Hamburg. Urteil des Verwaltungsgericht zu Beiträgen stellt gesamte Finanzierung der Kammer infrage. Wirtschaftsbehörde hält sich weiter heraus.

Die Aufhebung von Gebührenbescheiden aus den Jahren 2010 und 2013 durch das Verwaltungsgericht hat die Handelskammer Hamburg offenbar eiskalt erwischt. Denn das Urteil könnte letztlich die gesamte Finanzverwaltung der Kammer infrage stellen.

Das Gericht hatte nämlich gerügt, dass die gebildeten Rücklagen zu hoch bzw. in ihrer Höhe nicht nachvollziehbar gewesen seien. Die Kammer habe daher Vermögen auf Kosten der Zwangsmitglieder gebildet, was ihr nicht erlaubt sei. Auch die entsprechenden Beschlüsse des Kammerplenums seien „rechtsfehlerhaft“ gewesen. Erhebliche Gewinne einzubehalten statt sie an die Mitglieder zurückzuzahlen sei nur unter „besonderen Umständen“ erlaubt. Solche Umstände habe es aber in den beanstandeten Jahren nicht gegeben.

Die gesamte Finanzplanung der Handelskammer steht auf der Kippe

Das Urteil könnte die gesamte Finanzplanung der Kammer durcheinanderbringen. Denn alle Mitglieder, die ihre Bescheide für 2010 oder 2013 angefochten haben, könnten ihre Beiträge nun zurückfordern, wenn das Urteil Bestand hat – was angesichts der höchsten Rechtssprechung der jüngeren Zeit wahrscheinlich erscheint. Kammersprecher Jörn Arfs konnte am Mittwoch nicht sagen, wie hoch die Zahl derjenigen ist, die ihre Bescheide angefochten haben und um welche Summen es also bei möglichen Rückforderungen gehen könnte.

Hinzu kommt, dass es für viel Ärger sorgen könnte, wenn die Kammer nur an diejenigen Beiträge erstatten würde, die Widerspruch gegen ihre Bescheide eingelegt haben. Dann würden diejenigen, die in gutem Glauben an die Vorgaben der Kammerführung Beiträge gezahlt haben, in dieser Sache die Dummen sein. Eine Rückzahlung an alle Mitglieder dürfte die Kassen der Kammer stark belasten.

Die Kammer könnte gegen das Urteil Berufung einlegen

Der stellvertretenden Kammer-Hauptgeschäftsführer Ulrich Brehmer betont zwar, dass die „Rücklagenpolitik immer den entsprechenden Rechtsgrundlagen und der geltenden juristischen Auffassung entsprochen“ habe. „Auch in früheren Gerichtsverfahren, unter anderem zum Beitragsjahr 2010, die zu unseren Gunsten ausgegangen sind, hat das Verwaltungsgericht nie die Rücklagen kritisiert.“ Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Dezember 2015 definiere „allerdings neue Anforderungen, die auch in die Vergangenheit wirken und in dieser Schärfe bisher nicht in der Rechtsprechung angewendet wurden“. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg greife diese Rechtsauffassung auf. „Daher werten wir derzeit das Urteil aus und prüfen die juristischen Reaktionsmöglichkeiten“, so Brehmer. Gegen das Urteil könnte die Kammer Berufung einlegen.

Der Kammer-Plenarier und Sprecher der oppositionellen Gruppe „Die Kammer sind WIR“, Tobias Bergmann, sieht sich durch das Urteil in seiner Auffassung bestätigt. Seine Gruppe habe schon beim letzten Kammerwahlkampf eine Erstattung der überhöhten Rücklagen an die Mitglieder gefordert, so Bergmann. „Für das Image der Kammer ist das aktuelle Urteil eine totale Katastrophe.“ Es seien nun zwei Dinge notwendig, so der Inhaber der Unternehmensberatung Nordlicht. Erstens müsse es eine „merkliche Rückerstattung“ an alle Mitglieder geben – und nicht nur an diejenigen, die Bescheide angefochten hätten. Und zweitens müssten die Zwangsbeiträge der Mitglieder gänzlich abgeschafft werden.

Bergmann schlägt, vermutlich auch mit Blick auf den bereits beginnenden Wahlkampf für die Kammerwahl 2017, ein neues Modell vor. So solle es eine Basismitgliedschaft ohne Beiträge geben, und zusätzlich eine Premiummitgliedschaft, die dazu berechtige, Dienstleistungen der Kammer in Anspruch zu nehmen. „ Außerdem muss die Kammer ihre Ausgaben kürzen“, fordert Bergmann. „ Da kann man mit der Veranstaltung Hamburger Morgensprache und dem Gehalt des Hauptgeschäftsführers beginnen.“ Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz kam zuletzt auf ein Jahresgehalt von fast einer halben Million Euro.

Bundesverband freier Kammern hält auch aktuelle Beitragsbescheide für anfechtbar

Nach Ansicht von Kai Boeddinghaus vom Bundesverband für freie Kammern (bffk) können nach dem Urteil auch aktuelle Beitragsbescheide der Kammer von den Zwangsmitgliedern angefochten werden. „Die Wirtschaftsplanung der Jahre 2010 und 2013, über die geurteilt wurde, unterscheidet sich hinsichtlich der rechtswidrigen Vermögensbildung nicht grundsätzlich von der Wirtschaftsplanung der Jahre vor 2010, nach 2013 und der Jahre dazwischen“, so Boeddinghaus. „Alle noch nicht bestandskräftigen Bescheide sind jetzt angreifbar. Bescheiden, die die Handelskammer jetzt verschickt, fehlt ab sofort die Rechtsgrundlage.“ Es sei nun die Aufgabe der für die Rechtsaufsicht über die Handelskammer zuständigen Wirtschaftsbehörde, „den Versand solcher offenkundig rechtswidriger Bescheide zu unterbinden“, so Boeddinghaus. „Damit stehen die kompletten Beitragseinnahmen der Kammer im Feuer.“

Die Wirtschaftsbehörde, der mit Senator Frank Horch ein früherer Präses der Handelskammer vorsteht, sieht derzeit keine Notwendigkeit zum Eingreifen. „Die Aufsichtsbehörde ist keine Handelskammerpolizei und kontrolliert nicht jeden Beitragsbescheid“, sagte Behördensprecherin Susanne Meinecke. „Gut bedachte und tragfähige Lösungen waren noch immer besser, als jede aktionistische Reaktion.“