Hamburg. Der Musiker, Regisseur und Mitbegründer des Pudel Clubs Schorsch Kamerun über urbane Bequemlichkeit, Rebellion und Angela Merkel.

Unter dem Titel „Die disparate Stadt“ hat Schorsch Kamerun vor einiger Zeit eine Theater-Performance am Schauspielhaus angekündigt. Am 5. März ist die Premiere. Um was es gehen soll: Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und Hamburg als Ort der (verlorenen) Widerborstigkeit. Ein solcher Ort ist ganz sicher der Golden Pudel Club, der am vergangenen Wochenende brannte und nun wieder aufgebaut werden soll. Kamerun, 52, ist einer der Erfinder der bundesweit bekannten Subkultur-Attraktion. Deshalb kommt im Gespräch, das Wochen vor dem Brand terminiert wurde, die Rede immer wieder auf den Pudel – schließlich ist er das kulturelle Kernthema der Stunde.

Hamburger Abendblatt: Ihre Performance „Die disparate Stadt“ untersucht, so die Ankündigung, „Ausschläge gegenkultureller Widerspenstigkeit in Hamburg von der Swing-Jugend bis heute“. Gibt es Gemeinsamkeiten all dieser Bewegungen?

Schorsch Kamerun: Heutzutage ist es schwer geworden, etwas zu finden, wo man eine deutliche Haltung zeigen kann. Wir konnten zu einer Zeit Punker werden, als das noch Irritation auslöste. Heute ist es vielleicht irritierend, wenn du zum IS gehst oder Hooligan wirst.

Wie wollen Sie denn dann die Gegenkultur auf die Bühne bringen?

Kamerun: Das Dümmste wäre wahrscheinlich, sie eins zu eins darzustellen. Also wilde Swingtänze aufzuführen oder 60er-Jahre-Musik zu schrabbeln. Ich habe das Gefühl, man braucht eher eine Melancholie für die Zustände des Dagegenseins. Man muss die Rebellion in eine Art Traumbild bringen, damit der Zuschauer eine eigene Fantasie entwickeln kann. Jetzt noch Punk zu spielen, wenn ich wütend bin, ist langweilig. Aber wie drücke ich meine Wut aus? Das ist schwieriger geworden in einer überkomplexen Zeit. Deshalb ist zum Beispiel der Pudel-Club mit seiner Geschichte wichtig – er kommt aus einer Zeit der klaren Haltung.

Golden Pudel Club öffnet in Kürze wieder

Für jemanden, der noch nie im Pudel Club zu Gast war: Wie lässt sich dessen Idee beschreiben?

Kamerun: Was den Pudel ausmacht, ist die Möglichkeit des Experiments. Das widerspricht der heutigen Verwertungskultur des „alles muss immer sauber verstehbar sein“. Sprich: Ich kaufe mir eine superteure Konzertkarte und will vorher genau wissen, was ich dafür bekomme. Im Pudel weiß man das aber gar nicht. Es geht immer um den freien Versuch, um das Unerwartbare, Freakige. Wir stehen für den Auswuchs, das Nicht-Einzuschätzende, das Fremde. Die Welt ist fürchterlich kon­trolliert, weil sie so angstbesetzt ist. Da setzen wir uns drüber hinweg mit unserer Maßlosigkeit.

Wie steht es denn insgesamt um die Gegen- und Subkultur in Hamburg?

Kamerun: Ich finde,
dass es in den vergangenen Jahren in vielen Beispielen durchaus sinnvoll war, sich gemeinschaftlich zur Wehr zu setzen. Da sind die Esso-Häuser, wo die Planbude die Idee der Wunschproduktion umgesetzt hat. Natürlich ist im Gängeviertel etwas Besonderes gelungen. Und die Rote Flora setzt sich weiter durch. Man unterschätzt auch den Bürgerwillen insgesamt. Beim Thema Olympia hat die Politik geglaubt, dass sie mit plattem Dabeisein-ist-alles-Ködern durchkommt. Irrtum. Auf der anderen Seite erwachen durch solche Schlappen der demokratischen Autoritäten die populistischen Krokodile. Diese agieren immer nur simpel: zuschnappen, fliehen oder erstarren.

Wie lässt sich denn in dieser Gemenge­lage als Subkultur agieren?

Kamerun: Ein interessantes Buch beschäftigt sich mit „Kollaboration“. Die zentrale These lautet, dass man unter bestimmten Bedingungen auch zusammenarbeiten kann. Was nicht bedeutet, dass man sich sofort um einen Posten im Rathaus bewirbt. Solche Teilnahmen waren aber sowieso nie angepeilt. Wenn wir zum Beispiel „Grenzen auf“ forderten, wurde uns erwidert: Das ist Scheiß-Radikalismus. Wer soll dafür die Verantwortung übernehmen? Am Ende des Tages machte es – interessanterweise – jetzt „das Mädchen“ (lacht). Sie vertritt genau genommen ältere linksradikale Positionen.

