Hamburg. Dat Backhus ist mit 120 Filialen in der Metropolregion Hamburgs größte Kette. Pro Tag werden 200.000 Brötchen hergestellt. Besuch in der Nachtschicht.
Es ist früh am Morgen um 4.50 Uhr. In der Produktion von Dat Backhus an der Billstraße wirft eine Maschine namens Langwirker Laugenstangen auf das Laufband. Kay Soltau greift einen Teigrohling und wirbelt ihn in einer Schleifenbewegung durch die Luft. Blitzschnell formt der 53-Jährige eine Brezel und legt sie auf ein Metallgestell. Immer 20 Stück packt der Bäckergeselle auf den sogenannten Abzieher, dann kommt das nächste Metallgestell dran. Insgesamt 2000 Brezeln wird Soltau mit drei Kollegen in dieser Nacht herstellen. Bis sie den Weg in eine Filiale und dort in die Tüte eines Kunden finden, wird es aber noch ein wenig dauern.
„Wir fangen jetzt an, für den nächsten Tag zu produzieren“, sagt Dat-Backhus-Geschäftsführer Dirk Brinkhege. „Bei uns bekommt der Teig die Zeit zu ruhen.“ Einige Teige werden sogar 48 Stunden vor dem Backen angesetzt. „Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Handwerk und Industrie. Wir produzieren alles zu 100 Prozent bei uns, kaufen keine fertige Ware hinzu. Was sie heute bei uns kaufen, haben wir heute gebacken.“ Die mit 120 Filialen in der Metropolregion größte Bäckereikette versteht sich als Handwerksbetrieb, der in den vergangenen Jahren die Konkurrenz der Discounter spürte.
Seit Aldi, Lidl und Co. vor gut drei Jahren anfingen, Backstationen in ihren Läden aufzustellen und Brötchen zu Kampfpreisen für 15 Cent anzubieten, seien weniger Brot und Brötchen verkauft worden. „Weil wir mehr Einnahmen im Gastrobereich erzielt haben, ist der Umsatz insgesamt stabil geblieben“, sagt Thorsten Knoop, der Dat Backhus zusammen mit Brinkhege als Geschäftsführer leitet. Verantwortlich dafür sei weniger der Preis als vielmehr das Einkaufsverhalten, sagt der 47 Jahre alte gelernte Kaufmann. Der Kunde müsse nach dem Einkauf beim Discounter nicht erneut einen Parkplatz suchen und sich in eine weitere Schlange beim Bäcker einreihen. Geschmacklich sei die Discounterware frisch aufgebacken durchaus in Ordnung, büße nach der Abkühlung aber schnell an Qualität ein. Ob die Kunden das gemerkt haben, ist offen. Aber Knoop stellt voller Freude fest: „Seit einem halben Jahr zieht der Absatz bei unseren Backwaren monatlich wieder um drei bis fünf Prozent an.“
Jeder deutsche Haushalt isst pro Jahr 62 Kilogramm Brot und Brötchen
Backwaren sind in der deutschen Esskultur fest verankert. Im Jahr 2013 kauften von 1000 Haushalten 988 mindestens ein Brot, ergab eine Studie im Auftrag des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks. Bei 62 Kilogramm liegt der Verbrauch von Brot und Brötchen im Jahr pro Haushalt. Die Zahl der Betriebe ist dabei seit sechs Jahrzehnten rückläufig. Von rund 55.000 Unternehmen im alten Bundesgebiet sank sie auf zuletzt 13.171 Betriebe auf dem heutigen Bundesgebiet. Die Branche beschäftigt 283.800 Mitarbeiter und erzielte einen Umsatz von 13,18 Milliarden Euro. Das war ein leichtes Plus im Vergleich zum Vorjahr.
Zurück in die Produktion: Ein paar Meter entfernt von Brezelbäcker Soltau rangiert in einem anderen Raum Peter Grzybowski einen großen, runden Metallbehälter unter einen Trichter. Als Teigmacher bezeichnet sich der 48-Jährige und zeigt voller Leidenschaft seine Aufgaben. Sonnenkrüstchen soll er herstellen. Einige Zutaten wie Quark, Sonnenblumenkerne, Haferflocken, Hartweizengrieß und Salz sind schon im Gefäß. Der Bäckergeselle geht zu einem Touchscreen, tippt auf den Bildschirm. „Alle Rezepte sind digitalisiert“, sagt er. Er drückt auf das Feld mit Mehl. Im Trichter der Maschine befindet sich eine Waage, die die voreingestellte Menge abmisst und in den Behälter hineinfallen lässt. Grzybowski geht zur Wand. Per Knopfdruck gibt er Eis hinzu. „Die Körner wurden einige Stunden heiß eingeweicht, weil sie sonst beim Backen zu hart werden“, sagt er. Die heißen Körner müssen nun mit Eis abgekühlt werden. Schließlich seien für Teige Temperaturen zwischen 24 und 25 Grad Celsius am besten. Schon ein Grad Abweichung wirke sich negativ auf die Qualität aus.
