Hamburg . Innensenator Neumann gibt sein Amt vor allem aus Frust über das Olympia-Aus auf. Seine Bilanz kann sich sehen lassen. Ein Porträt.
Nach außen hat er fast immer den harten Hund gegeben, wie es sich für einen Soldaten und Innensenator vermutlich gehört, für einen, der führen will. Allein schon mit diesem Händedruck, der seinen Gesprächspartnern immer die Knöchel zu zermalmen drohte. Aber so einfach ist das nicht mit Michael Neumann – weil er selbst auch nicht so einfach und auch nicht so einfach zu durchschauen ist.
Der 1970 in Dortmund geborene Sozialdemokat taugt nicht so recht für das Klischee des puren Hardliners – dafür vereint er zu viele Widersprüche in seiner Person. Er ist Panzerfahrer, aber auch gläubiger und engagierter Katholik. Er kommt aus dem Ruhrpott, aber trinkt kein Bier (und auch sonst nichts Alkoholisches). Als junger innenpolitischer Sprecher hat er Innensenator Ronald Schill und seinen Staatsrat Walter Wellinghausen 2003 kräftig unter Druck gesetzt.
Reaktionen auf Neumanns Rücktritt
Als Fraktionschef hat er den sonst zwanghaft entspannten CDU-Bürgermeister Ole von Beust immer wieder zur Weißglut getrieben und als Innensenator nun fünf Jahre lang mit harter Hand die innenpolitische Flanke geschlossen gehalten. Zugleich aber hat er es bei privaten Familienfesten bisweilen mit Islamisten zu tun gehabt, weil zwei Brüder seiner deutsch-türkischen Frau, der Staatsministerin und Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, eine islamistische Internetseite betreiben. Mit Özoguz, die auch Bundestagsabgeordnete und Vize-Bundesvorsitzende der SPD ist, hat er eine gemeinsame Tochter.
Das Gegenstück zum harten Händedruck ist bei Neumann, der sich das permanent drohende Übergewicht mit kilometerlangen Gewaltmärschen und ausgedehnten Wandertouren vom Leib hält, eine gewisse Hypersensibilität, die sich manchmal schlagartig Bahn bricht. Politische Weggefährten berichten, wie leicht erregbar der studierte Politikwissenschaftler und Berufssoldat sei. Oft habe er, schon in seiner Zeit als Vorsitzender des SPD-Bürgerschaftsfraktion, aus allen möglichen Gründen die Brocken hinschmeißen wollen. Nur durch stundenlanges gutes Zureden sei er immer wieder davon abgebracht worden.
Bei dieser ihm nachgesagten Konstitution grenzt es an ein Wunder, dass der 45-Jährige, der 1992 zum Studium an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr nach Hamburg kam, so lange Innensenator gewesen ist wie nur wenige andere in dieser Stadt. Immerhin ist das kein Job zum Entspannen, immerzu gibt es Stress, Ärger mit der Roten Flora, Streit über Gefahrengebiete, viel zu viele Einbrüche, Rockerkriege und nun auch noch die massenhaften Übergriffe auf Frauen zu Silvester auf dem Kiez und anderswo.
Neumanns politisches Rezept zur Amtsführung war einfach. „Ein guter Innensenator kommt in den Zeitungen nicht vor“, hat er gelegentlich gesagt. Soll heißen: Er sorgt dafür, dass Polizei und Feuerwehr ordentlich arbeiten (können). Nicht weniger, aber auch nicht mehr. In den Medien kann er dann ja als Sportsenator vorkommen – der Teil des Jobs, der ihm sowieso mehr Spaß gemacht hat.
Neumanns Bilanz kann sich sehen lassen
Dabei kann Neumann alles in allem als Innensenator auf eine ordentliche Bilanz zurückblicken – auch wenn ihm nicht nur seine Kritiker, sondern auch Richter mittlerweile attestiert haben, dass die Sicherheitskräfte unter seiner Aufsicht – etwa bei der Einrichtung von Gefahrengebieten mit Sonderkontrollrechten – auch mal übers Ziel hinausschossen. Der Bandenkrieg der Rockergruppen, die Silvester-Übergriffe oder die hohen Einbruchszahlen bei niedriger Aufklärungsquote zeigen, dass Neumann kein bestelltes Feld hinterlässt. Aber das würde wohl in einer Metropole wie Hamburg niemandem gelingen.
Hamburgs Innensenatoren seit 1950
Bei der Polizei selbst genoss Neumann bis zum Schluss hohes Ansehen. In der Führung wurde er als ein Innensenator empfunden, der tatsächlich hinter dem Apparat steht. Kritik hatte ihm dagegen die Berufung von Wolfgang Kopitzsch zum Polizeipräsidenten Anfang 2012 eingebracht. Die Personalie war als politische Entscheidung gewertet worden, bei der Neumann sich der Partei beugen musste. SPD-Genosse Kopitzsch war Bezirksamtsleiter in Nord gewesen. Mit der überraschenden Ernennung von Ralf-Martin Meyer im März 2014 zum Polizeipräsidenten stieg das Ansehen Neumanns wieder auf alte Werte. Meyer ist kein SPD-Mann und kam aus dem Polizeiapparat. Er war zuvor stellvertretender Leiter des Landeskriminalamtes und Leiter der Akademie der Polizei gewesen.
