Hamburg. Der Zeichner Christoph Niemann zeigt im Museum für Kunst und Gewerbe seine hintergründigen und humorvollen Werke.

Den schnellen Lacher und die mittelschnelle Träne – das kriegt Christoph Niemann „mit links“ hin, wie man so schön sagt. Der Zeichner und Illustrator ist aber deshalb international so gefragt, weil er nicht das Schnellste will, sondern das Beste. Er entwirft Cartoons, Titelbilder, Illustrationen, arbeitet für den „New Yorker“, für die „Times“, das „Zeit“- und das „Time“-Magazin oder die „Weltkunst“. Und er hat eine App entwickelt, über die Kinder mit den eigenen Fingern die von ihm gezeichneten Tiere zum Kopfstand animieren oder zusammenfalten können. Das Museum für Kunst und Gewerbe widmet dem gewitzten Zeichner nun eine Ausstellung, die man getrost als Spaß für die ganze Familie deklarieren kann. Und das vor allem, weil er ein gutes Gefühl entwickelt für den schmalen Grat zwischen Alltagsbeobachtung und Hintersinn.

Es ist wie das Streuen von Brotkrümeln für Hänsel und Gretel

Christoph Niemann 1970 geboren, ist Illustrator, Grafiker und Buchautor
Christoph Niemann 1970 geboren, ist Illustrator, Grafiker und Buchautor © Michaela Hille | Michaela Hille

Um die fünf Meter hohe Wand am Anfang des Ausstellungsraumes zu gestalten, ist Christoph Niemann erst mal auf eine Leiter gestiegen. Gezeichnet hat er ein Ungetüm aus Röhren, Schrauben, Messgeräten und Kolben. Rechts daneben steht der überforderte Herr Professor im weißen Kittel mit seiner Tasse am Maschinenhahn – er will doch nur einen Kaffee trinken! „Aber“, so der Zeichner, „unsere moderne Kaffeekultur braucht ja mittlerweile eine industrielle Anstrengung!“

Schon ist der Besucher mittendrin im Universum des Christoph Niemann, der selten nach Auftrag arbeitet, sondern seine Geschichten meistens selber ersinnt und anbietet. „Die Erschaffung der Welt“ zum Beispiel hat er als Fotoroman mit Plätzchenteig nachgestellt – ansonsten sieht er seinen Job oft so wie das Streuen von Brotkrümeln für Hänsel und Gretel, die den Weg im Wald weisen, auch wenn das Gestrüpp mal dicht ist. Er verfügt über eine große Stilvielfalt, von der eleganten farbigen Zeichnung im Retro-Stil der 1920er- und 1950er-Jahre über schlichte Cartoons, die manchmal an E. O. Plauen erinnern, Collagen, Siebdrucke bis zum abstrakten New-York-Porträt aus Legosteinen, auf dem die Freiheitsstatue aus genau drei solchen Steinen besteht.

Eine Rolle Klopapier dient als Geschoss eines Panzers

Gummibärchen im Kopf, Pipette als Schnabel – „Sunday Sketches“ von Christoph Niemann
Gummibärchen im Kopf, Pipette als Schnabel – „Sunday Sketches“ von Christoph Niemann © © Christoph Niemann | © Christoph Niemann

Für das Unbehagen im Flugzeug hat er eine Bildergeschichte gezeichnet, die mit dem Erringen der Hoheit über die Armlehne beginnt und beim steil die Haare nach hinten reißenden Händetrockner einen ihrer Höhepunkte hat. Niemann zählt sich zu den wahren Gummibärchen-Liebhabern, die wissen, dass sie sowieso nicht nach einer halben Tüte haltmachen, sondern alles aufessen, bis ihnen schlecht wird. Daraus macht er eine Bildergeschichte, so witzig, dass man dauernd lachen muss, mit aus grünen Bären gebasteltem Krokodil, das den Menschen langsam ausspuckt, und einem Schiffbrüchigen, der das letzte gelbe Gummibärchen auf Knien anfleht, zurück auf seine Insel zu kommen.

Wie bei einem guten Regisseur gehe es darum, sich die eigene Eitelkeit zu verkneifen und „die Welt so hinzulegen, dass sie absolut natürlich und glaubhaft erscheint“. Die Aphorismen von Erich Kästner zu illustrieren, worum man ihn gebeten hatte, war für Niemann ein Ding der Unmöglichkeit, denn „auf 100 Prozent kann man nichts mehr draufsetzen“. Also hat er sich darauf verlegt, persönliche Notizen zu diesen Texten zu zeichnen.

„Es ist wichtig, dass man als Zeichner ständig sein eigenes Vokabular hinterfragt“, sagt Niemann. Um dessen Grenzen auszureizen und gewohnte Pfade erst gar nicht zu betreten, startete er ein Experiment, aus dem eine seiner schönsten Serien wurde, die Sunday Sketches. Ergebnisoffen fing er mit irgendeinem Alltagsgegenstand an, zum Beispiel einem Paar wurstförmig ineinandergesteckten Socken. „Irgendwann habe ich einen Dinosaurier drum herum gemalt!“ Aus einer Rolle Klopapier wurde das Geschoss für einen bedrohlich anrollenden Panzer, aus Anspitzerdreck eine Blume, zwei Pflasterrollen formten die Reifen eines Fahrrades und ein umgedrehtes Mohnbrötchen das Stoppelkinn, das sogleich rasiert wird.

Christoph Niemann, „Unterm Strich“ Ausstellung bis 20. April. Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz. Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 12, erm. 8 Euro