Grzybowski misst Hefe und Backmittel ab und packt die beiden Zutaten zum Abschluss in das Metallgefäß, das auf einer Waage im Fußboden steht. 287 Kilogramm zeigt die Digitalanzeige an. Er rollt die Zutaten unter einen Teigkneter. Zwölf Minuten bearbeitet der Kneter den Teig, erst langsam, dann intensiv. „Die Maschine knetet den Brötchenteig am besten. Das ist in der Qualität von Hand nicht möglich“, sagt der 44 Jahre alte Brinkhege, der das Handwerk selbst gelernt hat und Bäckergeselle ist. Für einige Minuten ruht der Teig anschließend. Das passt, denn der König ist noch besetzt. Die Auflösung folgt später.
Dass der Kunde König ist, gilt natürlich auch bei Dat Backhus. So hat das Unternehmen an einer Tradition des langjährigen Inhabers Heinz Bräuer festgehalten, der vor gut zwei Jahren aus Altersgründen seine Anteile an Bartels-Langness veräußerte. Das Kieler Familienunternehmen ist beispielsweise bekannt durch seine 82 Famila-Supermärkte, mehr als 30 Markant-Märkte, Das Futterhaus und die Bäckerei Steiskal. Bräuer führte den Verkauf von einzelnen Scheiben Brot ein. 4,90 Euro kostet das Kilogramm, dafür kann man auch nur jeweils eine Scheibe jeder Sorte nehmen. Mehr als 30 verschiedene Brote sind heute insgesamt im Sortiment der 1936 von Heinz Bräuers Vater Emil gegründeten Unternehmens. „Auch die Hamburger werden immer älter, zudem gibt es viele Singlehaushalte, die geringere Mengen brauchen“, sagt Knoop. Deutschlandweit sei man die einzige Kette, die den Service in diesem Umfang anböte.
Einem Branchentrend folgen auch die Rothenburgsorter. Sie bauen den Gastronomiebereich aus. Beispielsweise bietet die Schanzenbäckerei, deren Chef Gürol Gür übrigens bei den Bräuers in die Lehre ging, in ihren Filialen auch Pizza und Pasta an. Und das Lübecker Familienunternehmen Junge macht mittlerweile fast die Hälfte des Umsatzes mit Kaffee, Rührei, belegten Brötchen und Salaten. Knoop sagt allerdings: „Wir wollen immer der Brot- und Brötchenbäcker sein.“ Rund drei Viertel des Umsatzes in einem hohen zweistelligen Millionenbereich – genaue Angaben macht das Unternehmen traditionell nicht – stammen aus dem Verkauf von Backwaren.
In der Produktion leistet der König unterdessen ganze Arbeit. König nennen die Mitarbeiter die Maschine, auf der die Brötchen in Form kommen. Momentan produziert der König – der seinen royalen Namen ganz profan dem gleichnamigen Hersteller verdankt – noch Knackfrische. „Die Sternwalze kneift den Teig ab, so wie es der Bäcker auch von Hand machen würde“, sagt Produktionsleiter Olaf Fischer. Dann wird der Teig in lange Bahnen gezogen und in mehreren Schichten übereinandergelegt. Zum Schluss werden die Knackfrischen geschnitten und gestempelt – sie erhalten ihr Muster.
