Hamburg. Staatsanwaltschaft konnte keine Verdächtigen ermitteln, stellt Verfahren ein. Anwalt der linken Szene stellt gesamten Vorfall infrage.
Die Klobürste war jener Tage auf St. Pauli allgegenwärtig: Als Aufdruck auf Pullovern, Rucksäcken und im Hosenbund diente sie vor zwei Jahren unter dem Motto „St. Pauli bleibt widerborstig“ als Symbol für den Protest gegen die Einrichtung von Gefahrengebieten. Jetzt ist das Verfahren wegen eines angeblichen Angriffs durch Linksautonome auf die Davidwache – dem Auslöser für das Gefahrengebiet – eingestellt worden. „Trotz verschiedenster Ermittlungen, Zeugenbefragungen und Telefonüberwachungen war es uns nicht möglich, eine Person zu ermitteln, gegen die ein ausreichender Tatverdacht bestanden hätte“, sagt Oberstaatsanwältin Nana Frombach.
Anfangs hatte die Polizei noch davon gesprochen, dass 40 „teils vermummte Personen“ am 28. Dezember 2013 Beamte mit Flaschen und Steinen beworfen hatten, wenig später kamen erste Zweifel auf, ob es einen solchen Vorfall überhaupt je gegeben habe. Während dieser jedoch offiziell von der Staatsanwaltschaft weiterhin als Tatsache dargestellt wird, klingt eine interne Formulierung nach Informationen des Abendblatts schon vorsichtiger: Es könne „nicht ausgeschlossen“ werden, dass es einen Angriff gegeben habe.
Klar scheint, dass am Abend des 28. Dezember ein Polizist schwer verletzt wurde, als ihm ein Unbekannter aus nächster Nähe einen Stein ins Gesicht warf und dem Beamten so den Kiefer brach. Wie die Polizei später einräumte, habe dieser Angriff aber nicht direkt vor der Davidwache, sondern 200 Meter entfernt an der Ecke Seilerstraße/Hein-Hoyer-Straße stattgefunden.
„Nach wie vor bin ich der Ansicht, dass es einen Angriff auf die Davidwache nie gegeben hat“, sagt Andreas Beuth, der seine Kanzlei in der Schanze hat und als „Anwalt der linken Szene“ bekannt ist. Vielmehr habe sich die Situation so dargestellt, dass eine Gruppe von St.-Pauli-Fans über die Reeperbahn von einer Party zur nächsten gegangen sei. „Da hatten die Polizeibeamten wohl Angst, dass etwas passieren könnte“, sagt Beuth. Er habe eine Vielzahl von Zeugen ermittelt, die den ursprünglich von der Polizei beschriebenen Hergang widerlegten. Zwei der Zeugen, ein Paar aus Bremen, hatten ausgesagt, dass die Personen, die an der Davidwache vorbeizogen, „normal“ gekleidet gewesen seien. Zudem hätten sie nicht aggressiv gewirkt.
Oberstaatsanwältin Frombach sagt derweil, man gehe trotz der Einstellung des Verfahrens „weiter davon aus, dass es einen Angriff aus einer Gruppe heraus auf die Davidwache gegeben hat“. Zudem sei es vermutlich eine dieser Personen gewesen, die dem Polizisten den Stein ins Gesicht geworfen hatte. „Es besteht ein unmittelbarer zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen den beiden Vorfällen“, sagt Frombach. Wegen des Angriffs auf den Polizisten an der Seilerstraße hatte die Staatsanwaltschaft wegen eines versuchten Tötungsdelikts ermittelt.
Als den „eigentlichen Skandal“ bezeichnet Anwalt Andreas Beuth die Tatsache, dass sich auf den angeblichen Angriff die Errichtung eines Gefahrengebietes gestützt hatte, das allerdings wenige Tage nach dem Vorfall wieder aufgehoben worden war. Im April kam das Thema dann auch vor das Oberverwaltungsgericht. Dort wurde die Klage einer Bewohnerin des Schanzenviertels behandelt, die vier Jahre zuvor von Polizisten in einem temporären Gefahrengebiet an der Eifflerstraße überprüft und für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen worden war. Die Richter erklärten in ihrem Urteil, dass die Einrichtung sogenannter Gefahrengebiete verfassungswidrig sei.
Das Urteil ist laut Gerichtssprecher Andreas Lambiris rechtskräftig. Bisher hat sich dadurch an der Situation nicht viel geändert. „Wir arbeiten daran, die Vorgaben des Gerichts umzusetzen“, sagte Frank Reschreiter, Sprecher der Innenbehörde, am Mittwoch. An den seit mehr als zehn Jahren bestehenden Gefahrengebieten rund um den Hansaplatz und die Reeperbahn würde aber festgehalten.