Hamburg. Freunde, Familie und Fans erweisen dem Autor und Moderator Roger Willemsen auf dem Ohlsdorfer Friedhof die letzte Ehre.
Als, ganz leise zunächst, das Stück „Peace Piece“ des amerikanischen Jazz-Pianisten Bill Evans erklang, war die Fritz-Schumacher-Halle auf dem Ohlsdorfer Friedhof gefüllt bis auf den letzten Sitz- und Stehplatz. Wie sollte es auch anders sein angesichts des Mannes, der hier betrauert wurde.
Roger Willemsen, der am 7. Februar im Alter von 60 Jahren gestorbene Schriftsteller und Fernsehmoderator, dieser aus dem Rheinland eingewanderte Hamburger, hatte viele Freunde, Leser, Weggefährten, Arbeitskollegen, Fans. Denen hatte er, wie im Verlaufe der so würdigen wie berührenden Trauerfeier mehrere Mal gesagt wurde, im Verlaufe seines viel zu kurzen Lebens viel geschenkt: seinen Intellekt, sein Interesse an Menschen und Ländern, seine Begeisterung für Kultur und Politik.
Willemsen, der nach eigener Aussage überzeugte Konfessionslose, wünschte sich für seine Feier als Redner fünf Freunde und Vertraute. Sie waren gut gewählt, weil sie die Facetten und die Eigenschaften Willemsens, die Rollen, die er auf den verschiedenen Bühnen des Lebens spielte, wohl so trefflich widerspiegelten, wie es eben geht. Der Publizist und Politikberater Manfred Bissinger lobte Willemsens „überbordende Fähigkeit zum Mitgefühl, er lebte Empathie“. Nadia Nashir, die Vorsitzende des Deutsch-Afghanischen Frauenvereins, sagte bewegt: „Er war unser Licht, er hellte dunkle Schlagzeilen aus Afghanistan durch seinen Respekt, durch seine Liebe und Freude auf.“
Der Schriftsteller und Festivalmacher Werner Köhler, ein langjähriger Freund Willemsens, sprach von der kompletten Angstlosigkeit Willemsens und erzählte von dessen letzter großer Reise an einen Fjord in Norwegen. Er sei so gelassen gewesen, „er war entschlossen, die Welt ohne Gram zu verlassen“.
Vor dem Beginn der Trauerfeier – die Ersten standen bereits eine Stunde vorher vor der Fritz-Schumacher-Halle – sammelten sich die Familie und engsten Freunde vor dem Sarg. Der war aus hellem, freundlichem Holz. Die Blumen wirkten frühlingshaft; Ranunkeln, sie waren Willemsens Lieblingsblumen, standen vor der Tür der Trauerhalle in Terracottatöpfen – zum Mitnehmen.
Willemsen habe in den letzten Lebensmonaten oft und besonders an seine Freunde gedacht, hieß es in den Reden. Sein größtes Talent sei die Freundschaft gewesen, sagte die Hamburger Übersetzerin Katja Scholtz, „jede Begegnung mit ihm ließ einen reicher zurück, er hatte die Gabe, uns den Spiegel vorzuhalten, ohne zu verletzen.“
Bei einem, der drei Jahrzehnte eine öffentliche Person war, sammelt sich im Freundes- und Bekanntenkreis auch Prominenz: Man sah die Schauspielerinnen Iris Berben und Katja Riemann gemeinsam kommen. Außerdem, etwas überraschendere Kombination, „Tatort“-Darstellerin Sibel Kekilli und Claudia Roth, die Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Bundestages. Letztere sagte, dass ihr das gemeinsame Schauen von Fußballspielen ebenso fehlen werde wie Willemsens Empathie und Herzenswärme. Auch Fernsehkoch Rainer Sass, St.-Pauli-Theater-Intendant Ulrich Waller, die Schauspielerin Maria Schrader, der TV-Journalist Friedrich Küppersbusch, die Werbeagentin Nane Mundt und Michael Lang, der Intendant des Winterhuder Fährhauses, und NDR-Fernsehmoderatorin Julia Westlake hatten den Weg nach Ohlsdorf gefunden.
Wenn ein Leben nachträglich besichtigt, wenn ein Mensch zu Grabe getragen wird, dann bleiben auch die Erinnerungen an komische Eigenheiten nicht aus – gerade in der Trauer hat das Lachen eine befreiende Funktion. Als Werner Köhler, der Kölner Freund, unter Tränen ausgerechnet von Willemsens „grausam schlechten Witzen“ erzählte, war die Stimmung in der Trauergemeinde für einen Moment gelöst. Das hätte Willemsen gefallen.
Willemsens Dauerkommentar beim Betrachten eines Fußballspiels sei „eine Zumutung“ gewesen, sagte Köhler augenzwinkernd, „außerdem war er ein Weltmeister des Gossips“.
Roger Willemsen, der viel herumgekommene Reiseschriftsteller und nachdenkliche Kommentator der Zeitläufe, der „rasende Roger“, wie er sich bei Freunden schon mal selbstironisch nannte, wird, das waren sich die Redner einig, nicht nur schmerzlich als Seelenfreund vermisst werden, sondern auch als scharfzüngiger politischer Beobachter. Der Verlust von Willemsens Wortgewalt sei in diesen Zeiten der Verwahrlosung der öffentlichen Debatte dramatisch, sagte Manfred Bissinger. Gerade im Hinblick auf die derzeit alles bestimmende Flüchtlingsproblematik.
Ein auch herausragender politischer Intellektueller, der im Umgang warmherzig war: Als solcher wurde Roger Willemsen, dessen kluge Bücher bleiben werden, in Ohlsdorf erinnert. Die an die Trauerfeier anschließende Beisetzung erfolgte nach Keith Jarretts „Blame It On My Youth/Meditation“ im engsten Familienkreis.
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