Hamburgs Senatschef wirft seit Jahren einen kritischen Blick auf die Geschäftsführer der städtischen Unternehmen.

Er musste den Fahrstuhl nach unten nehmen, denn einen anderen Weg gab es für Dietrich von Albedyll an diesem Dienstagabend um kurz vor halb sechs nicht. Praktischerweise sitzt die bis Mittwoch von dem 65-Jährigen geführte städtische Hamburg Tourismus GmbH (HHT) im selben Gebäudekomplex wie die sie beaufsichtigende Wirtschaftsbehörde: die Touristiker mit Eingang Wexstraße im 11. Stock, die Leitungsebene der Behörde im 8. Stock am Alten Steinweg. Man kommt also selbst bei Regen trockenen Fußes hinüber zu Staatsrat Andreas Rieckhof, dem Aufsichtsratschef der HHT. Um vom einen Gebäude ins andere zu gelangen, fährt man per Fahrstuhl in den siebten Stock und dann mit einem anderen in den achten Stock des Nachbarbaus.

Das Bild des Fahrstuhls zum Schafott dürfte sich für von Albedyll zumindest beim ersten Gang zu seinem Oberaufseher noch nicht aufgedrängt haben – auch wenn sein Ende als Tourismus-Chef in diesem Moment schon ganz nah war. Am Vorabend hatte das Abendblatt eine Anfrage an Senat und HHT gerichtet. Darin ging es darum, dass von Albedyll, obwohl noch bis Ende März gut bezahlter Chef der HHT, bereits im Dezember eine eigene, private Tourismus GmbH gegründet und ins Handelsregister hatte eintragen lassen. Und das zusammen mit PR-Mann Wolfgang Raike, Ex-Sprecher der Wirtschaftsbehörde, Auftragnehmer der HHT und Weggefährte Albedylls.

Der Tourismus-Chef und seine Mitarbeiter taten die Anfrage am Vormittag noch als eher läppisch ab. Man habe sich nichts vorzuwerfen, hieß es. In der Wirtschaftsbehörde aber sah man das ganz anders, und ließ von der Personalabteilung Albedylls Vertrag prüfen. Zwar sei bekannt gewesen, dass dieser nach dem Ausscheiden Ende März eine eigene Firma gründen wolle. Dass er das aber bereits getan hatte, habe man nicht gewusst. Auch nicht, dass die HHT Aufträge an Raike vergeben hatte. Immerhin regelt der „Hamburger Corporate Governance Kodex“ das Verhalten von Geschäftsführern zur Vermeidung von Interessenkonflikten.

Filz? Noch so ein Trauma von SPD und Bürgermeister Olaf Scholz

Auch Bürgermeister Olaf Scholz, einst WG-Genosse von Staatsrat Rieckhof, ließ sich von Beginn auf dem Laufenden halten. Erstens ist Scholz selbst Aufsichtsratsvorsitzender der HHT-Mutter Hamburger Marketing GmbH (HMG). Und zweitens rührte die Angelegenheit an einem der zwei großen politischen Traumata des Bürgermeisters. 2001 verlor die Hamburger SPD unter seinem Vorsitz bekanntlich nicht nur wegen des Themas Innere Sicherheit die Macht. Auch das Thema Filz hatte vor der Wahl eine entscheidende Rolle gespielt. Bis heute sei Scholz bei diesen Themen extrem sensibel, heißt es.

Hinzu kommt: Der Senatschef wirft seit Jahren einen kritischen Blick auf die Geschäftsführer der städtischen Unternehmen. Es leuchtet ihm nicht ein, dass auch Chefs kleinerer städtischer Einheiten bisweilen das Doppelte und Dreifache von Amtsleitern oder Senatoren oder dem Bürgermeister verdienen, von denen die meisten viel mehr Verantwortung tragen. So stand Scholz als unsichtbarer Vierter mit im Büro von Rieckhof, als sich dort am Dienstag um 17.30 Uhr der Staatsrat mit dem Personal- und dem Tourismus-Chef zusammensetzte. Als Albedyll eine knappe Stunde später den Rückweg in sein Büro antrat, dürfte ihm geschwant haben, dass es eng werden könnte. Rieckhof hatte ihm einen Fragenkatalog mitgegeben, den er bis zum Morgen beantworten sollte. Noch zweimal nahm von Albedyll am nächsten Tag – der Abendblatt-Artikel über seine Firma war nun erschienen – die Fahrstühle zu Rieckhofs Büro. Am Vormittag teilte er mit, dass er zurücktreten werde, am Mittag kam er ein letztes Mal: zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags und zur Abstimmung der Presseerklärung, die um 14.21 Uhr von der Behörde verschickt wurde.

