Hamburg. Benjamin Appl singt in der Laeiszhalle beim „Rising Stars“-Festival. Er präsentiert dabei die Vertonung sehr spezieller Liebesbriefe.

Wenn der hochgewachsene junge Mann im Frack Schuberts Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ singt, dann könnte sich mancher Hörer schon einmal an Dietrich Fischer-Dieskau in dessen frühen Jahren erinnert fühlen. So kultiviert, sinnbewusst und wohlklingend gestaltet der Bariton Benjamin Appl die in ihrer Schlichtheit so anspruchsvollen Lieder. Er hat tatsächlich noch mit dem Jahrhundertsänger, der 2012 starb, arbeiten dürfen.

„Der letzte Schüler Fischer-Dieskaus“ heißt das im PR-Sprech. Appl ist aber auch Schüler des amtierenden Baritonpapstes Christian Gerhaher – und noch manches andere. Der 33-Jährige ist mit Malcolm Martineau und Graham Johnson aufgetreten, beide Liedpianisten der Extraklasse. Er hat an der Berliner Lindenoper, der Münchner Staatsoper und bei bedeutenden Festivals gesungen, er hat mit so illustren Ensembles wie der Akademie für Alte Musik Berlin konzertiert und ist New Generation Artist der BBC.

Mit anderen Worten: ein idealer „Rising Star“ für die Runde hochbegabter und erfolgreicher Nachwuchskünstler, die diese Saison eingeladen ist, in elf Konzerthäusern der ECHO (European Concert Hall Organisation) aufzutreten. Die Elbphilharmonie Konzerte fassen alle sechs Konzerte des Unterfangens zu einem kleinen Festival zusammen, das mittlerweile gleichsam zum festen Inventar des Spielplans gehört. Dieses Mal finden die Konzerte zwischen dem 24. und dem 29. Januar statt, wie immer im Kleinen Saal der Laeiszhalle.

Erst das BWL-Studium, dann der Gesang

Appl ist, das wird beim Gespräch in Hamburg deutlich, trotz aller Ehren geerdet geblieben. „Das mit dem Erfolg sieht von außen oft besser aus als von innen“, sagt er nachdenklich. „Junge Sänger bekommen viele Vorschusslorbeeren. Aber wenn ich mehrfach zu einem Festival eingeladen werde, dann sind die Erwartungen schon deutlich höher. Da muss ich gut auf den Kalender achten. Ich spüre mehr Druck.“

Als Berufssänger hat er sich lange nicht gesehen. Appl stammt aus Regensburg und war, na klar, bei den Domspatzen. Ihnen verdankt er seine, wie er sie nennt, grundmusikalische Ausbildung. Trotzdem entschied er sich nach dem Abitur, erst einmal Betriebswirtschaftslehre zu studieren, und schrieb sich eher nebenher für Gesang ein. Nur dass der Gesang immer mehr Raum einnahm.

Es brauchte einige Zeit, bis sich Appl nach abgeschlossenem BWL-Studium entschied, nach London zu gehen. Zum Singen, wohlgemerkt. Die Wigmore Hall ist ihm inzwischen wohlvertraut, gerade ist er dort noch für seinen Kollegen Luca Pisaroni eingesprungen.

Festival soll paneuropäische Vielfalt zeigen

Und das Barbican Centre hat ihn nicht nur als „Rising Star“ nominiert, sondern auch eine Komposition in Auftrag gegeben. Neben Liedern von Schumann, Schubert und Reynaldo Hahn, Komponist der süffigsten Pariser Musik der Belle Époque, Weltbürger und ehedem Geliebter des Schriftstellers Marcel Proust, werden Appl und sein Klavierpartner James Baillieu den Zyklus „The Last Letter“ aus dem Jahr 2015 aufführen. Nico Muhly hat dafür vier sehr spezielle Liebesbriefe aus Kriegszeiten vertont. Mal geht es um pure sexuelle Gier, mal ist der Ton zynisch und mal, im Angesicht eines Fronteinsatzes, untröstlich gefasst.

Ein Auftragswerk zu präsentieren hat die ECHO mittlerweile zur Bedingung für die Teilnahme an dem hochkarätigen Programm erhoben. Nicht alle Künstler der zurückliegenden Jahrgänge waren daran von sich aus so interessiert wie etwa das für seine Experimentierfreudigkeit bekannte Trio Catch aus Hamburg, das 2016 auf Vorschlag der Elbphilharmonie Konzerte und dreier weiterer deutscher Konzerthäuser dabei ist. Ab diesem Jahr bildet die zeitgenössische Musik einen roten, na ja, vielleicht auch nur rosa Faden in einem Programm, das ansonsten eher kunterbunt als stringent daherkommt.

Das ist natürlich volle Absicht, denn das Festival soll ja gerade die paneuropäische Vielfalt zeigen. Dieses Jahr ist etwa der Harfenist Remy van Kesteren am Start und spielt mit dem Trompeter Eric Vloeimans Jazz und Improvisationen. Die Pianistin Cathy Krier kontrastiert den barocken Franzosen Rameau mit Ravel und Janácek und der noch tintenfeuchten „Toccata capricciosa“ von Wolfgang Rihm. Die Philharmonie de Paris schickt das freche junge Streichquartett Quatuor Zaïde, und die niederländische Cellistin Harriet Krijgh gibt mit der Pianistin Magda Amara einen Sonatenabend.

Die aufstrebenden Sterne spielen nicht nur in der Laeiszhalle, sie gehen auch in die Schulen. Und was es bedeutet, ein „Rising Star“ zu sein, was es mit den Werken auf sich hat, davon erzählen die Künstler jeweils eine Stunde vor dem Konzert beim Podiumsgespräch.

„Rising Stars – Das Festival“ 24. bis 29.1., jeweils 19.30, Laeiszhalle (Kleiner Saal). „Vorgestellt – Das Künstlergespräch“ jeweils 18.30, Karten zu 21,- (erm. 10,50): T. 35 76 66 66