Hamburg. Innensenator Andy Grote beim Abendblatt-Forum: Mehr Personal und Prävention, um Kriminalität von und gegen Flüchtlinge zu verhindern.

Die anfängliche Schonfrist von 100 Tagen ist vorüber: Der neue Innensenator Andy Grote (SPD) hat sich in die Themen des Polizeiapparats eingearbeitet. Beim großen Abendblatt-Forum stellte sich der 47-Jährige den Fragen des stellvertretenden Chefredakteurs Matthias Iken und 80 Leserinnen und Lesern zur Sicherheit in der Flüchtlingskrise. Wir dokumentieren die Diskussion in Auszügen.

Hamburger Abendblatt: Im ersten Quartal hat die Polizei gegen 2252 Asylbewerber ermittelt – jeder zehnte Tatverdächtige war somit ein Flüchtling. Wie bewerten Sie die Zahlen?

Andy Grote: Damit muss man sehr vorsichtig sein. Wir haben keine Vergleichswerte und es ist nicht klar, ob wirklich überall eine Straftat vorliegt. Schaut man nur nach den eingegangenen Anzeigen, hatten wir im März 206 Straftaten durch Flüchtlinge, das wäre ein Prozent des Gesamtaufkommens und nicht zehn Prozent. Wir haben im März im Übrigen auch 90 Flüchtlinge als Geschädigte von Straftaten erfasst.

Sind die Flüchtlinge eine besondere Herausforderung für die Polizei?

Grote : Insgesamt haben wir keine sub­stanzielle Veränderung der Sicherheitslage aufgrund der Flüchtlinge. Klar ist aber: Je mehr Menschen in der Stadt, desto mehr Täter, Tatgelegenheiten und Opfer beschäftigen die Polizei.

Hat sich ihr eigener Blick auf Flüchtlinge durch die Ereignisse in der Silvesternacht verändert?

Grote : Das war für alle eine Situation, in der man verunsichert und schockiert war. Ein Kriminalitätsphänomen ganz schlimmer Art, wie wir es noch nicht gesehen haben. Aber wir haben sehr konsequent und entschlossen gehandelt. Eine Reihe von Tätern wurden ermittelt und sitzt in Untersuchungshaft. An weiteren Tatverdächtigen sind wir noch dran. Zweitens haben wir bis heute eine massiv erhöhte Polizeipräsenz, damit sich so etwas nicht wiederholt. Es bleibt aber die Frage übrig, ob wir, unsere Regeln und unser Grundverständnis ausreichend vermitteln.


Wie lautet Ihre Antwort?

Grote : Ich glaube, wir können da deutlich mehr tun. Wir müssen mehr auf die Werte bestehen und sie direkter und verbindlicher vermitteln, eine bessere Ansprache finden. Auf mehreren Ebenen finden schon entsprechende Maßnahmen statt, aber wir sind da nicht am Ende. Wir haben etwa viele Beamtinnen und Beamte mit Migrationsgeschichte in der Polizei. Mit denen wollen wir Konzepte entwickeln, wie man die Wortführer und Bezugspersonen in den Unterkünften intensiver anspricht. Es muss ganz deutlich werden: Wer unsere Werte nicht respektiert, hat hier keine gute Zukunft.

Die Projektgruppe Zuwanderung pro­gnostiziert steigende Kriminalität – sowohl von als auch gegen Flüchtlinge. Wird die Polizei personell aufgestockt?

Grote : Wenn wir wie aktuell ein Prozent der Straftaten durch Flüchtlinge haben, kann die Polizei damit umgehen. Ein weiterer Indikator sind die Einsätze der Polizei an den Unterkünften: Sie haben im Winter etwa ein Prozent der Gesamteinsätze ausgemacht, jetzt sind es 0,5 Prozent. Ein großer Teil der Straftaten spielt sich in den Einrichtungen ab, vor allem in den Unterkünften mit den schlechtesten Bedingungen.

Sollten Sie als Innensenator nicht eigentlich mehr Personal fordern?

Grote : Hamburg hat anders als fast alle anderen Bundesländer seit dem Jahr 2011 keine Stellen bei der Polizei abgebaut. Wir haben deshalb nicht so große Bedarfe wie andere Bereiche. Dennoch wird sich in einem gewissen Umfang etwas tun müssen.