Damit waren von der Abendblatt-Anfrage bis zum Rücktritt eines der mächtigsten Stadt-Manager nicht einmal 48 Stunden vergangen. Das Tempo überraschte nicht nur Albedyll selbst, der nach Aussagen aus seinem Umfeld bis zum Schluss in eigener Sache „komplett betriebsblind“ gewesen sein soll.

Den geplanten großen Empfang zu seinem Abschied soll es nun nicht mehr geben. Stattdessen musste der Mann, der mehr als 25 Jahre Hamburgs Tourismus ausgebaut hatte, am Mittwochnachmittag still und leise an der Wexstraße seinen Schreibtisch ausräumen. Bei der Verabschiedung von den engsten Mitarbeitern soll seine Stimme brüchig gewesen sein. Dann war er weg. Gescheitert an einer Dummheit, die sich wohl nur aus einem Realitätsverlust erklären lässt, wie er Menschen befallen kann, die viele Jahre in Spitzenpositionen arbeiten und offene Kritik im eigenen Umfeld kaum noch erleben.

Manch anderer Amtsträger erschrak gleichwohl ob der „Art und Weise, wie man hier einen verdienten Manager vom Hof jagt“. Dabei sollten nach fünf Jahren Scholz-Regierung eigentlich alle wissen, wie dieser Bürgermeister tickt. Die Anforderungen des Amtes stünden immer über persönlichen Erwägungen, hat Scholz oft betont. Wer das nicht verstehe, sei dem Amt nicht gewachsen. Zudem hängt der Bürgermeister einem Führungsstil an, den man dem „Dezisionismus“ zuordnen könnte. Nach dieser Theorie geht es nicht in erster Linie um das (moralische) Begründen von Entscheidungen – sondern vor allem darum, dass man entscheidet. Und zwar schnell. Und klar. Und dass man bei seiner Entscheidung bleibt, um Vertrauen zu schaffen und glaubwürdig zu erscheinen.

Das hat Scholz in Sachfragen getan wie bei der Stadtbahn, wo er sich über Jahre von keinem, auch nicht dem besten Argument für dieses Verkehrsmittel beeindrucken ließ. Oder beim radikalen und klaglosen Umschalten nach Niederlagen in Volksentscheiden. Ebenso in früheren Personalfragen, etwa beim von ihm erzwungenen Rücktritt von Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber, als dieser nach dem Tod der elfjährigen Chantal in einer Pflegefamilie höchst unklug agiert hatte.

Mit dem eigenen Krisenmanagement ist man im Senat Ende dieser Woche dagegen hochzufrieden. Man habe die Krise abgeräumt, bevor sie richtig ausbrechen konnte, heißt es. Zugleich hat man anderen Spitzenleuten etwas ins Stammbuch geschrieben: „Wir leben nicht in einer Bananenrepublik!“

Zu Ende ist die Geschichte trotzdem nicht. Die Opposition wird im Ausschuss für öffentliche Unternehmen in der kommende Woche zu Recht fragen, warum die Aufsichtsräte das Treiben des HHT-Chefs nicht von sich aus genügend kontrolliert haben. Spannend dürfte auch sein, wie offen der Senat mit den Ergebnissen der Wirtschaftsprüfer umgeht, die er HMG und ihren Töchtern wie der HHT jetzt ins Haus schickt. Den städtischen Hamburg-Werbern stehen die turbulentesten Wochen noch bevor.