Hamburg. Hamburger CDU-Fraktionschef fordert eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen. Dann kämen maximal 250.000 Menschen nach Deutschland.

Peter Ulrich Meyer

Vor knapp einem Jahr ließ sich André Trepoll nach langem Zögern zum Fraktionschef der CDU wählen. Der Jurist übernahm nach der für die CDU verheerenden Bürgerschaftswahl im Februar 2015 eine stark dezimierte Fraktion. Sie hat nur noch 20 statt vormals 28 Mitglieder. Zählt man die Zahl der Anfragen an den Senat zusammen, ist die CDU die fleißigste Fraktion in der Bürgerschaft: Sie kommt auf rund 1000. Doch in Wählergunst ummünzen konnte die Union das nicht. Laut einer Radio-Hamburg-Umfrage mit 759 Teilnehmern rutschte die CDU auf 14 Prozent ab. Trepoll, der sich am kommenden Montag in der Fraktion zur Wiederwahl bis zum Ende der Legislatur 2020 stellt, hat keinen Gegenkandidaten. Das Abendblatt sprach mit ihm über den Zustand der CDU und die Flüchtlingspolitik

Hamburger Abendblatt: Die CDU hat vor einem Jahr das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte mit 15,9 Prozent eingefahren und jetzt in Umfragen nichts dazugewonnen. Auch nichts dazugelernt?

André Trepoll weiß, dass die CDU in Hamburg noch nicht auf Augenhöhe mit dem Senat ist
André Trepoll weiß, dass die CDU in Hamburg noch nicht auf Augenhöhe mit dem Senat ist © Michael Rauhe | Michael Rauhe

André Trepoll: Ich glaube schon. Es war ein historisch schlechtes Ergebnis, und vorher hatten viele gedacht, dass es nicht noch tiefer gehen kann. Wir haben die richtigen Konsequenzen gezogen und uns nicht zu lange mit uns selbst beschäftigt und es im ersten Jahr geschafft, Partei und Fraktion ordentlich wieder aufzustellen. Wir haben die Führungsrolle als stärkste Oppositionskraft angenommen. Im zweiten Jahr müssen wir das auf möglichst alle Politikfelder ausweiten. Da ist in einigen Bereichen noch Luft nach oben.

Wo zum Beispiel?

Trepoll : Ich sage es mal so: Wir sind nur noch 20 Kollegen in der Fraktion. Einige sind erst seit zehn Monaten dabei und mussten gleich Verantwortung als Fachsprecher übernehmen. Es dauert, sich fachlich einzuarbeiten.

Kann man das erste Jahr für die CDU so zusammenfassen: Konsolidierung auf sehr niedrigem Niveau?

Trepoll : Konsolidierung, ja. Wir haben eine aktive, lebhafte Oppositionsarbeit gemacht, haben Debatten angestoßen und den Senat unter Druck gesetzt.

Wird die CDU in der Stadt noch ernst genommen?

Trepoll : Wir werden ernst genommen. Wir stellen in Berlin die Kanzlerin, und bundesweit ist die Union mit Abstand die stärkste Kraft. Aber hier in Hamburg sind wir natürlich nicht auf Augenhöhe mit dem Senat – noch nicht.

SPD und Grüne bilden bislang eine stabile Koalition. Daran haben auch das verlorene Olympiareferendum oder die personellen Wechsel im Senat nichts geändert. Stimmen Sie dieser These zu?

Trepoll : Man kann nicht erwarten, dass eine Regierung nach zehn Monaten auseinanderbricht. Aber die SPD hat zuletzt in Umfragen rund acht Prozentpunkte verloren. Dieser massive Rückgang zeigt, dass Scholz seinen Zenit überschritten hat. Und die Grünen haben in diesem Bündnis erkennbar das Ziel, so wenig wie möglich aufzufallen. Das gelingt ihnen sehr gut. Für die Stadt bin ich sogar manchmal ganz froh dar­über, dass das so ist.

Sie sind froh darüber, dass sich die SPD mit ihrer Politik im Senat durchsetzt?

Trepoll (lacht): Nein, aber ich bin froh darüber, dass eine ganze Reihe von grünen Positionen verhindert wurden.