Wie ist die Gefahr durch Übergriffe vom rechten Rand auf Flüchtlinge?

Grote : Bislang ist die Lage unauffällig. Wir haben wenige Fälle und keine schweren Taten bisher. Das bewegt sich alles im Bereich von einfachen Sachbeschädigungen wie Schmierereien. Aber das kann sich schnell ändern.

Mehrere Terrorverdächtige aus Paris und Brüssel wurden als Flüchtlinge registriert. Verschärft sich die Bedrohungslage durch Islamisten?

Grote : Das wissen wir noch nicht. Meine Grobeinschätzung ist, dass Islamisten in der Regel ihren Weg ohnehin finden – oder schon im Land sind. Es kann sein, dass die Umstände in den Unterkünften genutzt werden, darauf haben wir Hinweise. Aber es gibt eben auch Hinweise darauf, dass das Ausmaß der Gefahr mit Flüchtlingen nichts zu tun hat. Der Flüchtlingsstrom bietet sicher eine Variante für diese Personen mehr, sich eine Umgebung zu suchen. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten.

Wie viele Fälle gab es, in denen Salafisten Flüchtlinge anwerben wollten?

Grote : Wir kriegen nicht jeden Einzelfall mit, sind aber wachsam. Die festgestellten Fälle waren sehr vereinzelt.

Die Flüchtlinge sind doch leichte Beute für Islamisten, müsste man da nicht mehr tun?

Grote : Wir haben eine große Aufgabe, was die Prävention betrifft. Das gilt für Jugendliche in der ganzen Stadt. Wir kennen alle den Fall Bilal, der aus einer christlichen Familie stammt, sich unter den Augen aller Institutionen radikalisiert hat. Schule, Polizei und Kirche haben die Gefahr gesehen, konnten den Prozess aber nicht aufhalten. Da haben wir eine wirkliche Baustelle, auch wenn die Präventionsangebote deutlich ausgeweitet wurden. Da müssen wir mehr machen, das schließt die Flüchtlinge mit ein, die natürlich eine gewisse Instabilität haben. Die große Schwierigkeit ist, dass die Gesellschaft so viele identitätsstiftende Kontaktpunkte bieten muss, dass der Islamismus nicht mehr anziehend wirken kann.

Fehlt den Flüchtlingen nicht aufgrund ihrer Erfahrungen in der Heimat oft das Vertrauen in die Polizei?

Grote: Ja, das ist auch ein Faktor, warum es in der Anfangsphase zu Schwierigkeiten kommt. Dass die Polizei ein Partner ist, entspricht nicht dem Erfahrungshintergrund dieser Menschen. Deshalb sind wir in den Unterkünften aktiv und versuchen mit kleinen Schritten das Vertrauen aufzubauen.

Es ist ja ein Unding, dass Vereine wie „LIES“ jedes Wochenende Koranverteilungen durchführen. Wann hört das auf?

Grote: Diese Stände sind ein Problem. Bisher haben wir aber keine Handhabe, weil wir eine sehr klare Beweislage brauchen, dass diese Vereine auch islamistische Organisationen unterstützen. Dort sind mehrere Stellen intensiv dran. Sobald wir die Handhabe haben, wird es diese Stände nicht mehr geben.

Ist nicht die Justiz das Problem? Viele haben den Eindruck, es macht gar keinen Sinn, eine Anzeige zu stellen, weil die Täter sowieso laufengelassen werden.

Grote: Es ist wichtig und gut, dass die Bevölkerung achtsam bleibt. Sie können davon ausgehen, dass wir alle Hinweise polizeilich intensiv verfolgen.

Teilen Sie den Eindruck, dass Gerichte und Staatsanwalt überlastet sind?

Grote : Ich kann dazu sagen: Die Polizei ist jedenfalls nicht das Problem.

Was unternehmen sie gegen Angriffe auf christlichen Flüchtlinge?

Grote : Wir gehen dem entschlossen nach. Es hat eine Reihe von Anzeigen gegeben. Die betroffenen Christen aus den Unterkunft rauszunehmen, halte ich aber für falsch. Das würde das Signal setzen: Wenn man die Christen nur stark genug bedrängt, bekommt man eine rein muslimische Unterkunft. Das werden wir nicht akzeptieren.