Hamburg. Mezzosopranistin Magdalena Kozena singt am Freitag in der Laeiszhalle. Am Klavier: ihr Mann Sir Simon Rattle.

„Glamour-Paar“, hachgottchen. Bei Fußballern und ihren Saison-Blondinen gibt’s so was gern mal, Hollywood-Schauspieler bekommen PR-Markenzeichen aus ihren Vornamen in die Eheringe graviert. Bei der Mezzosopranistin Magdalena Kozena und ihrem Mann Sir Simon Rattle, dem Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, käme niemand auf den Gedanken, sie „KozRatt“ oder ähnlich albern zu nennen. Gemeinsame Bühnen- und Konzertprojekte finden sich seit Jahren in ihren Kalendern, die so eng getaktet sind, dass Gespräche mit ihnen nur getrennt, telefonisch und in verschiedenen Städten möglich sind.

Gerade erst stand Debussys Märchen-Oper „Pelléas et Mélisande“ an, drittelszenisch von Peter Sellars, einem guten Freund der Rattles, in die Berliner Philharmonie eingepasst. Sie sang, er dirigierte, nichts grundsätzlich Neues für Berlin und die beiden. Aber: Wenn sie, bald in Hamburg, im Zentrum eines feinsinnig gehäkelten Kammermusikprogramms auftritt, und er begleitet als Teamplayer am Rande am Klavier? Da sieht die Sache anders aus.

Diese Familienaufstellung wird demnächst in der Laeiszhalle zu erleben sein, als zweites von vier Konzerten, in denen Kozena als Residenzkünstlerin programmatisch großräumig ihre Vielseitigkeit demonstrieren will. Mit im Boot sind einige Musiker der Berliner Philharmoniker und vom DSO Berlin, aber auch Neville Marriners Sohn Andrew, seit Jahrzehnten mit Rattle befreundet, als Klarinettist. Eigens für diesen Anlass hat sich Kozena Dvoraks „Zigeunermelodien“ um­arrangieren lassen. „Eine kleine Tour mit Freunden, die wir lieben“, nennt Rattle diese All-Star-Band, „the pleasure principle“.

Klassischeres Solo-Liedgut mit Klavierbegleitung war bereits dran, es folgt ein Abend mit der für sie typischen Kontrastbündelung aus später Renaissance mit Berio, einem Klassiker des 20. Jahrhunderts. Auch hier etwas ganz Besonderes: In Monteverdis „Combattimento“ singt Kozena nicht nur die Sopranrolle des Erzählers, sondern übernimmt auch die beiden ­Tenor-Partien. Und als Finale – beim Gedanken daran amüsiert sie sich selbst – ein Retro-Jazz-Abend mit Klassikern des American Songbook von Cole Porter, begleitet vom tschechischen Swing-Hipster Ondrej Havelka und seiner Kapelle. „Ich bin eine Art Off-Broadway-Person“, sagt Kozena zu diesem mächtig bunt gefülltem Spezialitäten-Teller, „sicher könnte ich Rossini-Arien singen oder besser verkaufbares Repertoire bringen, aber für mich ist es nun mal interessanter, so verrückte Programme zu komponieren. Einer muss diese Arbeit doch machen – es gibt so viel wunderbare Musik, die man einfach präsentieren muss.“

Wie schön, wenn diese Herzensangelegenheit direkt in der Künstler-Familie bleibt. Kein Zentralgestirn mehr als Maestro, sondern nur noch eine Art zweite Geige, wie schlecht ist das für das dauergebauchpinselte Dirigenten-Ego? Rattle kichert kurz durch die Handy-Leitung. „Good grief ... Man muss sein Ego bei so etwas ohnehin ablegen“, kontert er. Kammermusik mit Mitgliedern seiner Berliner hatte er öfter, auch das übt. „Außerdem muss man viel besser Klavier spielen, als ich es kann, um sein Ego am Klavier auszuleben.“ Auf die Kontrolle des Übe­pensums ihres Manns angesprochen, sagte Kozena einige Tage zuvor: „Das muss ich nicht, er hat erkannt, dass es gut wäre, wenn er üben würde. Dirigenten, die am Klavier sitzen, verstehen die Harmonien. So kommt man in die Tiefe der musikalischen Strukturen“, und überhaupt: „Ich glaube, ein Teil seines Spaßes an unserem Projekt ist, dass er einmal nicht der Boss ist.“ Tatsächlich ungewohnt für ihn sei es, zur Abwechslung selbst Töne zu produzieren, eigenhändig. „Anfangs habe ich oft nur den Einsatz vorgegeben und dann vergessen, den Akkord auch tatsächlich pünktlich zu spielen. Es ist aber auch gut, wie alle anderen den eigenen Fingern ausgeliefert zu sein.“

