Hamburg. Handelskammer-Präses verlangt Visionen von Rot-Grün und kann sich Katharina Fegebank sehr gut als Bürgermeisterin vorstellen.

Ein Jahr Rot-Grün in Hamburg. Ist die Handelskammer als wichtigste Vertretung der lokalen Wirtschaft zufrieden mit dem Senat? Was ist gut gelaufen, was schlecht? Und warum muss die Kammer sich derzeit so viel mit Gerichten herumärgern? Präses Fritz Horst Melsheimer stellte sich den Fragen des Abendblatts – und findet gegenüber den sogenannten Kammerrebellen deutliche Worte. Sie hätten die Vertrauenskultur zerstört.

Hamburger Abendblatt: Die Wirtschaft steht rot-grünen Regierungen eher skeptisch gegenüber. Wie zufrieden sind Sie mit dem ersten Jahr Rot-Grün in Hamburg?

Fritz Horst Melsheimer: Es handelt sich um eine stark von Olaf Scholz geprägte Koalition, der einen sehr bürgerlichen Senat aufgestellt hat. Und ich finde das erste Jahr dieser Koalition kann sich sehen lassen. Allerdings stelle ich seit dem Scheitern der Olympiapläne eine gewisse Schockstarre beim Senat fest, die er schnellstens überwinden sollte. Der Senat muss dringend neue Visionen entwickeln.

Was für Visionen meinen Sie genau?

Melsheimer: Die Politik sollte die Kraft, die für das Projekt Olympia vorgesehen war, in Richtung Wissenschaftsstandort lenken. Hamburg muss eine Metropole des Wissens werden – in dieser Hinsicht passiert mir noch zu wenig. Derzeit verwaltet der Senat, er sollte aber gestalten.

Gibt es noch weitere Themen, die der Senat aus Ihrer Sicht angehen muss?

Melsheimer: Die Digitalisierung müsste viel schneller vorangetrieben werden. Es ist doch ein Unding, dass wir immer noch kein flächendeckendes WLAN in der Stadt haben. Es wird mir zu viel über Digitalisierung geredet, aber zu wenig getan. Als drittes wichtiges Aufgabenfeld sehe ich die Verkehrsinfrastruktur. Bei der Baustellenkoordinierung läuft nicht alles rund, und nicht jede Straße ist als Fahrradstraße geeignet.

Gilt diese Kritik am Wirtschafts- und Verkehrssenator auch beim Thema Elbvertiefung? Oder wird hier seitens der Behörde genug unternommen, damit dieses wichtige Projekt für die Stadt endlich realisiert wird?

Melsheimer: In puncto Elbvertiefung engagiert sich der Wirtschaftssenator vorbildlich. Hier wurden alle notwendigen Maßnahmen ergriffen. Da hat Hamburg eine sehr gute Arbeit gemacht, die hoffentlich fruchtet. Denn die Elbvertiefung muss unbedingt kommen, wenn wir als Hafenmetropole dauerhaft wettbewerbsfähig bleiben wollen.

Die Kammer engagiert sich stark in der Flüchtlingspolitik. Ist es aus Ihrer Sicht wirklich realistisch, dass Flüchtlinge das Problem des Fachkräftemangels in Deutschland lösen können?

Melsheimer: Nein, das kann nicht die einzige Lösung sein. Die Herausforderung der nächsten zehn Jahre – die Integration von Flüchtlingen – kann aber nur gelingen, wenn wir den Menschen auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben. Deswegen engagieren wir uns hier so stark. Die Ausbildung von Flüchtlingen für den Arbeitsmarkt ist lediglich einer von vielen Bausteinen zur Lösung des Fachkräfteproblems. Jeder fünfte Betrieb, der auf unserem Marktplatz der Begegnungen vertreten war, hat in der Zwischenzeit mindestens einen Praktikumsplatz zur Verfügung gestellt.

