Hamburg. Trotz hoher Qualität: Regisseur Lars Becker erklärt, warum es deutsche Krimistoffe so gut wie nie auf die große Leinwand schaffen.

Drei-Tage-Bart, ungepflegte Haare, abgeranzte Lederjacke, abweisender Blick. Erich Kessel entspricht nicht gerade dem Polizei-Slogan „Dein Freund und Helfer“. Er ist Kommissar bei der Hamburger Kripo, ein Junkie als Drogenfahnder. Sein Partner Mario Diller hat zwar mit Kokain nichts am Hut, aber er deckt Kessel, denn die beiden sind seit Jahren Buddys. Kessel und Diller sind Figuren aus zwei Polizeifilmen von Lars Becker.

„Unter Feinden“ und „Zum Sterben zu früh“ sind düstere Streifen über korrupte Beamte, die ihre Macht missbrauchen, Straftaten begehen und vertuschen. Beide Filme hat Becker für das Fernsehen gedreht. Für „Zum Sterben zu früh“ wurde der Hamburger Regisseur gerade mit dem Deutschen Fernsehpreis geehrt. Trotz der Freude über die Auszeichnung sagt Becker: „Im Kino finden deutsche Polizeifilme leider nicht statt.“ Sein letzter Kinostreifen, der zum Subgenre des Polizeifilms zählt, liegt schon 20 Jahre zurück: 1995 drehte er „Bunte Hunde“ mit Peter Lohmeyer, Til Schweiger und Christian Redl in den Hauptrollen.

Deutsche Polizeifilme sind auf großer Leinwand – mit Ausnahme einiger Vorführungen bei Festivals – nicht zu sehen, sie sind Stoff für den Fernsehzuschauer. Der Sonntag mit den Reihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ ist ein traditioneller Krimi-Fernsehtag, und zwar für die ganze Familie. Viele jüngere Zuschauer sehen die 90-Minüter allerdings nicht daheim, sondern verfolgen sie gemeinsam mit anderen Krimi-Fans in diversen Kneipen.

Viele Verleiher wollen auf Nummer sicher gehen

Lars Becker bescheinigt vielen dieser Krimis eine hohe Qualität. Er freut sich, selbst regelmäßig fürs Fernsehen arbeiten zu können. Seine im ZDF ausgestrahlte „Nachtschicht“ mit Armin Rohde und Barbara Auer in den Hauptrollen hat sich als populäre Reihe eta­bliert. Doch es juckt ihm in den Fingern, wieder einmal fürs Kino zu arbeiten. Aber der Weg auf die Leinwand ist schwierig geworden.

„Früher hat man sich mit einer Idee oder einem Drehbuch an die Förderanstalten gewandt, Filmförderung beantragt und später einen Filmverleih gesucht. Heute bekommt man kein Fördergeld mehr, wenn man nicht bereits einen Verleiher mit im Boot hat.“

Regisseur Lars Becker bei Dreharbeiten auf St. Pauli
Regisseur Lars Becker bei Dreharbeiten auf St. Pauli © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Doch die meisten Verleihfirmen gehen auf Nummer sicher und beteiligen sich vor allem an Komödien: Til Schweiger, Matthias Schweighöfer und „Bully“ Herbig sind Garanten für volle Säle. Es werde immer schwieriger, sagt Becker, den Verleihern zu vermitteln, dass man ein Drehbuch mit einem ungewöhnlichen Plot habe und die Geschichte auf ebenso ungewöhnliche Weise erzählen wolle. Ein Handicap sei auch, dass viele Entscheider, was dieses Genre betrifft, US-Produktionen grundsätzlich höher einschätzen.

Polizeifilme laufen durchaus in den deutschen Kinos, doch sie kommen aus den USA, Frankreich und Skandinavien. Bis zu Fritz Langs „Heißes Eisen“ (USA 1953) reicht die Reihe dieser Kinoproduktionen zurück, in denen die Arbeit der Polizei in den Mittelpunkt gestellt wird. Aus den USA kamen so populäre Filme wie „Dirty Harry“ mit Clint Eastwood, „French Connection“ mit Gene Hackman, „Serpico“ mit Al Pacino und später Blockbuster wie „L.A. Confidential“, „Departed“ und „Training Day“. Auch in Frankreich hat dieses Genre eine lange Tradition, die mit den Werken von Jean-Pierre Melville und Schauspielern wie Lino Ventura, Alain Delon und Philippe Noiret verbunden wird.

Neuer Deutscher Film: nicht interessiert an Krimis

Lars Becker erklärt das deutsche Kinokrimi-Problem historisch: „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kinolandschaft in Deutschland neu aufgebaut. Der Schwerpunkt lag auf Unterhaltung, auf Komödien, in denen zum Beispiel Theo Lingen, Heinz Erhardt und Heinz Rühmann mitspielten, oder auf kitschigen Heimatfilmen.

Ganz wenige Filme transportieren eine kritische Haltung wie etwa ,Die Brücke‘. Kino hat damals niemandem wehgetan.“ Der Neue Deutsche Film nach 1968 mit Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Volker Schlöndorff und Werner Herzog war zwar hoch politisch, aber an einer Wiederbelebung von Genrefilmen wie dem Krimi seien diese Autorenfilmer nicht interessiert gewesen.

Und auch diese kreative Hochphase des deutschen Films inklusive internationaler Beachtung verlor sich nach Fassbinders Tod im Jahr 1982 mehr und mehr. „Eine Weiterentwicklung des Kinos hat nicht stattgefunden“, sagt Becker. „Die Verleiher haben vor allem auf kommerzielle Filme und Komödien gesetzt.“ Mit 6,5 Millionen Zuschauern war die Verwechslungskomödie „Der bewegte Mann“ (mit Til Schweiger, Joachim Król, Katja Riemann) 1994 einer der erfolgreichsten Filme in Deutschland. Ein Trend, der sich bis heute fortgesetzt hat.

Eigentlich sind die Filme von Lars Becker für das Fernsehen viel zu düster

Von der Kritik wird Regisseuren wie Lars Becker und auch Dominik Graf immer wieder bescheinigt, dass ihre Filme hohes Kino-Niveau besitzen. „Unter Feinden“ und „Zum Sterben zu früh“ wurden sogar mit Melvilles kühlen Polizei-Thrillern und dem amerikanischen „Film noir“ verglichen. „Wenn ich die Filme fürs Kino gemacht hätte, würden sie sich von der Fernsehfassung kaum unterscheiden“, sagt Becker und macht damit seinen kinonahen ästhetischen Ansatz deutlich. Eigentlich sind seine Filme für das Fernsehen zu düster, seine Figuren befinden sich in einem Zustand der Selbstauflösung, eine heile Welt existiert nicht.

Eine von Beckers aktuellen Arbeiten läuft demnächst wieder im Fernsehen: Am 1. Februar zeigt das ZDF die nächste „Nachtschicht“ mit dem Titel „Der letzte Job“. Es ist seit 2003 bereits sein 13. Film in dieser Reihe. Den Traum von den nächsten Kinoproduktionen hat Lars Becker noch nicht aufgegeben. Er treibt gerade zwei Kinoprojekte voran, Details kann er noch nicht verraten. „Ich bin aber zuversichtlich“, sagt er. Immerhin.

„Nachtschicht – Der letzte Job“
Mo 1.2., 20.15 Uhr, ZDF