Hamburg . Unternehmen mit hohen Erlösen bekommen mehr Einfluss. Vier neue Branchengruppen. Bündnis kritisiert Reformvorschlag.

Streit über Mitgliedsbeiträge oder über das Engagement gegen den Netzrückkauf und dazu noch viele anhängige Gerichtsverfahren – die Handelskammer Hamburg kommt seit Jahren nicht zur Ruhe. Ausgerechnet jetzt aber ist die Vertretung der Hamburger Wirtschaft gezwungen, eine größere Reform zu beschließen. Und die sorgt erneut für Streit zwischen den Altvorderen und den „Kammerrebellen“ von „Die Kammer sind WIR“, die seit der Wahl 2014 mit zwölf Vertretern im Plenum sitzen.

Anlass: Für die Anfang 2017 anstehende Neuwahl des Kammerplenums muss die Wahlordnung geändert werden, nach der die 66 Vertreter aus allen Branchen für die nächsten drei Jahre bestimmt werden. Über den jetzt vorgelegten Entwurf soll das Plenum in der kommenden Woche abstimmen.

Anpassungen der Wahlordnung gibt es zwar regelmäßig vor Neuwahlen, da Veränderungen der Hamburger Wirtschaftsstruktur auch im neuen Kammerparlament abgebildet werden sollen. Diesmal ist die Kammer aber außerdem gezwungen, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts umzusetzen, das die sogenannte Kooptation oder Zuwahl betrifft. Bei der Kooptation können direkt gewählte Plenarier zusätzliche Mitglieder des Parlaments bestimmen, die dann also nicht direkt gewählt werden. Die Art und Weise, wie das bisher in vielen Kammern gehandhabt wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt, deswegen muss der Wahlmodus auch hier angepasst werden.

Der jetzt von einer Kommission unter der Leitung von Jens-Ulrich Kießling, dem Ex-Präsidenten des Immobilienverbands IVD, vorgelegte Entwurf einer Wahlordnung enthält vor allem drei wesentliche Änderungen. Er senkt erstens die Zahl der Kooptierten von zwölf auf acht und ordnet diese bestimmten Wahlgruppen, also Branchen, zu. Er führt zweitens vier neue Wahlgruppen ein, und zwar je eine für Finanzberatung, Energie, Gesundheitswirtschaft und Existenzgründer. Damit soll es künftig 17 statt bisher 13 Branchengruppen geben. Und drittens wird die Höhe der Umsätze wichtiger bei der Entscheidung, welche Branchen wie viele Sitze im Plenum bekommen: Gewerbeerträge werden dafür künftig mit 60 statt bisher 50 Prozent gewichtet.

„Diese neue Wahlordnung wäre ein großer Erfolg für die Wirtschaft, die besser im Plenum repräsentiert wird“, so Kommisionschef Kießling. „Außerdem setzen wir das Urteil zur Kooptation um. Auch für die WIR-Gruppe ist die Vorlage ein Erfolg, weil viele ihrer Anregungen aufgenommen wurden.“

Bei den Kammerrebellen sieht man das nicht ganz so. Tobias Bergmann, Unternehmensberater und Sprecher der WIR-Gruppe, kritisiert vor allem zwei Punkte an dem Entwurf. „Die neue Wahlgruppe Existenzgründer ist ein Etikettenschwindel. Das Ziel ist es, 22 Prozent der Mitglieder dort einzupferchen und mit drei Mandaten abzuspeisen“, so Bergmann. „Diese Wähler werden wohl als unkalkulierbares Risiko gesehen, die separiert werden sollen.“ Mithin: Bergmann fürchtet wohl, dass die Reform seine Anhänger schwächen könnte, da diese oft aus jüngeren und kleineren Unternehmen stammen. Dazu passt auch sein zweiter Kritikpunkt. „Dass 60 Prozent der Mandate auf Basis des Gewerbeertrags verteilt werden sollen, bedeutet eine Verschärfung des Prinzips ,Wer zahlt, schafft an‘“, so Bergmann. „In keiner anderen uns bekannten Handelskammer wird der Gewerbeertrag so hoch gewichtet.“ Ähnlich äußert sich Kai Boeddinghaus vom Bundesverband für freie Kammern (bffk). Die stärkere Gewichtung des Gewerbeertrags sei „demokratisch höchst zweifelhaft“, so Boeddinghaus. „Damit nähert sich die Handelskammer Hamburg dem preußischen Dreiklassenwahlrecht.“

Am 7. April soll das Kammerplenum die Vorschläge diskutieren und beschließen. Für wesentliche Teile ist eine Dreiviertelmehrheit nötig.