Im konservativen Autoland Baden-Württemberg ist gerade ein grüner Ministerpräsident wiedergewählt worden. Könnten Sie sich eine grüne Erste Bürgermeisterin Katharina Fegebank vorstellen?

Melsheimer: Ja, das könnte ich mir sehr gut vorstellen. Ich halte Katharina Fegebank für sehr pragmatisch – und sie ist eine gute Zuhörerin. Das trifft aber auch auf andere Hamburger Spitzenpolitiker zu.

In jüngster Zeit gab es einige Gerichtsurteile zur Kammerarbeit. So dürfen Industrie- und Handelskammern sich offiziell eigentlich nicht mehr allgemeinpolitisch äußern. Sie tun es aber dennoch. Wollen Sie sich über Gesetze und Gericht hinwegsetzen?

Melsheimer: Ich bin nicht nur Präses der Handelskammer, sondern auch Unternehmer. Und ich lasse mir nicht den Mund verbieten. Schließlich ist die Meinungsfreiheit durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Es ist zudem richtig, dass wir als Handelskammer kein allgemeinpolitisches Mandat haben. Die Gerichte sagen allerdings, dass wir uns durchaus politisch äußern dürfen, wenn wir einen Bezug zur Wirtschaft herstellen und ein Beschluss unserer Gremien vorliegt. So haben wir zum Beispiel einen Standpunkt zu Olympia vertreten, weil es sich dabei nicht nur um eine mehrwöchige Sportveranstaltung handelt, sondern weil damit auch große Infrastrukturprojekte verbunden gewesen wären, die für die Wirtschaft wichtig sind.

In den jüngsten Gerichtsurteilen ging es neben dem Streit um politische Einflussnahme auch um angeblich widerrechtliche Rücklagen und um nicht ordnungsgemäß kooptierte Plenarmitglieder, Was läuft falsch bei der Kammer, dass sich die Gerichte so häufig mit ihr beschäftigen?

Melsheimer: Bei der Kammer läuft nichts falsch. Für viele der Sachverhalte, die Sie in Ihrer Frage aufrufen, liegt kein rechtskräftiges Urteil vor. Wir haben derzeit eine bundesweit aktive Gruppe sogenannter Kammerrebellen, die sich absprechen, wer gegen was vor Gericht zieht. Meinem Verständnis von Demokratie entspricht es nicht, dass diese Kritiker, bevor sie mit uns reden, sofort Gerichte anrufen. Zudem müssen wir bei den einzelnen Streitthemen scharf trennen. Nehmen wir das Thema Rücklagen: Unser Ziel ist es, die Beiträge stabil zu halten oder sogar zu senken. Das ist uns in den vergangenen Jahren auch gelungen. Um das zu gewährleisten, müssen wir Rücklagen bilden, zum Beispiel für mögliche Reparaturarbeiten am Kammergebäude. Dass wir diese Rücklagen bilden dürfen, ist rechtlich unumstritten. Dem Gericht reichten lediglich die Begründungen für die Höhe unserer Instandhaltungsrücklagen nicht aus. Wir hatten einen Architekten mit den Schätzungen beauftragt, dem Gericht reichen dessen Angaben aber nicht. Hier werden wir nacharbeiten.

Die Probleme der Kammer haben ja ihren Ursprung in der Pflichtmitgliedschaft. Wäre sie ein Wirtschaftsverband mit freiwilligen Mitgliedern, könnte sie politisch viel freier agieren. Die Kammerkritiker fordern freiwillige Beiträge – könnten Sie sich das vorstellen?

Melsheimer: Zunächst zu den Fakten: Wir haben rund 150.000 Mitglieder, etwa 61.000 davon zahlen bei uns gar keine Beiträge. Die Forderung nach freiwilligen Mitgliedsbeiträgen ist doch absolut populistisch. Das wäre ja letztlich so, als ob Ihnen als deutschem Staatsbürger freigestellt würde, wie viel Steuern Sie zahlen wollen. Dann wäre der Staat schnell handlungsunfähig.

