Hamburg. Nach der Freilassung des Kinderschänders gerät Justizsenator Steffen erneut ins Visier der Opposition. Auch Kritik an JVA.
Thomas B. hat Kinderseelen zerstört. Der Ex-Betreuer eines Pfadfindervereins hatte Ende 2003 vier Kinder im Alter von sieben bis zwölf Jahren sexuell missbraucht. Der Familienvater zeigte ihnen in seiner Wohnung in Kirchdorf-Süd Pornofilme, machte sie teils durch Drogen gefügig, bevor er sich an ihnen verging.
„So wie Sie jetzt sind, unbehandelt, sind Sie eine Gefahr für die Allgemeinheit“, sagte der Vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung im September 2004. Es bestehe ein „höchstes Risiko“, dass der pädophile Angeklagte erneut derartige Sexualstraftaten begehen werde. Um die Allgemeinheit zu schützen, ordnete das Gericht im Urteil deshalb Sicherungsverwahrung nach der viereinhalbjährigen Strafhaft an.
JVA und Gericht stritten über Fluchtrisiko
Vermutlich wäre er noch immer dort, in der Abteilung für Sicherungsverwahrte (31 Plätze) der JVA Fuhlsbüttel, hätte die Anstalt die gerichtliche Anordnung befolgt, dem Mann fristgerecht eine externe einzeltherapeutische Behandlung zu ermöglichen. Stattdessen ließ die Anstalt eine vom Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) gesetzte Frist zur Umsetzung des Beschlusses am 24. April 2015 verstreichen.
Offenbar wogen die Sicherheitsbedenken zu schwer: Während der Sitzungen in der Therapeuten-Praxis müssten bis zu fünf Justizbeamte für die Bewachung von Thomas B. abgestellt werden, schrieb die JVA dem Gericht. Eine Flucht aus dem Gebäude sei relativ unproblematisch.
Von der Küche aus, die sich wie der Behandlungsraum im ersten Geschoss befinde, könne der Gefangene auf ein nur ein Meter tiefer gelegenes Flachdach klettern. Das Gericht hingegen hatte das Fluchtrisiko als „vertretbar“ eingestuft. Die strikten Kontrollen, wie sie der JVA vorschwebten, kamen für den Therapeuten nicht infrage. Am Ende gab es gar keine Therapie für Thomas B.
Gesetzlich steht aber eine intensive Betreuung Sicherungsverwahrten ausdrücklich zu. Kann dies nicht gewährleistet werden, gilt die Fortdauer der Unterbringung als unverhältnismäßig.
Gericht kritisiert Haftanstalt
Formal korrekt beantragte Thomas B. im Oktober 2015, die Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen. Dem gab das Landgericht im Februar 2016 statt. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.
Am 26. April – vor drei Tagen also – bestätigte der erste OLG-Strafsenat die Entscheidung und rüffelte die JVA für ihr Vorgehen: Die JVA hätte nicht untätig bleiben dürfen, nur weil ihr die Behandlung von Thomas B. außerhalb der Anstalt als undurchführbar erschien, so das Gericht.
Vielmehr hätte die JVA „unverzüglich“ einen anderen Therapeuten suchen müssen. Dass die Anstalt vor Ablauf der Frist hätte tätig werden müssen, räumt auch Justizsenator Till Steffen (Grüne) ein. „Soweit sich die JVA Fuhlsbüttel aus Sicherheitsgründen außerstande sah, die Therapie wie angeordnet umzusetzen, hätte sie eine gerichtliche Entscheidung hierüber einholen müssen.“
„Steffen ist zu einem Sicherheitsrisiko für Hamburg geworden“
Steffen sieht sich bereits massiver Kritik gegenüber. „Die fatale Konsequenz aus unserer Sicht aus diesem Fehlverhalten ist, dass nun ein möglicherweise gefährlicher Täter auf freiem Fuß in Hamburg herumläuft“, sagte die justizpolitische Sprecherin der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Anna von Treuenfels-Frowein.
CDU-Justizexperte Richard Seelmaecker. „Zum wiederholten Male wurde in seiner Amtszeit ein gefährlicher Straftäter wegen Fehlern der Justiz auf freien Fuß gesetzt. Steffen ist so zu einem Sicherheitsrisiko für Hamburg geworden.“ Die CDU fordert eine Sondersitzung des Justizausschusses.
Seit 2006 sind mehr als 15 in Hamburg Untergebrachte auch aufgrund von Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden. Bekannte Fälle sind die von Hans-Peter W., Karsten D. und Jens B. So sorgte die Unterbringung der drei Schwerverbrecher im Jahr 2012 in Jenfeld für heftige Anwohnerproteste.
Hans-Peter W., Sexualstraftäter, war im Juli 2010 nach Hamburg gezogen. Weil er zunächst noch als gefährlich eingestuft worden war, wurde er bis Ende 2012 polizeilich bewacht. Der wegen Totschlags verurteilte Karsten D. stand nach seiner Entlassung dagegen nicht unter Bewachung. Anders als Jens B.: Der verurteilte Vergewaltiger verbüßte nach seiner Tat eine 15-jährige Haftstrafe. Mehr als zehn Jahre blieb er in Sicherungsverwahrung, bis er Anfang 2012 entlassen wurde. 2014 war er beim Radsportrennen Cyclassics angetreten und wurde von zwei Polizisten in Zivil begleitet.