Hamburg. Bischöfin Kirsten Fehrs über die Integration von Flüchtlingen in Hamburger Stadtteilen und die Rolle der Kirchengemeinden.

Nach dem Abendblatt-Flüchtlingsgipfel fordert Hamburgs und Lübecks evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs, dass die Integration schneller als bisher vorankommen muss. Sie appelliert an Senat und Volksinitiative, sich in der Streitfrage um große Flüchtlingsunterkünfte endlich zu einigen. Zu einem Volksentscheid dürfe es auf keinen Fall kommen, sagte sie dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Bischöfin Fehrs, Sie wohnen privat mitten in der Stadt – direkt neben einer Flüchtlingsunterkunft?

Bischöfin Fehrs: Ich lebe zwar nicht direkt neben einer Flüchtlingsunterkunft, habe aber etliche besucht.

Wenn Sie direkt neben einer Unterkunft mit 1000 Plätzen wohnen würden – wie soll Ihrer Meinung da Integration gelingen? Wie würden Sie sich verhalten?

Fehrs : Ich fände es gut, mit den neuen Nachbarn schnell Kontakt aufzunehmen.

Mit Brot und Salz als Zeichen der Willkommenskultur?

Fehrs : Das wäre die deutsche Variante. Die Frage ist ja, wie sich verschiedene Kulturen begegnen. Das kann ein gemeinsames Essen sein, aber auch die persönliche Vorstellung mit Namen und Adresse. Einander zu begegnen ist wirklich viel einfacher, als es in manchen offiziellen Statements zum Ausdruck kommt.

Man muss den ersten Schritt gehen.

Fehrs : Integration hat mit konkreter Erfahrung zu tun. Ich habe unlängst das Café Refugio besucht, ein kirchliches Flüchtlingscafé in Harburg. Kaum stehe ich in der Tür, sprechen mich Kinder und erwachsene Flüchtlinge an. Sie haben ein ganz großes Bedürfnis, Kontakt zu unserer Kultur und Sprache zu bekommen.

Verstehen Sie die Argumente der Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“ und deren Ablehnung für Großunterkünfte?

Fehrs : Integration funktioniert natürlich besser in kleinen Unterkünften. Aber die Möglichkeiten dazu sind in unserem Stadtstaat begrenzt. Und man muss ja sehen: 4000 Flüchtlinge sind immer noch in Baumärkten und Zelten untergebracht. Da sind größere Unterkünfte besser als gar keine. Die Menschen müssen so schnell wie möglich raus aus der Erstunterbringung. Mit Erleichterung sehe ich, dass Volksinitiative und Senat im Gespräch sind und die Stadt Flexibilität signalisiert. Also kleinere Standorte und frühere soziale Durchmischung.

Nun aber könnte es zu einem Volksentscheid kommen.

Fehrs : Ich appelliere an die Besonnenheit der Beteiligten, dass sie sich nicht verzetteln und an Maximalforderungen festhalten, sondern in den Gesprächen fortfahren und sich rasch einigen. Ein Volksentscheid sollte auf jeden Fall vermieden werden.

Warum?

Fehrs : Ich befürchte, dass er dann letztlich zu einem Referendum für oder gegen Flüchtlinge wird. Ich setze allerdings sehr stark auf die Vernunft der Hamburger. Integration kann nur funktionieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger selber ihren Anteil daran übernehmen – und nicht allein die Politik.

Was sind denn die einzelnen Schritte, die zur Integration führen?

Fehrs : Wichtig ist eine gute Infrastruktur: Schulen, Kitas, gute Verkehrsanbindung und ein Netzwerk gegenseitiger Hilfe. Davon profitieren alle im Stadtteil.

Wie ist es mit der deutschen Sprache?

