Hamburg. Die CDU-Abgeordnete ist in Hamburg derzeit präsent wie kaum jemand anders. Gespräch über Niederlagen und was sie antreibt.

Ihr größtes Geheimnis war vielleicht lange ihre Herkunft, aber im Grunde spielt die Geschichte ihrer Familie wohl keine Rolle bei all dem, was Karin Prien tut oder anstrebt. Oder doch? Die stellvertretende Hamburger CDU-Fraktions­chefin, die in der Politik als Flüchtlingsexpertin ihrer Partei mindestens so präsent zu sein scheint wie der Bürgermeister, hat zwei jüdische Großväter. Ihre Großeltern mütterlicherseits sind Anfang der 30er-Jahre vor den Nazis geflohen, die väterlicherseits 1949 vor den Kommunisten. Beide nach Amsterdam, wo sich Priens Eltern kennenlernten, wo sie 1965 geboren wurde und mit Holländisch als Sprache aufwuchs, bevor die Familie nach Süddeutschland übersiedelte.

Ihre Familiengeschichte hat sie stark geprägt

„Ich gehe mit meiner jüdischen Herkunft nicht hausieren“, sagt die 50-Jährige beim Treffen im Blankeneser Carroux Caffee am dörflichen Ende der Elbchaussee, ganz nah an dem Haus, in dem sie mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen lebt. Sie definiere sich auch nicht als Jüdin und sei nicht religiös, so Prien. Nach Auschwitz gebe es keine Religion, das sei in ihrer Kindheit eine prägende Aussage gewesen.

Dass sie sich als flüchtlingspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion auch so stark für den Schutz christlicher Minderheiten in Flüchtlingsunterbringungen einsetzt, hängt dann doch eher mit ihrer Familiengeschichte zusammen. „Dadurch ist das Leben in einer freien Gesellschaft für mich von sehr hohem Wert“, sagt die Blankeneser CDU-Chefin, die oft so schnell redet, als habe sie einfach nicht genügend Zeit, jedes Wort vollständig auszusprechen. „Ich bin dazu erzogen worden, den Mund aufzumachen und sehr wachsam zu sein.“

Bei Bedarf langt sie laut und hart zu

Den Mund macht sie sehr oft auf – und in der Regel nicht, um zu flüstern. Als Rednerin in der Bürgerschaft, in der sie neben der Flüchtlings- auch für die Schulpolitik zuständig ist, langt sie bei Bedarf laut und hart zu und fordert auch mal Gruppenabschiebungen zur Abschreckung von Flüchtlingen aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern. In den Medien sind Prien-freie Tage mittlerweile selten. Tatsächlich gibt es kaum Hamburger Politiker, die derzeit mit mehr Energie, Ehrgeiz und Engagement zur Sache gehen.

Rund 350 Einträge mit Priens Namen finden sich gut ein Jahr nach der Wahl schon in der Parlamentsdatenbank. Damit hat sie mehr Anträge und Anfragen eingereicht als alle anderen Bürgerschaftsabgeordneten. Im Senat sollen manche von dieser Duracell-Oppositions-Politikerin schon derartig genervt sein, dass es die Anweisung gegeben haben soll, ihre Anfragen nur noch mit Allgemeinplätzen zu beantworten.

Aber das würde ihr vermutlich gerade gefallen, denn dann könnte sie den Senat vor dem Verfassungsgericht auf Beantwortung verklagen, das wäre ganz nach dem Geschmack dieser Frau, die mit 14 in Neuwied in Rheinland-Pfalz in die Schüler-Union eintrat, Schulsprecherin und während des Jurastudiums Hilfskraft von Friedbert Pflüger wurde, dem Sprecher von Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

Streiten kann ja auch Spaß machen, für Prien ist es fast schon ein Lebenselixier. „Politik ist ein täglicher Wettbewerb“, sagt sie. „Da geht es um die besten Themen und die beste Verkaufe, das hat für mich einen großen Reiz.“ Dass sie dabei auch einstecken kann, hat sie bewiesen – schon gleich bei ihrem Einstieg in die Hamburger Politik. Nachdem sie Ende der 90er-Jahre bei einem Insolvenzverwalterlehrgang ihren Mann kennengelernt und zu ihm nach Blankenese gezogen war, eine Kanzlei eröffnet und zwei ihrer Söhne bekommen hatte, zog es Prien 2004 wieder in die Politik. Sie trat in den CDU-Ortsverband Blankenese ein. Und sofort wollte die selbstbewusste Neue für die Bürgerschaft antreten. „Da hatte ich dann gleich einen Sack voller Feinde“, erzählt sie. In den schwarz-grünen Jahren ab 2008 kritisierte sie den Primarschulkompromiss, was ihr auch nicht nur Freunde einbrachte. Umso besser stand sie nach dem Ende von Schwarz-Grün da. Denn nun suchte die CDU plötzlich „Leute, die auf der richtigen Seite gestanden hatten“, Menschen mit bürgerlichem Hintergrund, um die alte Klientel wieder einzusammeln, die man im Bündnis mit den Grünen verprellt hatte.