Die Beiträge für die Handelskammer mit den Steuern für den deutschen Staat zu vergleichen ist sehr gewagt. Eher könnte man die Kammer als Wirtschaftsvertretung mit den Gewerkschaften als Arbeitnehmervertretung vergleichen. Und weder in der IG Metall noch bei Ver.di muss man als Beschäftigter Mitglied sein.

Melsheimer: Letztlich hat der Gesetzgeber die Pflichtmitgliedschaft in der Handelskammer festgeschrieben. Denn er möchte, dass in unserer Demokratie die Interessen der Wirtschaft gebündelt vertreten werden – und das übernehmen die Kammern. Übrigens wird das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich noch in diesem Jahr ein Urteil zu der Pflichtmitgliedschaft sprechen. Tatsache ist: Eine Kammer ohne Pflichtmitgliedschaft wäre keine Vertretung der Gesamtinteressen der Wirtschaft mehr. Denn sie würde nur von wenigen Beitragszahlern bestimmt, die nicht repräsentativ sind.

Aber dann müsste es ja auch eine Pflichtmitgliedschaft in Gewerkschaften geben.

Melsheimer: In Österreich gibt es mit der Arbeiterkammer so etwas, in Deutschland hat sich der Gesetzgeber mit Ausnahme Bremens und des Saarlandes dagegen entschieden.

Die Handelskammer ist ein Teil der mittelbaren Staatsverwaltung mit Pflichtmitgliedschaft – damit genießt sie staatliche Privilegien und bewegt sich auf einer Ebene mit Hochschulen. Dennoch bekommt der Hauptgeschäftsführer ein Gehalt, das sich eher an der freien Wirtschaft orientiert. Wie lässt sich begründen, dass er doppelt so viel verdient wie die Bundeskanzlerin?

Melsheimer: Wir haben uns zu dem Gehalt unseres Hauptgeschäftsführers schon mehrfach ausführlich geäußert – übrigens auch in unserem Jahresbericht. Dazu ist alles gesagt. Aber ich wiederhole gerne: Herr Professor Schmidt-Trenz ist nicht nur Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, sondern nimmt darüber hinaus noch viele andere wichtige Ämter wahr. Zudem orientieren wir uns bei seinem Gehalt in Übereinstimmung mit unserer Satzung an Einkommen von Geschäftsführern mittelständischer Unternehmen. Und das Präsidium hält sein Gehalt für angemessen, denn er erfüllt seine Aufgaben auch im Bundesvergleich hervorragend.

Sie befinden sich im letzten Jahr als Präses. Die Zeit war stark geprägt von den sogenannten Rebellen, die die Kammer verändert haben. Nehmen Sie die Veränderungen als positiv oder negativ wahr?

Melsheimer: Ich sehe nicht, dass die sogenannten Kammerrebellen inhaltlich auch nur einen einzigen vernünftigen Vorschlag zur Weiterentwicklung der Hamburger Wirtschaft gemacht hätten. Zudem haben sie die Vertrauenskultur in der Kammer zerstört und eine Konfliktkultur installiert. Und das bedauere ich außerordentlich.

Gibt es schon Bewerbungen für Ihre Nachfolge?

Melsheimer: Es gibt Kandidaten, mit denen wir reden. Alles Weitere werden die Wahlen Anfang 2017 ergeben.

Das wichtigste Hamburger Hafenunternehmen, die HHLA, bekommt eine Frau als Chefin. Wäre es nicht auch Zeit für eine Frau an der Spitze der Hamburger Handelskammer?

Melsheimer: Eine Frau als Präsidentin der Handelskammer kann ich mir sehr gut vorstellen. Die IHK Berlin hat mittlerweile auch eine Präsidentin – warum sollte Hamburg nicht folgen?