Kommentar: Neumanns Rücktritt vergrößert die Probleme der SPD
Bei den Beamten auf der Straße kam Neumanns bescheidene und burschikose Art gut an. Die Führungsspitze schätzte an Neumann, dass er sich aus taktischen Maßnahmen heraushielt. Das galt für Probleme mit Flüchtlingen wie auch für politisch oft schwierige Demonstrationseinsätze. „Er hat auf unsere Kompetenz vertraut“, sagt ein Führungsbeamter. „Er hat nach außen immer klare Kante gezeigt“, sagt ein anderer hoher Beamter. Dabei unterstützte Neumann auch die harte Linie der Hamburger Polizei, die bei Verstößen gegen das Demonstrationsrecht konsequent einschritt. Bundesweit sorgte das nach dem 21. Dezember 2013 für Aufsehen. Damals hatte die Polizei einen Aufzug, an dem 4700 gewaltbereite Demonstranten teilnahmen, kurz nach Beginn gestoppt und aufgelöst.
Schon vorher hatte die Polizei die Umgebung zum Gefahrengebiet erklärt, um verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen zu können. Später verteidigte Neumann im Innenausschuss die Polizei. Dabei nannte er die Gewalttäter auf Seite der Demonstranten „schnöde Kriminelle“. Auch solche in den Augen vieler Polizisten „klaren Benennungen“ stützten die Beliebtheit Neumanns innerhalb der Polizei. In den vergangenen Wochen war Neumann auch bei mehreren Abschiebungen persönlich dabei, um den Beamten zu signalisieren: Ich stehe hinter euch.
Neumann lebte Olympia-Traum vor
Für den Hamburger Sport ist Neumanns Rücktritt ein schwerer Schlag. In der Szene wurde mitunter gewitzelt, dass sich der Senator offenbar klonen lasse; keiner seiner für den Sport zuständigen Vorgänger war so oft bei Veranstaltungen wie er. In feine Logen einladen ließ er sich indes nur ungern, schon aus Sorge um seine politische Unabhängigkeit. „Ich trete gern zurück, aber nicht wegen ein paar Euro“, sagte er dann. Viel lieber als mit den VIPs traf er sich mit den Sportlern selbst, manchen wie dem Weltklasse-Ruderer Eric Johannesen oder Edina Müller (Paralympics-Siegerin mit den Rollstuhl-Basketballern) bot er sogar das Du an.
Kein anderer Spitzenpolitiker in Hamburg engagierte sich so sehr für den olympischen Traum wie er. Termine mit beratenden Agenturen setzte er zuweilen für sechs Uhr morgens an, um das normale Tagwerk in diesem so wichtigen Ressort überhaupt noch zu schaffen. Der Sieg über Berlin im nationalen Vorentscheid gilt vor allem als Neumanns Verdienst. Wieder und wieder feilte er an seiner Präsentation für Hamburg vor der alles entscheidenden Sitzung beim DOSB in Frankfurt. Zudem klapperte er alle deutschen Spitzenverbände vor der Abstimmung ab, um für die Hansestadt zu werben.
Zugleich führte sein enormes Pensum in der Frage der Ringe zu einem ersten Riss mit Olaf Scholz. Neumann hatte darauf gehofft, dass der Bürgermeister ihm gestatten würde, sich nach dem Erfolg über Berlin nur noch auf das olympische Thema zu konzentrieren. Vergebens. Deutlich signalisierte Scholz, dass er seinen engen Vertrauten auch in dem für die SPD so wichtigen Thema Sicherheit unbedingt weiter braucht, erst recht in den Zeiten des Flüchtlingszustroms. Damit geriet Neumann in einen schwierigen Spagat. Wer tagsüber mit Senatskollegen verzweifelt um Wohnplätze für Flüchtlinge ringen muss, kann abends kaum ernsthaft Entscheidungsträger aus dem IOC bezirzen, sich doch bitteschön für Hamburg zu begeistern.
Neumann wirkte zutiefst enttäuscht vom Olympia-Aus
Und so musste er frustriert zuschauen, wie auch noch handwerkliche Fehler sein großes Projekt schredderten. Statt den Weg des Ausgleichs mit Berlin zu gehen, kam es ohne Neumann zum offenen Krach. Hinter verschlossenen Türen zofften sich Senatsunterhändler mit der Bundesregierung lautstark um die gewünschte finanzielle Unterstützung. Ohnmächtig musste Neumann, extrem gefordert in Sachen Flüchtlinge, zusehen, wie sich die Verhandlungspartner immer mehr verhakten und die erhoffte Milliardenzusage nicht kam – einer der Gründe für die knappe Niederlage der Olympiabefürworter im Referendum.
Für Neumann war der Olympia-K.o. ein Tiefschlag. Während Scholz sofort wieder zur politischen Tagesordnung überging, wirkte sein Senator zutiefst enttäuscht. Vertrauten wie DOSB-Chef Alfons Hörmann signalisierte er schon vor Wochen, dass er die politische Bühne verlassen wolle.
Für Olaf Scholz ist der Rücktritt ein doppelter Schlag. Zum einen verliert er einen kompetenten Senator, bei dem Ehrgeiz und Sinn für Disziplin bis zum Ende die Oberhand über eigene Empfindsamkeiten behielten. Zum anderen galt Neumann nach dem Abgang von Sozialsenator Detlef Scheele als einziges Senatsmitglied, das dem Bürgermeister noch offen widersprechen durfte. Auf dieses letzte Korrektiv muss der Bürgermeister fortan verzichten.