In der Spitze 95.000 Knackfrische stellt die Firma pro Tag her. Körnerbrötchen bekommen vom König noch eine Wasserdusche verpasst und werden mit den entsprechenden Saaten bestreut. „Jetzt beginnt die Entwicklung des Geschmacks“, sagt der 55 Jahre alte Fischer. In der „warmen Kälte“ bei drei bis fünf Grad werden die Brötchen gelagert, sagt der Bäckermeister: „Die Geschwindigkeit der Hefereifung wird durch die warme Kälte gebremst.“
Auf der Bremse steht das Unternehmen derzeit bezüglich der Expansion. „Unsere Produktion platzt aus allen Nähten“, sagt Brinkhege. Fast jeder Zentimeter wird als Stellfläche gebraucht. Von 15 bis 18 Uhr säubern Mitarbeiter die Räume, ansonsten laufen Maschinen und Produktion rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche. Daher blieb die Zahl der Filialen mit 120 zuletzt konstant. Allerdings wurden kleinere, unrentablere Standorte geschlossen und im Gegenzug neue lukrativere geöffnet. Ende April soll in Rosengarten in einem Gewerbegebiet ein Geschäft mit einem 200 Quadratmeter großen Café eröffnen.
Etwas Neues planen die Geschäftsführer auch für die Produktion. Mittelfristig suchen Knoop und Brinkhege nach einem neuen Standort. Spätestens 2019 soll das seit den 1990er-Jahren angemietete Werk an der Billstraße Geschichte sein. Knoop rechnet mit Kosten von mehr als 20 Millionen Euro, die die Gesellschafter und Banken aufbringen sollen. Die neue Produktion solle so gläsern wie möglich sein, ergänzt Brinkhege.
Gespräche mit der Hansestadt über ein geeignetes Grundstück liefen bereits. „Die Stadt hat Interesse daran, dass die Arbeitsplätze in Hamburg bleiben. Schließlich zahlen wir vernünftig, tariflich und ohne Tricks“, sagt Knoop. Insgesamt beschäftigt Dat Backhus 1200 Mitarbeiter, ein Bäckergeselle bekomme beispielsweise nach fünf Jahren einen Grundlohn von 2400 Euro brutto – zuzüglich Feiertags- und Nachtzuschläge.
Die heutige Nachtschicht neigt sich dem Ende zu. Wuselig geht es im Versand zu. „Hier kommt alles an fertigen Broten und Brötchen an“, sagt Brinkhege. Es sind enorme Stückzahlen. Die insgesamt 180 Mitarbeiter in der Produktion stellen jeden Tag 200.000 Brötchen her – am Wochenende sind es sogar eine Viertelmillion Rundstücke. Dazu kommen noch 15.000 bis 18.000 Brote. Von der Decke hängen LED-Displays herab, auf denen die Filialbezeichnung steht. Darunter stapeln sich die typischen roten und schwarzen Bäckereikisten aus Plastik. Bis zu 300 Kisten à 20 Brötchen werden morgens in ein Geschäft gefahren. Die umsatzstärksten Läden liegen in der Hafencity und an der Waitzstraße in Groß Flottbek. Mehr als eine Million Euro erlösen diese Märkte im Jahr.
42 Lieferwagen fahren die Waren im Umkreis von 40 Kilometern aus
Ungefähr jedes fünfte Produkt wird an 430 externe Kunden geliefert, zu denen viele bekannte Hamburger Firmen, Hotels, Krankenhäuser und Pflegeheime gehören. „Das Computersystem weiß, wann welcher Kunde die Ware spätestens braucht“, sagt Brinkhege und sieht zu, wie sich ein Fahrer einen Kistenstapel schnappt. 40 bis 50 Sorten Kuchen und Feingebäck werden im ersten Stock produziert und eingeladen. Torten, Sahneteile und Marzipanfiguren kommen aus der 1997 übernommenen Bergedorfer Konditorei Erdmann. Die 42 Autos sind im Umkreis von 40 Kilometern unterwegs, bis nach Buchholz im Süden, Geesthacht im Osten, Kaltenkirchen im Norden sowie Pinneberg und Wedel im Westen. Knoop: „Hamburg wird unser Kerngebiet bleiben. Nach einem Umzug hätten wir aber die Möglichkeit zu wachsen.“
Nach 18 Stunden in der Tiefkühlung haben auch die Laugenbrezeln diese Chance. Erst geht es in den Garschrank, dann fährt der Teig auf einem Gitterband entlang und wird mit Lauge abgeduscht. Die Bleche werden übereinander in einen Metallwagen geschoben, der komplett in einen der 30 sogenannten Wagenöfen geschoben wird. 20 Minuten verbringt die Brezel bei 220 Grad Celsius im Ofen, bis sie aufgegangen und fertig ist. Dieser Vorgang soll künftig verstärkt in den Filialen erfolgen, sagt Brinkhege: „Wenn die Lauge im Laden gebacken wird, ist es für den Geschmack perfekt. Schließlich schmeckt sie ganz frisch am besten.“