Hamburg. Hamburgs Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel beim Abendblatt-Forum: Er setzt auf Kompromiss im Streit mit der Volksinitiative.
Es war eine lebhafte Diskussion. Hamburgs Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel ging beim Flüchtlingsforum keiner Frage von Abendblatt-Lesern aus dem Weg, auch als mehrfach ehrenamtliche Helfer ein Zuviel an Bürokratie beklagten. Zunächst stand Sprandel dem stellvertretenden Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, Matthias Iken, Rede und Antwort. Dann waren die Leserinnen und Leser am Zug. Wir dokumentieren die Diskussion in Auszügen.
Hamburger Abendblatt: Die Zahl der Flüchtlinge geht seit Anfang des Jahres spürbar zurück. Ist jetzt Ruhe eingekehrt?
Anselm Sprandel: Es ist etwas ruhiger geworden. Es kommen nicht mehr 500 Flüchtlinge am Tag, sondern 50. In den letzten Tagen waren es noch weniger. Allerdings wissen wir nicht, wie lange diese Ruhe anhält. Die Fluchtursachen bestehen ja nach wie vor, und wir haben im Herbst vergangenen Jahres erlebt, wie schnell die Zahl der Flüchtlinge steigen kann. Wir wollen auf so eine Situation gut eingestellt sein.
Haben Sie Verständnis für Bürger, die eine Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft kritisch sehen?
Anselm Sprandel: Ich habe Verständnis dafür, dass man sich Sorgen macht und kritisch schaut. Dass man etwas verhindern will, da wird mein Verständnis weniger. Jeder Hamburger hat das Recht, vor Gericht für seine Interessen zu streiten. Ich werbe dafür, dass man die eine oder andere kleine Einschränkung des eigenen Umfelds hinnimmt und akzeptiert, für Menschen, die hier Schutz suchen.
Dieses Jahr sollen der staatlichen Prognose zufolge 40.000 Flüchtlinge dauerhaft in Hamburg untergebracht werden. Wann ändern Sie Ihre Prognose?
Anselm Sprandel: Wir sind jetzt im vierten Monat, wo diese Zahl nicht erreicht wurde. Im Januar und Februar wurden uns rund 2000 Flüchtlinge zugewiesen, im März und April waren es deutlich weniger. Es ist unwahrscheinlich, dass wir bis Jahresende 40.000 zusätzliche Plätze für die Unterbringung von Flüchtlingen benötigen. Deshalb überarbeiten wir die Prognose.
Werden die Einrichtungen kleiner oder wird ihre Zahl weniger?
Anselm Sprandel: Als wir Anfang dieses Jahres die Prognose aufstellten, schauten wir nur bis Ende 2016. Jetzt schauen wir auch auf das Jahr 2017. Es ist unwahrscheinlich, dass im kommenden Jahr kein Flüchtling mehr kommt. Wir brauchen nach wie vor Einrichtungen, aber nicht so viele wie geplant.
Was wird aus Unterkünften in Baumärkten und Zelten?
Anselm Sprandel: Wir nutzen die aktuelle Situation, prekäre Unterkünfte aufzulösen. Die Zelte in der Schnackenburgallee werden nicht mehr genutzt, die Zahl der Zelte am Ohlstedter Platz haben wir halbiert. Jetzt fangen wir an, Baumärkte leer zu ziehen. Am Hörgensweg wurde der Baumarkt bereits zurückgegeben, in Bergedorf steht ein Baumarkt leer.
Werden Sie trotzdem neue Flächen für Flüchtlingsunterkünfte benötigen?
Anselm Sprandel: Lange Zeit haben wir jede Fläche geprüft und genutzt, die uns angeboten wurde. Wir haben es dadurch geschafft, dass es unter Flüchtlingen so gut wie keine Obdachlosigkeit gab. Jetzt können wir genauer hinschauen. Vorrangig nutzen wir jetzt Standorte in Vierteln, wo keine oder weniger Flüchtlinge untergebracht sind. Quartiere, in denen bereits viele Flüchtlinge leben, stellen wir zurück.
Wie soll Integration in Unterkünften mit mehr als 1000 Plätzen gelingen?
Anselm Sprandel: Wenn wir Standorte planen, wo mehr als 1000 Menschen leben, dann liegt das vor allem daran, dass wir vor der Notwendigkeit stehen, die Menschen unterzubringen. Dass Integration auch dann gelingen kann, daran habe ich keinen Zweifel. Es gibt Forschungsergebnisse, die lassen den Schluss zu: es ist nicht ausgemacht, dass unter derartigen Umständen Integration scheitert. Man muss sich anstrengen, braucht die Anstrengungen vieler, auch der Ehrenamtlichen.
Haben Sie Ihren Job perfekt gemacht, wenn es keine Volksabstimmung gibt?
Anselm Sprandel: Wir können einen Volksentscheid nicht um jeden Preis vermeiden. Wenn es uns gelingt, den jetzt gestarteten Gesprächsprozess mit Vertretern der Volksinitiative fortzusetzen und uns am Ende eine Einigung gelänge, dann wäre das weit besser als ein Volksentscheid.
Sind die Flüchtlingsunterkünfte ausreichend mit Personal besetzt?
Anselm Sprandel: Wir haben einen fes-ten Schlüssel: Demnach kommt ein Sacharbeiter auf 80 Flüchtlinge, dazu technische Mitarbeiter und die Verwaltung. Es kann mal sein, dass nicht alle Stellen besetzt sind. Das liegt aber nicht daran, dass wir knauserig sind, sondern daran, dass es „Fördern & Wohnen“ manchmal schwer hat, rasch die entsprechenden Fachkräfte zu finden.
