Hamburg. Der Neumann-Nachfolger gilt zwar nicht als Innenexperte, aber er gehört dem einflussreichen SPD-Kreisverband Mitte an.
Man muss sich Bürgermeister Olaf Scholz als Mann mit personalpolitischen Prinzipien vorstellen. Noch bevor der Sozialdemokrat 2011 ins Amt gewählt wurde, hatte er klargestellt, dass es bei ihm den Karrieresprung von Staatsräten und Spitzenbeamten zum Senator nicht geben werde. Dahinter stand die Idee der klassischen Rollenaufteilung zwischen dem für die Ressortpolitik verantwortlichen Senator und den für deren Umsetzung zuständigen Beamten.
Dieses Prinzip gilt seit dieser Woche offensichtlich nicht mehr, weil Scholz Mitte-Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) zum neuen Innensenator ernennen will. Bislang hatte Scholz auch stets darauf geachtet, ausgewiesene Fachleute in den Senat und an die Spitze der Behörden zu berufen. Das galt zum Beispiel zuletzt bei der Berufung der SPD-Abgeordneten und Kita-Expertin Melanie Leonhard zur neuen Sozialsenatorin Anfang Oktober. Mit Grote wird – seine Wahl in der Bürgerschaft am heutigen Mittwoch vorausgesetzt – ein Bau- und Stadtentwicklungsexperte auf den Schleudersitz der Behörde am Johanniswall rücken.
Für die Abkehr von eigenen Richtlinien muss es gerade bei einem Politiker wie Scholz triftige Gründe geben. „Niemand ist davor gefeit, schlauer zu werden“, sagt ein Sozialdemokrat, der es wissen muss, ziemlich lakonisch und verweist noch auf das Prinzip des „lebenslangen Lernens“. Man kann es auch so sehen: Vor fünf Jahren hatte das Prinzip, die Karrierewege von Staatsräten und Spitzenbeamten auf der einen Seite und Senatoren auf der anderen scharf zu trennen, neben den sachlichen Erwägungen auch eine wichtige politische Funktion. So ließen sich manche Begehrlichkeiten von Parteifreunden auf Abstand halten.
Eines lässt sich festhalten: So viel personalpolitischen Spielraum wie nach dem furiosen Wahlsieg 2011, als die SPD aus der Opposition heraus die absolute Mehrheit eroberte und Scholz der SPD-Wahlheld war, hat der Bürgermeister nicht mehr. Das liegt vor allem an SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs. Der einflussreiche Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Hamburg-Mitte hatte intern deutlich gemacht, dass er einen Senat ohne ein Mitglied der SPD Mitte nicht akzeptieren werde.
Der Hintergrund ist einfach: Nach der Rückkehr der SPD an die Macht vor fünf Jahren stellten die Mitte-Genossen mit Jana Schiedek (Justiz) und Michael Neumann (Innen) gleich zwei Senatsmitglieder – mehr als jeder andere der sieben SPD-Kreisverbände. Schiedek schied nach der Bürgerschaftswahl 2015 aus, jetzt folgte Neumann.
Nach Abendblatt-Informationen präsentierte Kahrs eine Liste möglicher Mitte-Kandidaten für den Posten des Innensenators, wobei die Präferenz klar bei Grote lag. Nun ist Olaf Scholz nicht gerade bekannt dafür, dass er sich von irgendwem erpressen lässt. Wie kann es also angehen, dass er trotzdem ausgerechnet Mitte-Mann Grote zum Innensenator ernennen will?
Hamburgs Innensenatoren seit 1950
Dazu lohnt der Blick auf den SPD-Kreisverband Mitte, der innerhalb der Hamburger SPD ein besonderes Pflaster ist. Zum einen ist Hamburg-Mitte nach wie vor eine SPD-Hochburg, hier erzielen die Sozialdemokraten regelmäßig ihre besten Wahlergebnisse. Erfolge bei Wählern erhöhen das politische Gewicht beträchtlich.
Aber das ist nicht alles: Die SPD Mitte ist innerhalb der Landes-SPD ein homogener Block. Das liegt zuerst an dem langjährigen Kreisvorsitzenden Kahrs, der es versteht, bereits junge Leute um sich zu scharen und gezielt aufzubauen. Kahrs hat innerhalb seines Sprengels ein System aus Loyalität und Beförderung geschaffen. Letzteres schließt eine geradezu beinharte Personalpolitik innerhalb der Landes-SPD ein. Soll heißen: Politische Talente, heißen sie nun Carola Veit, Jana Schiedek oder eben auch Andy Grote, dürfen sicher sein, dass sich Kahrs für ihre Karriere vehement einsetzt.
Für Scholz, der einen nüchternen Blick auf die Dinge hat, stellte sich die Lage folgendermaßen dar, nachdem der Rücktritt von Michael Neumann unabwendbar war: Fachlich wäre SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel erste Wahl gewesen. Doch Dressel wollte seinen gerade in Zeiten einer Koalition besonders wichtigen Posten nicht aufgeben. Wie berichtet, galt auch der Eimsbütteler Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke als denkbarer Kandidat für das Innenressort. Doch mit Sevecke hätte die Eimsbütteler SPD nach Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt bereits das zweite Senatsmitglied gestellt, während die mitgliederstärksten Kreisverbände Wandsbek und Mitte leer ausgegangen wären.
Und noch etwas kam hinzu: Kahrs hatte hinter den Kulissen im Herbst 2015 versucht, Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit als Sozialsenatorin und Nachfolgerin von Detlef Scheele (SPD) durchzusetzen. Damals scheiterte Kahrs, Scholz entschied sich für die Harburgerin Leonhard. Ein zweites Mal wollte Scholz Kahrs nicht brüskieren. Am Ende war es auch eine bequeme Entscheidung, Grote zu berufen, zumal auch Sevecke kein innenpolitischer Fachmann ist. Die „Kreisbindung“ ist in der SPD längst nicht mehr so stark wie früher. Deswegen belächeln manche Parteifreunde die Mitte-Genossen wegen ihrer sehr traditionellen Form der Personalpolitik – erfolgreich ist sie allemal.
Dass Grote kein Innenexperte ist, spricht nicht zwingend gegen ihn. Fachliche Expertise ist Hilfe, aber nicht Voraussetzung für den Erfolg. Sehr entscheidend wird sein, wie schnell und wie gut Grote Zugang zum Beispiel zu den Polizeibeamten findet und deren Vertrauen gewinnt. Im Übrigen ist er für einen erheblichen Teil seiner künftigen Arbeit sogar fachlich qualifiziert: Das Thema der Unterbringung von Flüchtlingen hat ihn schon als Bezirksamtsleiter maßgeblich beschäftigt.
Und der Blick zurück lehrt, dass längst nicht alle Innensenatoren Fachpolitiker waren. Das beste Beispiel liefert Olaf Scholz selbst, der 2001 kurzzeitig das Innenressort leitete.