Auch fünf Monate nach der vermeintlichen Attacke auf das Kiez-Kommissariat ist kein Ende der Ermittlungen in Sicht. Die Frage bleibt: Handelte es sich um einen gezielten, politisch motivierten Angriff?

Hamburg. Der Angriff auf die Davidwache war einer der brisantesten und undurchsichtigsten Kriminalfälle des vergangenen Jahres. Mehr als fünf Monate liegt der angebliche Anschlag nun schon zurück, seither versuchen Ermittler aufzuklären, ob Polizisten am 28. Dezember vor dem weltberühmten Polizeikommissariat an der Reeperbahn tatsächlich gezielt attackiert worden sind. Doch ein Ende der Ermittlungen mit zehn Experten aus den Bereichen Staatsschutz, Mordkommission und Organisierter Kriminalität besetzten Sonderkommission der Polizei ist noch immer nicht absehbar. Warum aber dauert das so lange?

Dabei ist der Fall wegen seiner drastischen Konsequenzen von herausragendem öffentlichen Interesse: Der angeblich gezielte Anschlag auf Polizisten hat wesentlich zur Einrichtung des großen Gefahrengebietes am 4. Januar beigetragen, das sich über die Stadtteile St. Pauli, Altona-Altstadt, Altona-Nord und Sternschanze erstreckte und fast 80.000 Einwohner betraf. Die Polizei wertete den Anschlag im Zusammenhang mit den vorangegangen Auseinandersetzungen mit Autonomen am 21. Dezember und der ersten Attacke auf die Davidwache am 20. Dezember als Ausdruck einer gezielt gewaltsam gegen Polizisten vorgehenden Bewegung. Ohne Grund konnten Beamte in den Zonen Taschen durchsuchen und Identitäten überprüfen. Bis zur Aufhebung des Gefahrengebietes am 9. Januar kam es zu fast 800 Kontrollen.

Staatsanwaltschaft: „Gezielter Angriff“

Nach den bisherigen Ermittlungen hat es tatsächlich „einen gezielten Angriff auf die Davidwache gegeben“, bedeutet: „Die aus der Davidwache laufenden Beamten wurden unvermittelt aus einer Personengruppe mit Flaschen angegriffen“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach. Zu einem möglichen politischen Hintergrund wollte sich Frombach mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern. Allerdings gehen die Ermittler – im Gegensatz zur ersten Pressemitteilung der Polizei – nicht von einem Angriff „zum Teil vermummter Personen“ aus. Die etwa 30 Angreifer hätten Kleidung mit St.-Pauli-Emblemen getragen, unter anderem seien Flaschen geschmissen worden.

22 Hinweise seien eingegangen, mehr als 100 Zeugen vernommen worden, sagte Frombach, auch deshalb zögen sich die Ermittlungen hin. Auf das Ergebnis der Befragungen könne sie nicht näher eingehen, „weil dies den Ermittlungszweck gefährden würde“. Zwar werde gegen mehrere Verdächtige ermittelt, vorläufig festgenommen worden sei aber niemand. Ergebnislos blieb auch die Fahndung nach einem per Phantombild gesuchten Angreifer. Zudem geht die Staatsanwaltschaft von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf die Davidwache und einem Angriff auf Streifenbeamte aus, die ihren Kollegen zu Hilfe geeilt waren. Ein 45-jähriger Beamte war dabei an der Einmündung Hein-Hoyer-Straße von Mitgliedern der flüchtenden Gruppe aus nächster Nähe ein Stein ins Gesicht geworfen worden – er erlitt einen Kieferbruch.

Kritisch zum Verlauf der Ermittlungen äußert sich die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Antje Möller: „Die Vorwürfe und die Tatbeschreibung des Übergriffs auf Polizeikräfte im Umfeld der Davidwache mussten aufgrund von Zeugenaussagen durch die Polizei revidiert werden. Es wird Zeit, dass die Ergebnisse der internen Aufklärung auch öffentlich vorgelegt werden. Immerhin wurde unter anderem damit die Einschränkung der Freiheitsrechte von Tausenden Bürgern und Bürgerinnen durch die Ausweisung eines riesigen Gefahrengebietes begründet.“ Die Polizei dürfte in ihren Bemühungen um Aufklärung nicht nachlassen, fordert der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Karl-Heinz Warnholz. „Ich erwarte, dass die Ermittlungen auf Hochtouren fortgesetzt werden. Der Ermittlungsdruck soll Täter von Angriffen gegen die Polizei abschrecken.“

Welche Motivation hatten die Angreifer?

Von zentraler Bedeutung ist die Frage, welche Motivation die Angreifer hatten. Handelte es sich um einen gezielten, politisch motivierten Angriff auf Polizisten? Oder „nur“ um eine für den Kiez nicht ungewöhnliche Auseinandersetzung zwischen Nachtschwärmern und Polizisten, die sich dynamisch entwickelte und eskalierte? Selbst innerhalb der Polizei gibt es dazu verschiedene Schilderungen: Wie das Abendblatt berichtete, hatten beteiligte Beamte angegeben, dass sie aus der Wache liefen, als sie die „grölende Gruppe“ bemerkten. Sie hätten darauf eine weite Kette zum Schutz von Wache und Peterwagen gebildet – erst dann seien sie vereinzelt und von wenigen Personen beworfen worden.

Die Darstellung von zwei Augenzeugen aus Bremen zeichnen sogar noch ein anderes Bild: Demnach seien etwa sechs Polizisten der Davidwache auf die zuvor St.-Pauli-Lieder singende Gruppe zugelaufen, als diese sich bereits entfernt hatte. Die Zeugen: „Einen Grund für den Polizeieinsatz konnte niemand ausmachen...auch von Flaschen- oder Steinwürfen war nichts zu sehen oder zu hören gewesen.“

Auch fünf Monate später hat sich für den als „Anwalt der linken Szene“ bekannten Strafverteidiger Andreas Beuth nichts geändert. Er hatte die Darstellung der Polizei als „bewusst falsch“ bezeichnet. Hinter der „Legende vom gezielten Anschlag“ stünden „politische Interessen der Polizeiführung und ihrer Gewerkschaften wie zusätzliche Stellen, eine bessere Bezahlung und eine ‚Aufrüstung‘ der Polizei’“. Dass der Senat der Polizei kurz nach den Krawallen zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt habe, sei „eine Bestätigung meiner These.“ Nach dem, was er von 13 Zeugen gehört habe, seien St.-Pauli-Fans über die Reeperbahn, an der Davidwache vorbei, zu einer Party gegangen. Dabei seien einige von Polizisten angehalten, aber gleich wieder laufen gelassen worden, „weil ja auch nichts passiert war“.

Ähnlich wie der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar, der die Einrichtung des Gefahrengebiets als „unverhältnismäßig“ kritisiert hatte, ist Beuth ein Gegner des polizeilichen Instruments. Beuths Anwaltsbüro Schulterblatt 36 hat Ende April beim Verwaltungsgericht Klage für 16 Betroffene eingereicht – um feststellen zu lassen, dass die polizeilichen Maßnahmen rechtswidrig waren. Mit einer Entscheidung ist erst in einem Jahr zu rechnen.