Hamburg. Der Hamburger Professor Harry Friebel startet eine bundesweite Kampagne gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus.

„Wir möchten den Frauen, die in der Silvesternacht in Köln und anderswo zu Opfern sexualisierter Gewalt gemacht wurden, unser Mitgefühl und unsere Solidarität aussprechen. Diese Vorfälle haben uns tief erschreckt und wütend gemacht. Sexualisierte Gewalt gegen Menschen egal welchen Geschlechts ist ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung“, sagt Harry Friebel. Unter www.nichtmitmir.eu hat der Hamburger Professor jetzt eine bundesweite Kampagne gestartet. „Sexualisierte Gewalt darf nirgendwo auf der Welt Platz haben. Wir fordern bestmögliche Unterstützung für alle Betroffenen. Wir unterstützen die Forderungen von frauenpolitischen Organisationen, dass gesetzliche Schutzlücken wie Nötigung, Vergewaltigung und Beleidigung schnellstens beseitigt werden“, sagt Friebel.

Hamburger Abendblatt: Herr Professor Friebel, was ist der Grund für Ihr Engagement?

Harry Friebel: Die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln haben die Themen sexualisierte Gewalt und Rassismus an die Öffentlichkeit gespült und haben uns vom „Forum Männer“ dazu veranlasst, darüber öffentlich nachzudenken. Wir wollen mit unserer Initiative dieses Nachdenken fördern und Männer wie Frauen hiermit auffordern, allgemeine sexistische und rassistische Zuschreibungen nicht einfach hinzunehmen – sondern sich zu positionieren in einer zivilgesellschaftlichen Perspektive ohne Gewalt.

Was verstehen Sie genau unter sexualisierter Gewalt?

Friebel: Unter diesem Begriff werden alle sexuellen Handlungen zusammengefasst, die gegen den Willen einer Person durchgeführt werden. Damit schließen wir uns der Istanbul-Konvention „Nein heißt Nein“ an, die im August 2014 in Kraft getreten ist. Sie wurde inzwischen von 13 Staaten ratifiziert und von 23 gezeichnet. Deutschland prüft derzeit noch die Ratifikation.

Wie groß ist das Problem sexualisierter Gewalt in Deutschland?

Friebel: Das, was sich in aller Öffentlichkeit an sexualisierter Gewalt – gewissermaßen vor unseren Augen – in Deutschland abspielt, ist nur die Spitze des Eisbergs. Es ist eine spezifische Form von Männlichkeit, die annimmt, dass das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nicht genauso wertvoll ist wie das Selbstbestimmungsrecht von Männern. Diese traditionelle männliche Überlegenheitsfiktion ist nicht nur auf öffentlichen Plätzen anzufinden. Sie entlädt sich hunderttausendfach auch im persönlichen Nahbereich, zum Beispiel in den Familien. Gegenüber Kindern, gegenüber Frauen, gegenüber allen, die von dieser Männlichkeit einfach abgewertet werden.

Was sind Ihre wichtigsten Forderungen?

Friebel: Uns geht es um eine öffentliche Debattenkultur gegen sexistische und rassistische Zuschreibungen, Stereotype. Es gibt weder eine allgemeine überbordende Sexualität der „anderen“ Männer wie etwa Flüchtlinge, Asylsuchende, Nordafrikaner oder Marokkaner. Noch darf es zulässig sein, Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe wurden, insgeheim anschließend zu Tätern zu machen. Wir wollen, dass jede und jeder mutig ist und wird, gegen sexuelle Gewalt und gegen menschenverachtende Abwertungen einzutreten. Mit unserer Kampagne geht es uns auch um eine Reform und Verschärfung des Sexualstrafrechts.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Kampagne in der momentanen Flüchtlingsdebatte missbraucht wird?

Friebel: Ja, die sehen wir. Da ist der Versuch, sexualisierte Gewalt als biologisch oder kulturell determiniertes Verhalten der „anderen“ Männer abzutun. Es gibt eine traditionelle Selbstbezogenheit der sogenannten Heimatdeutschen, man kann sie als „Wir“-Gruppe bezeichnen. Das Schema: „Wir“ sind die „Guten“, „die“ sind die Fremden, die Anderen, die „Bösen“. Das selbstbezogene, unreflektiert positive Verhältnis der „Wir“-Personen zu „ihrer“ Mehrheits-Kultur ist mit der impliziten Abwertung anderer Minderheiten-Kulturen zugleich ein möglicher Ausgangspunkt für ein rassistisches Verhalten. Die Reproduktion der traditionellen Grundhaltung zielt auf eine Entlastung der Eigengruppe: als Umgang der „wir“-Kultur mit der „die“-Kultur. Diese Entlastung vermag es, die Gewalt der „Anderen“ als komplett überdeterminiert von deren Biologie oder von deren Kultur zu beschreiben, während vergleichsweise Praktiken unter den „Wir“-Heimatdeutschen – etwa das Bedrohen, Schlagen, Vergewaltigen von Frauen – als tragische Einzelfälle verkannt bleiben können, die vermeintlich nichts mit patriarchalen Strukturen in der Mehrheitskultur zu tun haben. Wir lassen es nicht zu, dass Flüchtlinge zum Sündenbock abgestempelt werden.

Wie wollen Sie dem begegnen?

Friebel: Der Umgang mit dem Fremden will gelernt sein. Das fängt in den Schulbüchern an und geht weiter auf allen Ebenen der Zivilgesellschaft. Gerade die Sorge vor einer Instrumentalisierung der Vorgänge in Köln, Hamburg, Stuttgart und anderswo muss zu einer vorbehaltslosen offenen Erörterung der Ursachen und Wirkungen von Sexismus und Rassismus führen. Unsere Forderungen nach Unterstützung und Solidarität mit den Betroffenen von Gewalt und auch von rassistischen Zuschreibungen muss einmünden in eine geschlechtersensible Jungen- und Männerarbeit, sowie zu Maßnahmen der Gewaltprävention führen – eine Gewaltprävention, die Veränderungs- und Handlungsoptionen erschließen soll.

Für welches Männerbild treten Sie ein?

Friebel: Männer- und Frauenbilder stehen in einem relationalen Verhältnis. Sie sind gesellschaftlich konstruiert, sie folgen dem Wandel in der Moderne und sie werden täglich immer wieder neu in unserem Alltag gestaltet. Das heißt, dass wir alle auch die Option haben, dieses oder jenes Männerbild zu unterstützen. Ich folge einem Männerbild, das sich auf Augenhöhe mit der Frau gesellt: Ohne Abwertungen oder Idealisierungen.

Wie breit ist das Bündnis der Unterstützer?

Friebel: Wir sind noch am Beginn unserer Kampagne. Wir werben weiter um Unterstützer, die wie wir gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus öffentlich einstehen. Es geht darum, Mitstreiter zu finden, die sexualisierter Gewalt und rassistischen Abwertungen jederzeit und an jedem Ort – gleich welches Geschlecht und unabhängig von Kultur, Religion oder Ethnie – entschieden entgegen zu treten.

Was sind die nächsten Schritte?

Friebel: Erst einmal sind wir darum bemüht, dass unser Appell vielfältig gehört und mitgetragen wird. Wir haben bereits im November vergangenen Jahres eine Tagung zum Thema Rassismus und Männlichkeiten in Berlin veranstaltet. Das wollen wir fortführen mit einer weiteren Veranstaltung im September in Köln. Alles weitere wird im Prozess entschieden.