Fehrs : Das ist die Voraussetzung. Die Flüchtlinge warten darauf, schnell Deutsch lernen zu können. Doch Zugang bekommen sie erst, wenn sie ein Bleiberecht haben – nach Monaten, wenn nicht Jahren. Das ist viel zu spät. An Deutsch- und Integrationskursen sollten unbedingt auch schon Asyl­suchende und Geduldete teilnehmen dürfen. Lange Wartezeiten sind völlig unnütz und hemmen die Integration.

Da entsteht neues Problempotenzial.

Fehrs : Wir wissen, dass es in den Zen­tralen Erstaufnahmen oft Streit zwischen den Flüchtlingen gibt. Auch religiöse und kulturelle Konflikte spielen dabei eine Rolle.

Bei denen auch Christen von Muslimen unter Druck gesetzt werden.

Fehrs : Uns sind solche Fälle gemeldet worden, und wir sind mit den Behörden darüber im Gespräch. Nach allem, was wir wissen, ist es kein Massenphänomen, aber es sind auch nicht nur Einzelfälle. Ich halte es übrigens für einen falschen Weg, eigene Unterkünfte für bestimmte Religionsgruppen zu schaffen. Es sollte aber innerhalb der Unterkünfte die Möglichkeit geben, dass besonders schutzbedürftige Menschen gemeinsam untergebracht werden. Es kann nicht sein, dass Menschen, die vor der Gewalt religiöser Fanatiker geflohen sind, hier bedroht werden.

Ist die evangelische Kirche nicht gerade den christlichen Flüchtlingen gegenüber in besonderer Verantwortung?

Fehrs : Wir haben als Kirche eine Anwaltschaft für die christlichen Flüchtlinge, das ist für mich ganz klar. Zugleich sage ich: Jeder Mensch, der fliehen musste, braucht Schutz und ist hier bei uns willkommen. Unabhängig von Religion und Herkunft, wie es dem christlichen Menschenbild entspricht. Religionsfreiheit ist ein hohes Gut: Niemand darf hier in seiner Menschenwürde verletzt und in seiner Glaubensausübung drangsaliert werden.

Der Rat der EKD spricht von einer „Empathie für Flüchtlinge“. Was sollen die Kirchengemeinden tun?

Fehrs : 80 der 120 Hamburger evangelischen Kirchengemeinden sind direkt in der Flüchtlingshilfe aktiv. Das ist eine enorme Zahl und ein hervorragendes Engagement. Dazu gehört auch, dass sich viele Pastoren als Moderatoren für einen sachlichen Dialog in den Stadtteilen einsetzen. Insgesamt sehe ich eine ungebrochene Hilfsbereitschaft, übrigens auch in Stadtteilen wie Harvestehude und Blankenese.

Die AfD behauptet, der Islam gehöre gar nicht zu Deutschland.

Fehrs : Alle Weltreligionen gehören inzwischen zu Deutschland – und allemal zu Hamburg. Die AfD vertritt nicht nur islamfeindliche, sondern allgemein religionsfeindliche Positionen. Das darf nicht unwidersprochen bleiben. Gerade in Hamburg leben die Religionsgemeinschaften seit Jahrzehnten friedlich zusammen. Wenn wir uns weltweit umschauen, ist das nicht selbstverständlich und darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Ist nicht gerade die Religion häufig die Ursache von Gewalt?

Fehrs : Wenn Religionen Konflikte herbringen, haben sie auch das Potenzial für die Lösungen. Gerade über Religion kann Verständigung zwischen den Menschen erfolgen. Ein gutes Beispiel ist das Interreligiöse Forum in Hamburg, in dem die Vertreter der einzelnen Religionsgemeinschaften seit Jahren eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Was steht denn am Ende der Integration? Der integrierte Flüchtling?

Fehrs : Er ist zum Hamburger mit Migrationshintergrund geworden, hat sich an das norddeutsche Wetter gewöhnt und lebt hanseatische Toleranz und Weltoffenheit. Und er trifft hoffentlich auf Menschen, die gelernt haben, dass es in der Begegnung mit anderen Kulturen sehr viel zu entdecken gibt.