Offensichtlich ist Olaf Scholz auch für viele CDU-Wähler der richtige Mann. Wie konnte das passieren?

Trepoll : Es ist immer so, dass die eine Volkspartei das Nachsehen hat, wenn die andere jemanden hat, der bis weit ins gegnerische Spektrum wählbar ist. Aber: Der Nimbus von Scholz ist nachdrücklich gebrochen: Basta-Politik und Überforderung in der Flüchtlingspolitik, keine Dialogbereitschaft den Bürgern gegenüber. Wir mussten ihn zur Regierungserklärung über die Flüchtlingslage auffordern und dazu, den Posten eines Flüchtlingskoordinators zu schaffen. Dann: das verlorene Olympiareferendum und zwei Rücktritte von Senatoren, die Leistungsträger waren.

Anscheinend schafft die Hamburger CDU es nicht, das verlorene bürgerliche Lager für sich zurückzugewinnen. Warum eigentlich nicht?

Trepoll : Scholz hat ja in gewisser Weise bürgerliche Werte mit seinem Mantra vom ordentlichen Regieren verkörpert. Das war auch eine Antwort auf Versäumnisse, die wir in schwarz-grünen Zeiten begangen haben. Aber das funktioniert jetzt nicht mehr. Wir wollen die CDU als bürgerliche Kraft wieder stärken. Unser Plan für diese Legislaturperiode sieht so aus, dass wir am Ende inhaltlich und personell eine Alternative zum Senat darstellen.

Geht es denn so weit, dass Sie auch schon mal eine personelle Perspektive eröffnen?

Trepoll (lacht): Meinen Sie, dass es bei unseren jetzigen Umfragewerten eine gute Idee wäre, jetzt schon einen Bürgermeisterkandidaten auszurufen? Nein, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.

Und jetzt kommt auch noch die AfD, die dank der Flüchtlinge einen ungemeinen Zuspruch erlebt und ihnen damit die Wähler am rechten Rand abgräbt.

Trepoll : Nicht nur uns, würde ich sagen. Die AfD kanalisiert den Protest. Aber die Partei hat nur dieses eine Thema. Die Zustimmung zur AfD wird rapide schwinden, wenn wir das Flüchtlingsproblem in den Griff bekommen.

Die CDU kritisiert den rot-grünen Senat dafür, dass er die Flüchtlingszahlen mit 40.000 zusätzlich für dieses Jahr zu hoch einschätzt. Was macht Sie so sicher, dass weniger kommen?

Trepoll : Es ist grundsätzlicher Wille der Koalition auf Bundesebene, dass die Flüchtlingszahlen dieses Jahr deutlich gesenkt werden sollen. Der Senat sagt, er geht für 2016 von mindestens gleich hohen Zahlen wie 2015 aus. Beides passt nicht zusammen, und das müssen wir deutlich machen.

Ein fraktionsübergreifendes Bekenntnis auf Bundesebene, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, reduziert die Flüchtlingszahlen aber noch nicht.

Trepoll : Wenn uns die Krise im vergangenen Jahr eines gelehrt hat, dann, dass sich die Zahlen immer wieder verändert haben. Deswegen finde ich den Weg des Senats falsch, insbesondere dann, wenn es um die langfristigen Strukturen geht. Die von Rot-Grün geplanten 5600 Wohnungen stehen für 100 Jahre. Und es wird dort keine Durchmischung nach zehn oder 15 Jahren geben, sondern neue Probleme der sozialen Spannung und mangelnden Integration. Paris und Brüssel mit ihren Gettos sind da warnende Beispiele.

Wenn das 5600-Express-Wohnungsprogramm nicht käme, wie Sie fordern, dann dauert es ja ungleich länger, Unterkünfte zu bauen.

Trepoll : Ja, bei unseren Vorschlägen wird es länger dauern. Aber wir müssen uns diese Zeit nehmen, weil es Entscheidungen sind, die mehrere Jahrzehnte betreffen. Das wird anstrengender und kann zu Protesten an anderen Orten führen. Aber es werden weniger sein als jetzt.