Diskutieren Sie darüber, dass Sie das „Mädchen Merkel“ nun ein wenig lieb haben müssen?

Kamerun: Die Aussage „Es gibt keine Obergrenzen“ war etwas, das die Szene goutiert hat. Ich gehe einen Schritt weiter: Ich fand für einen Moment Guido Westerwelle beklatschenswert. Weil der Pazifist ist. Beim Libyen-Krieg ist er nicht gleich mitgezogen. Dafür haben ihn Grüne kritisiert. Es scheint, als müssten wir heute anfangen, die Werte der Demokratie neu zu schützen. Wir müssen uns jedenfalls um rechts-populistische Strömungen sorgen.

In den 60ern und 70ern waberte das Alt-Nazitum in Deutschland weiter, jetzt poltern die neuen Rechten ganz öffentlich ...

Kamerun: Ich hatte wirklich noch einen Alt-Nazi-Deutschlehrer vor der Nase, und im Kunstunterricht sollten wir „ordentlich“ malen und zeichnen, um nicht „aus der Art zu schlagen“. Mit so etwas sind wir aufgewachsen! Wir haben uns als Jugendliche zur Wehr gesetzt, weil es eine Notwendigkeit gab. Und wir haben eine Form dafür gefunden. Im Nihilismus. Indem wir gesagt haben: „Keine Zukunft!“ Jetzt leben wir in einer Zeit, in der viele Eltern liberaler sind als ihre Kinder. Was wird dadurch aus dem subversiven Gestus? Dennoch gibt es immer Möglichkeiten. Durchaus sind das auch Orte wie Park Fiction und der Pudel Club in ihrem unverrückbaren Glauben an Andersartigkeit.

Wie wichtig sind denn geografische Orte für die Gegenkultur?

Kamerun: Es gibt Orte, die transportieren symbolisch eine Haltung. Das gilt es zu verteidigen. Die Geschichte ist an diesen Orten abzulesen. Ich mag den Gedanken, dass das Ideal und die Idee das Wichtigste sind. Aber du brauchst was Herzeigbares, das auch Spaß bringt und Liebe hat. Das ist einfach so.

Fällt Ihnen auch die Reflexhaftigkeit auf, mit der die Subkultur Orte wie die Elbphilharmonie als Feindbild aufbaut?

Kamerun: Natürlich. Trotzdem muss man einfach feststellen, wie dusselig es von der Stadt ist, von dem Konzerthaus als „Leuchtturmprojekt“ zu sprechen, das Hamburg „bekannter“ mache. Vielleicht wollen die Hamburger ja gar nicht, dass noch mehr Touristen durch die Stadt trampeln!

Wenn der Golden Pudel Club ein Mehr-Generationen-Haus ist, dann treffen Sie auch auf jüngere Gäste. Gehören Sie für die – mal ganz von Ihren Theaterstücken in hochkulturellen Ikonen wie dem Deutschen Schauspielhaus abgesehen – allein aufgrund Ihres Alters nicht längst zum Establishment?

Kamerun: Madonna hat mal gesagt im Hinblick auf ihre Nachfolgerinnen, etwa Lady Gaga, sie fordere geradezu, dass sie von ihr angegriffen werde. Was reden wir Alten eigentlich an so einem jungen Ort wie dem Pudel noch mit (lacht)?

Die Solidarität, die dem Pudel Club nach dem Brand entgegenschlägt, ist überwältigend.

Kamerun: Das ist sie. Wir nehmen sie ein Stück weit auch als Kompliment für das, was da entstanden ist. Was nichts daran ändert, wie geschockt wir am vergangenen Wochenende waren, wie durchgeschüttelt. Es fühlt sich, unabhängig von einem tatsächlichen Ermittlungsergebnis, wie ein Gewaltakt an.

Die Zukunft des Pudels bleibt wegen der gerichtlichen Auseinandersetzung mit Wolf Richter, dem ehemaligen Betreiber des „Oberstübchens“, ungewiss. Wie optimistisch sind Sie, was den Erhalt der alten Pudel-Kultur angeht?

Kamerun: Es gibt eine starke Solidaritätsbewegung. Außerdem ist uns die Stadt wohlgesonnen. Wir wollen weg vom Eigentümer-Gedanken und eine Stiftungs-Lösung finden, in der unser Verein VerFüGe über die Geschicke bestimmt. Und sollte es nach der Zwangsversteigerung einen neuen Besitzer des Obergeschosses geben, der unsere Vorstellung des Pudel-Park-Fiction-Komplexes als unkommerziellen Kulturort nicht mitträgt, dann bleiben wir sperrig.

„Die disparate Stadt“ (u. a. mit Akteuren des St. Pauli-Archivs und der Hallo-Festspiele) Premiere am 5.3., 20 Uhr, Malersaal/Schauspielhaus (U/S Hbf), Kirchenallee 39. Weitere Vorstellungen: 7.–9.3., Eintritt: nach eigenem Ermessen.
Kameruns Buch „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ erscheint am 14.3.
Die Goldenen Zitronen live Dockville, 19.–21.8.