Bei der Frage nach ihrem überfälligen Opern-Auftritt in der hiesigen Staatsoper wird Kozena zwar nicht konkret, lässt sich aber eine Seitentür offen. Mit dem neuen Intendanten Georges Delnon hat sie vor einem Jahr Charpentiers „Médée“ in Basel realisiert, als er noch dort Chef war, kürzlich gab es Sondierungsgespräche über Hamburg, möglicherweise auch hier Barock. Aber mit drei Kindern möchte sie nicht mehr als zwei Opernproduktionen pro Jahr eingehen, eine möglichst in Berlin.

Ihr Mann wird beim Thema Hamburg deutlich deutlicher. Wenig überraschend, aber dennoch gut zu wissen: Kurz nach der für Januar 2017 geplanten Elbphilharmonie-Eröffnung wird er mit den Berlinern für einen Antrittsbesuch im neuen Konzerthaus beim Star-Aufgebot dabei sein, den genauen Termin hat er auf seiner Fahrt zu einer Probe in London nicht im Kopf.

Hamburgs Kultur-Neubau muss ihn aber schon aus Eigeninteresse interessieren, denn sein Nach-Berlin-Chefposten von 2017 an beim London Symphony ­Orchestra ist untrennbar mit Rattles Ehrgeiz verbunden, dem Orchester und London (in dieser Reihenfolge) zu einem neuen und seiner Meinung nach dringend notwendigen Konzerthaus zu verhelfen. Rattle möchte das Wunder von Birmingham wiederholen, wo er und ein neuer Saal in den 90er-Jahren ein Regionalorchester auf Weltniveau gebracht hatten. Die ersten Weichen, darunter ein Standort in der Nähe vom Kulturzentrum Barbican, wurden gestellt. Die Politik hat Millionen in Studien investiert. Die ersten prominenten Gegenstimmen – unter anderem vom Cellisten Julian Lloyd Webber – wurden laut. Die Debatte ist in vollem Gang, auch, weil Gegner der Rattle-Pläne nun für einen Standort gegenüber des Tate Modern Museum plädieren. Die Kostenexplosionen und Planungskatastrophen am Elbufer im Hinterkopf, sagt Rattle zur aktuellen Preisprognose 278 Millionen Pfund: „Wir waren sehr darauf bedacht, die Kosten nicht allzu niedrig anzusetzen. Natürlich war das Beispiel Hamburg etwas, das wir bedenken müssen. Wahrscheinlich werden wir etwas bauen, das nicht ganz so wild ist.“

Während eigentlich schon die Orchesterprobe fällig ist, hält Rattle noch schnell einen Grundsatzvortrag zwischen Tür und Pult. „Ich erinnere mich noch daran, wie viel Streit und Angst es um Tate Modern in London gab. Doch jetzt wäre es unmöglich, an London zu denken, ohne auch an dieses Museum zu denken. Es ist eine der größten ­Attraktionen unseres Landes. Ich bin mir sicher, der Elbphilharmonie wird es genauso gehen.“ Auch für die vorglühenden Planer und den NDR-Kollegen Thomas Hengelbrock hat Rattle einen Rat unter Praktikern parat: „Ganz wichtig: Neue Säle sind ein work in progress. Man braucht die ersten fünf Jahre, um etwas Staub auf die Wände zu bekommen und dafür zu sorgen, dass alle wissen, wie man dort spielt.“

Konzerte: 22.1. „Magdalena Kozena mit Sir Simon Rattle & Friends“. Werke von Chausson, Strawinsky, Ravel, Strauss, Brahms, Janacek, Dvorak. 29.2. mit La Cetra Barockorchester Basel. Werke von Ucellini, Monteverdi, Berio u.a. Laeiszhalle, Gr. Saal. 23.6. mit Ondrej Havelka and his Melody Makers. Kampnagel K6. Karten (9 bis 65 Euro) unter T. 35 76 66 66.