Dann müssen Flüchtlinge bis dahin länger in Zelten und Baumärkten untergebracht werden.

Trepoll : Grundsätzlich müssen wir die Menschen vernünftig unterbringen. Baumärkte sind keine Dauerlösung, für eine gewisse Zeit ist das aber hinnehmbar.

Die CDU unterstützt im Prinzip die neue Volksinitiative gegen Großunterkünfte. Hoffen Sie, den Volkszorn in Wählerstimmen für die CDU umzuwandeln zu können?

Trepoll : Da die nächste Wahl erst in vier Jahren ist, wäre das ja ein wenig kurzfristig gedacht. Ich finde es richtig, dass die Initiativen sagen, was sie planen, und zwar während das parlamentarische Verfahren noch läuft. Wenn SPD und Grüne an ihrem kompromisslosen Basta-Kurs festhalten, werden wir die Volksinitiative unterstützen.

Haben Sie die Sorge, dass Rechtsextreme auf die Volksinitiative aufspringen?

Trepoll : Nein, die habe ich nicht. Die Initiative hat sich ja auch sehr deutlich von der AfD distanziert.

So weit dazu, wie Hamburg die Flüchtlingskrise bewältigen kann. Zuwanderung regulieren kann eine Landesregierung allerdings nicht. Was sollte die Bundesregierung in diesem Zusammenhang tun?

Trepoll : Es ist völlig klar, dass wir die Zahl der Flüchtlinge aus dem vergangenen Jahr nicht noch einmal verkraften können. Wir als CDU-Bürgerschaftsfraktion sind stets bei dem Kurs von Angela Merkel gewesen, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Dafür hat sie viel getan und tut es weiter, etwa Mitte Fe­bruar auf dem EU-Gipfel. Bis Anfang März sollten wir Klarheit haben, ob die Maßnahmen wirken. Wenn der europäische Weg keine Früchte trägt, dann müssen wir auch zu nationalen Maßnahmen bereit sein.

Welche könnten das sein?

Trepoll : Das liegt auf der Hand: Grenzkontrollen. Wir müssen dann Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat kommen. Das ist ein deutliches Signal, damit sich nicht immer mehr Menschen auf den Weg über den Balkan und Österreich zu uns machen.

Das löst das Problem ja noch nicht.

Trepoll : Langfristig gehört dazu, dass die Türkei zum sicheren Herkunftsland erklärt wird. Natürlich kennt das Asylrecht keine Obergrenze, aber Einwanderung muss eine europäische Obergrenze kennen. Die meisten Menschen, die aus Syrien und Afghanistan kommen, bekommen keinen Asylschutz, sondern Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Und die
sagt, dass Menschen am besten heimatnah untergebracht werden sollen, damit eine schnellere Rückkehr möglich ist. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass es für alle Flüchtlinge das Beste ist, nach Deutschland zu kommen.

Das verschärft ja noch einmal die Frage nach der Obergrenze.

Trepoll : Dafür brauchen wir eine wirkliche europäische Lösung. Ich denke, dass man eine Million Menschen pro Jahr in Europa aufnehmen könnte, die dann nach Größe und Wirtschaftskraft auf die EU-Länder verteilt werden. Das wären für Deutschland dann maximal 250.000 Personen.

Wie soll man das organisieren?

Trepoll : Man könnte Asylzentren beispielsweise rund um Syrien und entlang der Flüchtlingsroute einrichten, um die Verfahren vorzulagern. Also in der Türkei, Libanon und Jordanien. Bisher kann man Asyl nur auf deutschem Boden beantragen. Wem Asyl zusteht, der kann dann nach Deutschland kommen. So bekämpfen wir Schleuserkriminalität und machen die gefährliche Flucht über das Mittelmeer überflüssig. Bürgerkriegsflüchtlinge müssen gerecht über Europa verteilt werden.

Der Knackpunkt: Die EU-Staaten sind zu einer solchen Regelung nicht bereit.

Trepoll : Das stimmt. Deshalb sollte Deutschland mit einigen Staaten, die dazu bereit sind, vorangehen und die übrigen EU-Mitglieder überzeugen, insbesondere die osteuropäischen Staaten.