Frisch in der Bürgerschaft wagte sie sich 2011 wieder einmal zu weit nach vorne, trat prompt gegen ihren Kreischef Hans-Detlef Roock bei der Wahl zum Fraktionsvize an, unterlag und war danach erst einmal „politisch mausetot“, wie sie sagt. Hingeworfen hat sie dennoch nicht. „Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt. Das gehört in der Politik dazu“, sagt Prien. „Man muss lernen, mit Niederlagen und Angriffen umzugehen.“ Vermutlich hat dabei das Leben mit drei Söhnen geholfen, schließlich gehe es bei ihr zu Hause auch oft rau und robust zu, so Prien.

Besonders hart angegangen wurde die Juristin im Mai 2015. Kurz zuvor hatte der neue CDU-Fraktionschef André Trepoll sie in der geschrumpften Bürgerschaftsfraktion zur flüchtlingspolitischen Sprecherin gemacht – und Prien stürzte sich wie üblich ohne Ärmelschoner ins Getümmel und forderte gleich mal, die private Unterbringung von Flüchtlingen zu fördern. Daraufhin wurde sie mit Hass-Mails und Drohanrufen von Rechtsextremen überzogen.

Wenn man sie kriege, werde man sie an den nächsten Baum hängen. Prien erstattet Anzeige. Herausgekommen ist wenig. „Die Polizei hat mir aber klargemacht, dass der Schritt von Beschimpfung zu Gewaltanwendung ein großer ist“, sagt sie heute und zuckt mit den Achseln. Auch das zeichnet sie womöglich aus: Diese Fähigkeit wegzustecken und abzuhaken, dazu ihr großer Fleiß und ihre kurze Reaktionszeit auf Aktionen der Konkurrenz – all das könnte die zierliche Frau aus Blankenese, die so gerne italienisch kocht und (natürlich „sehr schnell“) Romane von Siri Hustvedt oder Amos Oz liest, irgendwann zu Höherem prädestinieren.

Klar, nicht alle in der CDU mögen sie. Manche halten sie für übermotiviert. Sie spreche sich nicht ab, und es sei nicht klar, wofür sie stehe, sagen einige. „Einmal will sie Flüchtlinge privat unterbringen, dann fordert sie plötzlich Deutschlandflaggen vor Schulen“, sagt einer, „das passt doch politisch nicht zusammen.“ Fleiß und Kompetenz aber spricht ihr niemand ab.

Aber was sollte als nächstes kommen? Fraktionsvorsitzende und 2020 erste Bürgermeisterkandidatin? 2015 habe sie nicht für den Fraktionsvorsitz kandidiert, weil sie sich noch nicht reif gefühlt habe, sagt sie. Mit Fraktionschef Trepoll arbeite sie sehr gut zusammen, betont sie alle paar Minuten ungefragt. Da sei null Konkurrenz. Überhaupt sei die Zusammenarbeit in der Fraktion exzellent. Das mag stimmen, vor allem aber will Prien den Neidern keine Nahrung geben. Und was ist mit dem Bundestag? „Ich würde definitiv nicht gegen unseren Altonaer Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg antreten“, sagt sie. Obwohl die Bundespolitik „natürlich reizvoll“ sei.

Mittlerweile hat Prien nach eigener Berechnung eine 80 Stunden-Woche: 20 Stunden in der Kanzlei, der Rest sei Politik. Wie man das unter einen Hut bekommt mit drei Söhnen, einem viel beschäftigen Ehemann und zwei Katzen? „Wenn mein Mann nicht fast jeden Abend um halb sieben zu Hause wäre, könnte ich das nicht machen“, sagte sie. Tennis spiele sie derzeit auch nicht mehr. Politik sei ja auch „Fleißarbeit“, ständig müsse man sich in neue Themen einarbeiten, Anträge, Anfragen und Reden schreiben, viele Abende in Ausschüssen verbringen und immerzu kommunizieren – mit Bürgern, Parteifreunden und Journalisten.

Besonders hoch ist die Wertschätzung für Politiker trotzdem nicht. „Ach“, sagt Karin Prien irgendwann, als der Milchkaffee längst ausgetrunken ist, „das ist auch etwas, wozu ich gern beitragen würde: Dass all die Menschen, die sich politisch engagieren, ein wenig mehr Anerkennung bekommen.“ Spricht’s und winkt und schon ist sie auf dem sehr kurzen Weg nach Hause.

Vermutlich muss sie noch ein Dutzend Kleine Anfragen schreiben.