und Heranwachsenden an der Zahl aller Verurteilten ist gesunken: von 10,2 Prozent (2012) auf 8,7 Prozent 2014. Die Zahlen der Strafverfolgungsstatistik für 2015 liegen noch nicht vor.

Die CDU vermutet als Hauptgrund die Überlastung der Staatsanwaltschaft

So eindeutig die Zahlen erscheinen, so schwierig erweist sich jedoch die Suche nach den Ursachen. Unions-Justizpolitiker Seelmaecker vermutet die Überlastung der Staatsanwaltschaft als Hauptgrund für den Befund, dass es immer mehr Tatverdächtige unter 21 Jahren, aber immer weniger Anklageerhebungen und Verurteilungen gibt. „Sollte es an der mangelnden Personalausstattung der Staatsanwaltschaft liegen, was nahe liegt, muss Justizsenator Till Steffen umgehend handeln“, sagt Seelmaecker. „Gerade bei jungen Tätern ist es wichtig, dass die Strafe auf dem Fuße folgt. Erziehungsmaßnahmen bleiben sonst wirkungslos.“

In der Justizbehörde fällt die Reaktion zurückhaltender aus. Grundsätzlich seien die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik und die Statistiken der Justiz nur bedingt vergleichbar, heißt es. „Die Erfassung erfolgt zu unterschiedlichen Zeitpunkten, unter Umständen auch in verschiedenen Jahren“, heißt es in der Senatsantwort auf die Seelmaecker-Anfrage. „Überdies werden in der PKS die Tatverdächtigen einzeln erfasst, während ein Neuzugang beim Jugendgericht sich gegen mehrere Beschuldigte richten kann.“

Immerhin einen Teil der Differenz zwischen dem Anstieg bei den Tatverdächtigen unter 21 Jahren und der gesunkenen Zahl von Strafverfahren können die Behördenexperten erklären. Drei Tendenzen seien ausschlaggebend: Erstens ist die Zahl der zugereisten Tatverdächtigen, die in Hamburg straffällig werden, offensichtlich gestiegen. Zweitens gibt es mehr Mehrfachtäter, und drittens werden mehr Straftaten gemeinschaftlich begangen. Bei den letzteren Fällen werden mehrere Ermittlungsverfahren zu einem Strafverfahren zusammengefasst, wodurch deren Gesamtzahl sinkt.

Belegen lassen sich diese Tendenzen mit den sogenannten Erledigungen der Jugendstaatsanwaltschaft. Danach ist die Zahl der Erledigungen durch Abgabe des Verfahrens an eine andere Staatsanwaltschaft (außerhalb Hamburgs) von 1792 im Jahr 2012 auf 2176 im vergangenen Jahr gestiegen. Dahinter steht das Prinzip des Jugendstrafrechts, dass die Anklage in der Regel bei dem für den Wohnort zuständigen Jugendgericht erfolgen soll.

Einen noch deutlicheren Anstieg gab es bei den „Erledigungen durch Verbindung mit einer anderen Sache“, wie es im Bürokraten-Deutsch heißt. Die Zahl der Verfahren, die durch Zusammenfassung mit einem anderen Verfahren erledigt wurden, stieg von 1565 (2012) auf 2851 im Jahr 2015. Ursache sind einerseits die Mehrfachtäter, deren Verfahren gebündelt werden, wie auch die sogenannten „Genossensachen“ mit mehreren Tatverdächtigen. „Im Ergebnis lassen sich keine weiteren belastbaren Aussagen treffen“, sagt ein Behördensprecher. Das heißt: Nach jetzigem Stand ist der deutliche Rückgang bei den Strafverfahren gegen Tatverdächtige unter 21 Jahren, deren Zahl gestiegen ist, nur teilweise und nicht vollständig erklärbar.

„Mehrfachtäter haben sicherlich eine höhere kriminelle Energie; Täter, die in Gruppen handeln, ebenfalls. Beides ist sehr bedenklich“, sagt Seelmaecker. Andererseits warnt der Politiker davor, scheinbar geringe Verfehlungen nicht mehr angemessen zu verfolgen. „Es darf nicht sein, dass die besonders wichtigen Verfahren gegen Jugendliche aus Überlastung eingestellt werden müssen“, meint der CDU-Bürgerschaftsbeauftragte.