Hamburg. Sozial- und der Innenbehörde rechnet mit anhaltendem Flüchtlingsstrom. Stadt will rechtliche Klarheit bei umstrittenen Unterkünften.
Im Streit um die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften in Klein Borstel und Lemsahl-Mellingstedt setzt Hamburg auf eine gerichtliche Entscheidung. „Wir benötigen jetzt Rechtssicherheit“, sagte Innenstaatsrat Bernd Krösser in einem Gespräch mit dem Abendblatt. „Wenn die Gerichte die neuen Bauvorschriften für anwendbar erklären, dann können wir die benötigten Unterkünfte entsprechend auch an anderen Stellen der Stadt bauen.“
Entscheidung über Klein Borstel und Lemsahl-Mellingstedt in den nächsten Tagen
Hintergrund sind zwei laufende Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hamburg gegen Pläne der Stadt, in Klein Borstel eine Unterkunft für 700 Flüchtlinge und in Lemsahl-Mellingstedt für bis zu 950 Asylbewerber zu errichten. In beiden Fällen lehnen Anwohner nicht grundsätzlich eine Flüchtlingsunterkunft ab, sondern wehren sich gegen deren Größe. Eine Entscheidung der Verwaltungsrichter wird in den nächsten Tagen erwartet.
Leitartikel: 40.000 Flüchtlinge?
Die Frage, ob ein Vergleich zwischen den beiden Rechtsparteien sinnvoll wäre, stelle sich nicht, sagte Krösser. „Ein Vergleich würde bedeuten, dass das Gericht nicht entscheidet“, so Krösser. „Damit bekommen wir aber keine Klarheit über dessen Rechtsauffassung. Wir benötigen aber auch für andere Standorte eine juristische Klarstellung. Wir brauchen also die Entscheidung der Richter, ob wir bauen dürfen, ob nicht oder unter welchen Einschränkungen.“
Krösser ließ offen, ob die Stadt – dann im Hauptsacheverfahren – im Falle einer Niederlage bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gehen würde. Allerdings würde eine für die Stadt negative Gerichtsentscheidung in der Konsequenz bedeuten, dass innerhalb Hamburgs andere Standorte für Flüchtlingsunterkünfte gesucht werden müssten.
22.300 Flüchtlinge mussten 2015 in Hamburg untergebracht werden
Sozialstaatsrat Jan Pörksen verwies darauf, dass nach Berechnungen von Sozial- und Innenbehörde in diesem Jahr rund 40.000 Unterkunftsplätze für Flüchtlinge geschaffen werden müssten. Das bedeute in etwa, dass Ende dieses Jahres doppelt so viele Flüchtlinge in Hamburg untergebracht werden müssen wie Ende 2015.
Abendblatt-Aufruf: Vorschläge zur Lösung der Flüchtlingskrise gesucht
Offiziellen Zahlen zufolge kamen im vergangenen Jahr rund 65.000 Asylbewerber in der Hansestadt an. Rund 22.300 wurden aufgrund des Königsteiner Schlüssels Hamburg zugewiesen und müssen hier über längere Zeit untergebracht und versorgt werden. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Karin Prien, hatte Zweifel an den Hochrechnungen des Senats geäußert. Union und SPD im Bund unternähmen alles Mögliche, damit weniger Flüchtlinge nach Deutschland kämen.
Keiner geht vom Abriss des Flüchtlingsstroms aus
Laut Pörksen sind Prognosen jedoch stets schwierig. „Natürlich ist in allen Bundesländern die Hoffnung da, dass die Zahl der flüchtenden Menschen geringer wird.“ Allerdings gehe keine Landesregierung davon aus, dass der Flüchtlingsstrom kurzfristig abreißen werde. „Auch deshalb haben wir keine Alternative als für unsere Planungen die Durchschnittszahlen von August bis Dezember des vergangenen Jahres zur Grundlage zu nehmen.“
Der Sozialstaatsrat erläuterte, wie man auf 40.000 neu zu schaffende Plätze gekommen sei: „Wir rechnen im Durchschnitt damit, dass Hamburg jeden Monat für rund 3000 Flüchtlinge Unterkünfte schaffen muss. Das sind jährlich 36.000 Menschen, die ein Dach über dem Kopf benötigen.“ Davon würden rund 4500 Personen abgezogen, weil Flüchtlinge entweder bei Verwandten untergekommen seien oder abgeschoben würden.
Einreisezentrum für Flüchtlinge kommt später
Verträge mit Eigentümer bestehender Flüchtlingsunterkünfte laufen im Sommer aus
Die Zahl der tatsächlich vorzuhaltenden Plätze müsse höher ausfallen, da erfahrungsgemäß fünf bis zehn Prozent der vorhandenen Plätze nicht belegt werden könnten, sagte Pörksen. „Einer fünfköpfigen Familie mit kleinen Kindern ist es nicht zuzumuten, mit einem allein reisenden Mann in einem Zimmer zu wohnen, nur weil dort sechs Betten vorgesehen sind.“ Zudem müssten temporäre Plätze für jene Flüchtlinge vorgehalten werden, die sich in Hamburg bei den Behörden registrieren lassen, dann aber auf andere Bundesländer verteilt würden.
Zudem verwies Pörksen darauf, dass derzeit rund 7000 Flüchtlinge in sogenannten prekären Unterkünften leben müssten. Das seien Baumärkte, Hallen oder beheizte Bundeswehrzelte. Des Weiteren liefen bei einigen bestehenden Unterkünften Verträge aus. Sie müssten ersetzt werden. „Sollten im Verlaufe des Sommers die Flüchtlingszahlen tatsächlich sinken, werden wir diese Entwicklung auch nutzen, um Unterkünfte wie Baumärkte, Hallen oder Zelte zu räumen“, sagte der Sozialstaatsrat weiter.