Oft wird den Ehrenamtlichen der Zugang in eine Flüchtlingsunterkunft verwehrt. Wie kann so etwas verändert werden?
Anselm Sprandel: Das ist eine Sache, die immer wieder an mich herangetragen wird. Wir haben uns mit „Fördern & Wohnen“ zusammengesetzt, da wird es bald eine Lösung geben. Ich möchte aber darauf verweisen, dass wir nicht jeden in die Unterkünfte reinlassen können. Wir wollen beispielsweise nicht, dass sich dort Salafisten aufhalten. Wir brauchen also einen geregelten Zugang. Deshalb muss es so etwas wie eine Kontrolle geben. Wenn es Probleme gibt, können sie uns anrufen.
Gibt es Zahlen darüber, wie viele der Flüchtlinge, die in Hamburg untergebracht sind, sich integrieren wollen?
Anselm Sprandel: Wie viele Flüchtlinge willig sind, sich zu integrieren, dazu haben wir in Hamburg keine systematisch erhobenen Zahlen. In der internationalen Forschung gibt es die Meinung: ein Drittel reißt sich ein Bein aus, ein Drittel macht mit, ein Drittel ist unengagiert. Wenn ich unterwegs bin, mache ich aber die Erfahrung, dass es ganz viele Erfolgsgeschichten gibt: wo Flüchtlinge einen Ausbildungs- oder einen Praktikumsplatz oder eine Wohnung erhalten haben. Die Botschaft ist: Wenn man etwas will, erreicht man das auch.
Gibt es Ideen, das Ehrenamt in hauptamtliche Tätigkeit umzuwandeln?
Anselm Sprandel: Wenn das Ehrenamt in eine hauptamtliche Tätigkeit umgewandelt würde, wäre es kein Ehrenamt mehr. Derzeit sehe ich nicht, dass da mehr Geld reingesteckt werden muss. Der Senat hat 1,4 Millionen Euro bereitgestellt, aber das Geld fließt noch nicht ab. Wir müssen schauen, woran das liegt und müssen das ändern.
Ist es sinnvoll, in Osdorf weitere Unterkünfte zu bauen?
Anselm Sprandel: Osdorf ist ein Stadtteil mit sozialen Problemen, das stimmt. Aber wir haben keine Hinweise, warum es nicht tragbar sein könnte, dort weitere Flüchtlingsunterkünfte zu errichten. Wir haben in verschiedenen Stadtteilen, die nicht wohlhabend sind, eine hohe Belegung. Das funktioniert auch. Wir würden auch gern in anderen Stadtteilen Unterkünfte haben, aber das ist nicht immer einfach, wie die Vorfälle in Blankenese zeigten. Allerdings wollen wir, sobald es geht, den Baumarkt am Rugenbarg und die Turnhalle der Bundeswehrkaserne wieder räumen. Auch die 700 Plätze am Grubenstieg werden wir nur einrichten, wenn die Einrichtung am Rugenbarg aufgegeben wird.
Sind schwächere Stadtteile eher bereit, Flüchtlinge unterzubringen?
Anselm Sprandel: Die flächenmäßigen Möglichkeiten sind in diesen Stadtvierteln größer. Aber auch die Eloquenz und der Bildungsstand sowie das Vermögen, sich vor Gericht gegen Flüchtlingsunterkünfte zu wehren, ist in einigen Stadtteilen größer.
Ich arbeite als Ehrenamtliche und verbringe Stunden am Telefon, wenn ich für die Flüchtlinge ein Problem lösen möchte. Warum gibt es keine Telefonhotline mit kompetenten Ansprechpartnern?
Anselm Sprandel: In der Zeit von E-Mail und SMS brauchen wir keine Telefonnummer. Sie können sich gern an uns wenden, es kommt alles an und wird weitergeleitet.
Warum gibt es keine Ombudsstelle, die unabhängig Kritik und Anliegen von Ehrenamtlichen aufnimmt und entscheidet?
Anselm Sprandel: Weil bisher wir den Anspruch haben, das zu sein. Wir haben oft geholfen, wenn Menschen keinen Zugang zu Einrichtungen hatten. Seit Wochen kümmert sich beispielsweise eine Mitarbeiterin darum, eine Halle für die Kleiderkammer Meiendorf zu finden. Ich wüsste nicht, warum wir nicht die Ombudsstelle sein könnten.
Sind Sie unabhängig genug?
Anselm Sprandel: Es gibt bereits eine Vielzahl von Koordinierungsstellen. Ich bin skeptisch, dass durch eine weitere Stelle die Probleme gelöst werden.
Bürgermeister Olaf Scholz hat sich für Wettbewerb beim Betrieb von Folgeunterkünften für Flüchtlinge ausgesprochen. Wie sehen Sie das?
Anselm Sprandel: Der Umstand, dass auch Hilfsorganisationen Erstaufnahmeeinrichtungen betreiben, sorgt für Impulse und Ideen, die gut sind. Ich bin grundsätzlich für Wettbewerb, auch in der Folgeunterbringung. In Harburg, bei der Einrichtung Ascheland, werden wir den Betrieb einer Folgeunterbringung ausschreiben. Wir schauen uns das an und werden dann in Ruhe entscheiden, ob das der richtige Weg ist. Das Thema ist nicht trivial. Wir müssen natürlich verhindern, dass Geschäftemacher bei Flüchtlingsunterkünften aktiv werden.